Sowjetische Aktiengesellschaften zur Reparationssicherung

Ein Kapitel der sowjetischen Besatzungspolitik nach Kriegsende 1945 in Deutschland erfuhr, obwohl doch sehr bedeutsam, bisher noch nicht die ihm durchaus gebotene historische Aufarbeitung: die sowjetischen Aktiengesellschaften in der sowjetischen Besatzungszone und in der DDR.

Im Potsdamer Abkommen 1945 entschieden die Siegermächte, dass die Sowjetunion für die ihr vom faschistischen Deutschland zugefügten riesigen Schäden und Verluste Reparationen aus der deutschen Wirtschaft erhält. In Umsetzung dieser Festlegung erließ der oberste Chef der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD), Marschall Georgi Schukow, den Befehl 154/181 vom 21. Mai 1946 über die „Übergabe und Nutznießung des beschlagnahmten und sequestrierten Vermögens zur Sicherstellung der Wiedergutmachung“.

Dabei wurde in drei Kategorien unterschieden. Die Liste A umfasste für den Stadtkreis Chemnitz 70 Unternehmen, die im Ergebnis des Volksentscheides vom 30. Juni 1946 über die „Enteignung der Kriegs- und Naziverbrecher“ in allgemeines Volkseigentum des Landes Sachsen übergingen. Für „Ja“ hatten damals 139.941 Einwohner von 175.579 Wahlberechtigten (79,7 %) gestimmt. Die Liste B umfasste 81 Firmen, die nach gründlicher Prüfung an die Eigentümer zurückgegeben wurden. Die 30 Unternehmen der Liste C verblieben unter der Zwangsverwaltung der SMAD. 61 Betriebe waren zur Demontage vorgesehen. 

Am 5. Juni 1946 erließ Marschall Georgi Schukow den Befehl Nr. 167: „Über den Übergang von Unternehmungen in Deutschland in das Eigentum der UdSSR auf Grund der Reparationsansprüche der UdSSR“. Das war die Geburtsstunde der sowjetischen Aktiengesellschaften (SAG) in der seinerzeitigen sowjetischen Besatzungszone. Damit wurden 202 volkswirtschaftlich bedeutende Betriebe und Anlagen auf deutschen Territorium in sowjetisches Staatseigentum überführt. Statt Demontage á-conto Reparationen war dadurch eine ökonomisch zweckmäßigere Form gefunden worden. Damit verloren zugleich mit einem Schlag die in- und ausländischen Konzerne jeglichen Einfluss auf diese Unternehmen. 

In Chemnitz waren davon Unternehmen betroffen. Das war als SAG Marten die bisherige Stahlgießerei und Metallbearbeitung Gustav Krautheim AG in Chemnitz Borna mit dem von der SMA Sachsen eingesetzten Generaldirektor A. P. Balenkow an der Spitze. Der ab 1953 als VEB Eisen- und Stahlgießerei produzierende Betrieb ist völlig liquidiert. Der Betriebsteil Feinmechanik und Elektrotechnik von Siemens & Halske bildete die SAG Kabel. Aus ihr ging der VEB Gerätetechnik hervor. Und die dritte SAG für Schleifinstrumente Rottluff mit dem SMAS-Direktor N. A. Fedorow, die jedoch, weil sie nicht den sowjetischen Erwartungen Rechnung trug, bereits 1947 in die Obhut der sächsischen Landesregierung zurückgegeben wurden. Zu den SAG-Betrieben kam dann noch der spätere VEB Elite Diamant in Siegmar-Schönau hinzu.

Interessant ist übrigens die Tatsache, dass in dem Statistischem Jahrbuch der Kreisstelle Chemnitz/Karl-Marx-Stadt der Staatlichen Zentralverwaltung für Statistik der DDR keine Angaben über die SAG enthalten sind.

Die in Holdings organisierten Betriebe produzierten auf der Grundlage sowjetischer Planvorgaben ausschließlich für die Sowjetunion. Man muss jedoch anerkennen, dass die Schaffung der SAG die Sicherung von Arbeitsplätzen, die Erhaltung von Produktionskapazitäten und die Bewahrung von qualifiziertem Arbeitsvermögen bedeutete. Die SAG hatten exterritorialen Status und waren deutscher Aufsicht gänzlich entzogen. Sie waren den deutschen Verwaltungen gegenüber nicht abrechnungspflichtig, ihre Defizite waren jedoch deutscherseits zu subventionieren. Die Betriebe wurden von sowjetischen Generaldirektoren nach dem Prinzip der Einzelleitung auf der Grundlage von Befehlen geführt. Sie erzwangen die uneingeschränkte Versorgung mit Maschinen, Werkzeugen, Roh- und Brennstoffen sowie Kfz-Technik.

Die SAG hoben aber auch durch Sonderzuteilungen von Lebensmitteln und anderen raren Konsumgütern ihre Belegschaften als Bevorzugte hervor und verliehen ihnen gegenüber der übrigen Bevölkerung den Status von Privilegierten. Wesentliche Verbesserungen erfolgten auch im Sozialbereich. So entstand 1949 im Stadtteil Borna im SAG-Bereich die erste Polyklinik der Stadt Chemnitz. Die SAG-Betriebe entfalteten aber auch eine breite sportlich-kulturelle Tätigkeit in ihrem Umfeld. So veranstaltete z. B. die SAG Marten in Gemeinschaft mit den Einwohnern des Stadtteils am 5. und 6. Juni 1953 ein großes Sport- und Kinderfest.

Im Januar 1947 fasste der Ministerrat der UdSSR den Beschluss über den endgültigen Verbleib der SAG-Betriebe auf deutschen Boden. Ab diesem Zeitpunkt erfolgte ihre etappenweise Rückgabe in deutsche Verwaltung. Die letzten SAG-Betriebe wurden per 1. Januar 1954 in das Eigentum der DDR überführt. Diese Entscheidung begrüßten am 28. August 1953 80.000 Teilnehmer einer Großkundgebung in Chemnitz. Bei seiner Verabschiedung in den Ruhestand erklärte der Meister in der Großputzerei des VEB Eisen- und Stahlgießerei Max Leichsenring: „Die SAG-Zeit war der beste Abschnitt in meinem Erwerbsleben.“

Unberücksichtigt blieb in der Darstellung das sowjetische Erzberg­bauunternehmen Wismut, später Sowjetisch-Deutsche Aktiengesellschaft (SDAG), da sie nur den Sitz der Generaldirektion, später den Generalvorstand und heute als Wismut GmbH in der Jägerschlößchenstraße in Siegmar hatte.

aus VS Aktuell 3/2017, erschienen im  VS Aktuell   VS Aktuell 3/2017 Aus der Stadtgeschichte