Tollkühne Männer in fliegenden Kisten über Chemnitz

Zum 90. Jahrestag der „Sachsen-Flugwoche“

Wenn von der Luftfahrt die Rede ist, dann liegt nach der allgemeinen Auffassung Chemnitz immer im Abseits. Und das vor allem auch dadurch, dass es nach der endgültigen Schließung des Flugplatzterrains an der Stollberger Straße im Jahre 1974 in der BRD kein anderes so dicht besiedeltes Wirtschaftsgebiet ohne eigenen Flug- oder zumindest Verkehrslandeplatz gibt, wie Chemnitz. Dabei übt der Himmel über Chemnitz auf seine Einwohner seit nahezu 200 Jahren, bewegt durch wagemutige Eroberer, eine besondere Anziehungskraft aus. Das begann am 5. November 1809 mit dem Aufstieg des ersten bemannten Freiballons in Gablenz und führte vorerst bis zum ersten Flugplatzfest auf dem Verkehrslandeplatz in Chemnitz- Jahnsdorf zu Pfingsten 2000. Besonders aber in den Jahren der Entwicklung des Flugwesens hatte Chemnitz eine Reihe von Glanzpunkten aufzuweisen und dazu gehört auch die „Sachsen-Flugwoche“ vor 90 Jahren.

 

Im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts hatten Motorflugtechnik und Motorflug in Frankreich den höchsten Stand erreicht. In dieser Situation versuchte das kaiserliche Deutschland aus machtpolitischen und militärischen Erwägungen unter allen Umständen aufzuschließen, gleichzuziehen und zu überrunden. Um auf diesem Gebiet präsent zu sein, wurden in den Jahren vor dem I. Weltkrieg eindrucksvolle Großflugveranstaltungen in Szene gesetzt.

 

Zu den bedeutendsten jener Jahre gehört die „Sachsen-Flugwoche“ vom 21. bis 31. Mai 1911, bei denen Chemnitz den Zentralpunkt bildete. Vier Tage davon hielten Flugvorführungen auf dem Garnisonsexerzierplatz an der Clausstraße - zwischen dem einstigen Restaurant „Zur schönen Aussicht“ und der Zschopauer Straße - die Einwohner der Stadt und Umgebung trotz ungünstigen Witterungsverhältnissen in Spannung. Dabei bot sich ein Schauspiel, wie es uns aus dem beliebten Film „Die tollkühnen Männer in ihren fliegenden Kisten“ bekannt ist.

 

Es erfolgte eine eindrucksvolle Präsentation des seinerzeit modernsten Standes der europäischen Flugtechnik, veranstaltet von der Interessengemeinschaft sächsischer Luftfahrtvereine.

 

18 erfahrene und bewährte Piloten stellten sich dem Leistungstest derFlugwoche. Zu ihnen gehörten die international namhaften Otto E. Lindpaitner mit einem Farman-Doppeldecker, der mit einem 7-Zylinder- Motor bestückt war, Eugen Wiencziers mit einem französischen Morane-Flugzeug und der große deutsche Flugpionier Hans Grade mit einem Eindecker eigener Konstruktion. Aber auch erprobte Chemnitzer Flieger gingen an den Start: Felix Laitsch mit einem 10,5 Meter langen Albatros-Doppeldecker, Friedrich Hoffmann mit einem Harlan- Eindecker und Bruno Büchner mit einem Aviatik-Doppeldecker.

Für all die Aktiven, Förderer, Honoratioren und hohe Militärs gab der 1895 gegründete Chemnitzer Verein für Luftfahrt, der älteste sächsische Verein auf diesem Gebiet, am 20. Mai 1911 im Kaufmännischen Vereinshaus zum Auftakt der „Sachsen- Flugwoche" einen festlichen Empfang. Am nächsten Tag, dem direkten  Beginn der Wettbewerbe, gab es einen Zuschaueransturm von bisher unbekanntem Ausmaß. Bernsdorfer, Zschopauer und Clausstraße sowie die anderen Nebenstraßen waren total verstopft. 20.000 Chemnitzer waren allein auf dem Exerzierplatz, um die Flugapparate zu bestaunen. Etwa 100.000 verfolgten das attraktive Schauspiel aus der unmittelbaren, näheren und weiteren Umgebung. Dazu kamen noch Tausende aus Unterwegspositionen, die mit gespanntem Interesse die Überflüge verfolgten. Für Montag, dem 29. Mai, dem Tag der Rückkehr der Piloten mit ihren Maschinen vom Sachsen-Rundflug, erhielten die Chemnitzer

 

Für die einzelnen Wettbewerbe standen Preise in einer Gesamthöhe von 83.000 Reichsmark bereit. Den Auftakt bildete das Eröffnungsfliegen, das den Zuschauern das sensationell einmalige Erlebnis bot, alle teilnehmenden Piloten mit ihren Maschinen am Himmel zu sehen. Es folgten der große 85-Kilometer-Rundflug um Chemnitz, bei dem Höhe und Flugdauer bewertet wurden. Als besondere Schwierigkeit nach den seinerzeitigen Maßstäben galt dabei das Überfliegen des tiefeingeschnittenen und dichtbewaldeten

 

Weitere Ausscheide waren in den folgenden Tagen die Überlandflüge über Beutenberg- und Adelsbergturm auf einer Flugtrasse von 18 Kilometern sowie der 32-Kilometer-Flug nach Limbach und zurück, bei dem ein aufgelassener Fesselballon die Wendemarke bildete. Beim ersten flog Hoffmann eine Zeit von 15 Minuten und 13 Sekunden. Den letzteren bewältigte Laitsch als Zweitplatzierter in 38 Minuten und 32 Sekunden. Besondere Leistungsansprüche stellte der Höhenflug. Lindpaitner siegte mit 1.095 Meter Flughöhe, Platz 2 errang Laitsch mit 690 Meter. Am 24. Mai 1911 startete der Sächsische Rundflug. Zu bewältigen waren über 500 Kilometer in den Etappen Chemnitz - Dresden, Dresden - Leipzig, Leipzig - Plauen und Plauen - Chemnitz. An den Etappenorten selbst fanden wiederum Ausscheide und Vorführungen statt. In Chemnitz waren es rein militärische Ausscheide. So zum Beispiel der Aufklärungsflug, bei dem in einer Entfernung von 10 bis 15 Kilometern gelegene Zielobjekte in kürzester Zeit zu identifizieren waren und der Zielwurf. Dabei musste mit Wurfgeschossen ein Wurfkreis von drei Metern Durchmesser aus 100 Meter Höhe getroffen werden. Die bedeutende Großveranstaltung in der Anfangsgeschichte des Flugwesens endete mit einem hervorragenden Abschneiden der Chemnitzer Piloten. Gesamtsieger wurde Felix Laitsch, gefolgt von Bruno Büchner. Der internationale namhafte Pilot Otto E. Lindpaitner kam diesmal nur auf Platz 3.

aus VS Aktuell 3/2001, erschienen im  VS Aktuell 3/2001 Aus der Stadtgeschichte