VS Aktuell: Herr Spur, mit Viren verunreinigte, tiefgefrorene Erdbeeren aus China sollen die Ursache für die Erkrankung von über 11.000 Kindern und Erziehern im September vergangenen Jahres gewesen sein. Die Zentralküche der Volkssolidarität Chemnitz beliefert unter anderem die vier Kindertagesstätten des Stadtverbandes. Kann das dort auch geschehen?
Martin Spur: Ganz ausschließen können wir das leider nicht. Wir setzen aber alles daran, das Risiko sehr gering zu halten. Die Erdbeeren, die wir verarbeiten, haben nicht so einen langen Weg hinter sich, sondern stammen von regionalen Zulieferern. Wir haben dennoch den Vorfall im Herbst zum Anlass genommen, unsere Produktionsprozesse zu überprüfen und anzupassen. So werden tiefgefrorene Früchte nur noch für Fruchtsoßen verwendet. Dabei werden sie komplett durchgegart, so dass schädliche Keime vollständig abgetötet werden. Für Kompott verwenden wir frische Früchte oder greifen auf Konserven zurück. Diese unterliegen im Gegensatz zu Tiefkühlprodukten strengeren Qualitätskriterien. Um das Risiko komplett auszuschließen, müssten wir Früchte selber anbauen. Nur so hätten wir die komplette Kontrolle und würden wissen, was beispielsweise mit den Erdbeeren geschieht. Eigenanbau ist jedoch teuer, die Preise für unsere Produkte würden deutlich in die Höhe gehen.
VS Aktuell: Sie erwähnten einen regionalen Zulieferer. Ist es nicht am besten, direkt vom Hersteller die Produkte zu beziehen?
Martin Spur: Teilweise machen wir das. So beziehen wir Brot- und Backwaren von einem Bäcker aus Augustusburg. Das Familienunternehmen verwendet Mehl aus der Region und setzt nicht auf Backmischungen, sondern stellt seine Produkte traditionell her. Molkereiprodukte beziehen wir von einer Plauener Molkerei, die von Landwirten aus dem Vogtland, Westsachsen und Ostthüringen mit Milch beliefert wird. Fleisch kaufen wir bei einem Betrieb aus Penig ein. Obst und Gemüse kommen jedoch nicht direkt vom Landwirt, sondern von einem Großhändler in Meerane. Das hat auch seinen guten Grund. Nehmen wir zum Beispiel die Kartoffel. Die Kartoffeln im Supermarkt kommen oft aus Nordafrika. Das ist uns zu weit weg. Der Meeraner Handel arbeitet mit Agrargenossenschaften aus Ostdeutschland zusammen. Kartoffeln bietet er unter anderem von einer Genossenschaft bei Glauchau und einem Betrieb in Südbrandenburg an. In den beiden Anbaugebieten sind die klimatischen Bedingungen etwas unterschiedlich, was zu einem unterschiedlichen Ausbildungsgrad der Stärke in der Kartoffel und zu einer unterschiedlichen Qualität führt. Über den Händler können wir nun je nach Jahreszeit die Kartoffel aus dem einen oder dem anderen Anbaugebiet beziehen. Wir versprechen uns davon eine weitestgehend gleichbleibende Qualität.
VS Aktuell: Bei einem Teil des Angebotes handelt es sich um Tiefkühlprodukte der Firma apetito, einem sehr großen Unternehmen. Wie wollen Sie hier sicherstellen, dass in der Verpackung drin ist, was drauf steht?
Martin Spur: Die Produkte von apetito füllen in unserem Angebot eine Lücke, die wir selber mit unserer Küchenausstattung nicht schließen können: Essen für Diabetiker mit genauen Nährwertangaben oder für Allergiker beispielsweise. Wie bei all unseren anderen Zulieferern gilt in der Zusammenarbeit mit apetito vor allem das Vertrauen. Wir arbeiten schon sehr lange zusammen, wir kennen uns und führen viele Gespräche über die Produkte und ihre Qualität. So wissen wir, dass apetito eine engmaschige Eigenkontrolle hat und viel Wert auf Ökologie legt. Bauern werden beispielsweise über Jahre vertraglich gebunden. Ihnen wird nach ökologischen Gesichtspunkten sogar die Fruchtfolge vorgegeben, so dass sie keine Monokultur betreiben können. Dafür bekommen sie einen ordentlichen Preis und liefern eine bessere Qualität, die im Labor von apetito stetig geprüft wird. Das Unternehmen liefert uns ausgezeichnete Produkte, wenn auch zu einem etwas höheren Preis.
VS Aktuell: Qualität hat also ihren Preis – das bedeutet umgekehrt, dass bei billigen Produkten Vorsicht geboten ist?
Martin Spur: Natürlich! Die meisten Skandale der Lebensmittelindustrie können ja auf den Preisdruck durch den Verbraucher zurückgeführt werden. Eine Geiz-ist-geil-Mentalität mag da eine Rolle spielen. Es gibt aber auch viele Menschen, die nur über ein geringes Einkommen verfügen. Sie sind darauf angewiesen, ihre Lebensmittel preiswert beim Discounter einkaufen zu können. Damit die Hersteller am Markt mithalten können, müssen sie ihre Preise gering halten. Sie sind darauf angewiesen, ihre Waren wiederum preiswert von den Zulieferern zu beziehen. Regionalität spielt dann beispielsweise kaum noch eine Rolle. Der Weg vom Landwirt über Verarbeitungsbetriebe und Zwischenhändler bis zum Hersteller ist manchmal nur noch schwer nachvollziehbar.
Für den Wettbewerb sind auch Zertifikate über die Einhaltung von verschiedenen Normen der EU notwendig. Dazu gehört auch, dass ein EU-zertifizierter Betrieb nicht mehr einfach so das Fleisch aus der Region beziehen kann, sondern er muss europaweit ausschreiben. Hinzu kommt, dass an den Binnengrenzen innerhalb der Europäischen Union nicht mehr kontrolliert wird. So können beispielsweise große Mengen Pferdefleisch oder mit Pferdefleisch versetztes Rindfleischhack unbemerkt von einem Land ins andere gelangen.
Auch wir beziehen Fleisch aus einer EU-zertifizierte Fleischerei. Aber der bereits erwähnte Betrieb in Penig hat eine eigene Aufzucht, kann daher die eigenen Tiere verwenden und muss nicht europaweit ausschreiben. Die Aufzucht in Deutschland ist jedoch teurer als in anderen Mitgliedsstaaten der EU – und damit auch das Fleisch. Qualität hat eben ihren Preis!
VS Aktuell: Bleiben wir bei der Qualität. Wie stellen Sie innerhalb der Küchen der Volkssolidarität Qualität sicher?
Martin Spur: In unserer täglichen Arbeit richten wir uns nach den Qualitätsstandards der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE), die Richtlinien für die Warenbeschaffung, Warenverarbeitung, den Transport der Speisen und die Gestaltung des Speiseplanes umfassen. Für den Bereich der Kinderernährung gehen wir eine Zertfizierung durch die DGE gegenwärtig an. Darüber hinaus haben wir schon seit langem ein Qualitätsmanagement eingeführt. In einem Qualitätshandbuch sind die Standards für Warenbeschaffung und -herstellung sowie für die gesamte Hygiene verankert. Darin ist beispielsweise auch festgelegt, dass unsere Fahrer ständig eine Händedesinfektion mit sich führen – und das hat seinen guten Grund. Auf ihren Touren greifen sie etwa 60 Türklinken an. An Türklinken sammeln sich bekanntlich Krankheitserreger. Durch die Desinfektion der Hände kann nun vermieden werden, dass der Essensfahrer eine Krankheit von einem Kunden zu einem anderen überträgt. Sie können ihn ohne Sorge mit Handschlag begrüßen. Das ist einer der vielen Details, mit denen wir uns von anderen Catering-Unternehmen unterscheiden.
VS Aktuell: Was gibt es denn noch?
Martin Spur: Beispielsweise die sogenannte Standzeit: Essen, welches in Verpackungen abgefüllt wird, verliert schnell den guten Geschmack sowie Vitamine und Mineralstoffe. Deshalb ist es wichtig, dass das Essen aus dem Kochtopf so schnell wie möglich zum Kunden und bei ihm auch auf den Tisch kommt. Bei vielen Anbietern von „Essen auf Rädern“ wird das Essen frühmorgens gekocht und danach abgefüllt. Dann wird es von einem Fahrer abgeholt und zum Kunden gebracht. Manchmal steht es dort auch noch eine Weile, bis es verzehrt wird, denn einige Unternehmen liefern schon am zeitigen Vormittag aus. Wir machen das anders! Bei uns richtet sich nicht die Lieferung nach dem Kochprozess, sondern der Kochprozess nach der Lieferung. Erst, wenn der Fahrer für eine Tour bereitsteht, wird abgefüllt. Dann wird das Essen auf das Fahrzeug verladen, aber nicht wie so oft auf dem Hof, sondern in unserer Schleuse. Hier ist es vor allem sauberer als im Freien. Verschmutzungen aus der Luft, beispielsweise durch Vogelkot, können nicht geschehen. Das Fahrzeug wird nicht höher als zwei Kisten hoch beladen. Das ist nicht nur wichtig für den Arbeitsschutz, sondern führt auch zum schnelleren Ent- und Beladen. Die Standzeit im Fahrzeug wird dadurch wieder ein wenig geringer. Das sind Feinheiten, die uns wichtig sind, die aber auch Geld kosten. So brauchen wir für unsere recht kurzen Standzeiten mehr Fahrzeuge als andere Unternehmen. Es gibt aber noch weitere Unterschiede. So telefonieren unsere Kunden nicht mit einem externen Call-Center, sondern immer mit einem persönlichen Ansprechpartner in der Zentralküche. Informationen können so schnell an die Küche weitergegeben werden.
VS Aktuell: Wie Sie bereits erwähnten, kosten die Anforderungen an die Qualität und auch die Feinheiten Geld. Sind Preissteigerungen zu erwarten?
Martin Spur: Leider können wir das nicht ausschließen. Nicht nur viele Lebensmittel, die wir verarbeiten, werden ständig teurer. Als Großverbraucher von Strom und Gas sind wir beispielsweise auch von der EEG-Umlage erheblich betroffen. Solche Kosten müssen letztendlich auf die Essenpreise umgeschlagen und refinanziert werden.
VS Aktuell: Vielen Dank für das Gespräch.