Der Peperoni-Club der Chemnitzer Volkssolidarität lädt zum Wandern, und Jürgen Zylla geht voran. Diesen Part hat er vor einem Jahr von Stadtrat und Fachgebietsleiter Mitgliederbetreuung Andreas Wolf übernommen, um ihn in der Clubarbeit zu unterstützen. Wolf schätzt ihn als guten Organisator, der alleTouren gewissenhaft vorbereitet. „Der Jürgen ist ein freundlicher und einfühlsamer Mensch, der selbstverständlich die körperliche Verfassung seiner Mitwanderer beachtet“, so Wolf. Allerdings, den erfahrenen Wandersmann Jürgen gäbe es wahrscheinlich gar nicht ohne seine Frau Waltraud. Sie lernte er in jungen Jahren kennen, als er in Erfurt bei der NVA diente. Das echte Thüringer Mädel hat in dem Jungen aus dem brandenburgischen Beeskow erst die Leidenschaft zum Streifen über Berge und Täler geweckt, die bis heute anhält. Ohne sie geht es auch mit den Peperonis nicht. Während er an der Spitze der Wandergesellschaft zielsicher voranstrebt, hat sie die Aufgabe der Schlussläuferin. Waltraud achtet darauf, dass alle schön zusammenbleiben.
Genau so ist es an dem dritten Mittwoch im April. Die City-Bahn von Chemnitz hat vormittags am Bahnhof Frankenberg, der seit einiger Zeit „Haus der Vereine“ heißt, die Peperoni-Wanderer abgesetzt. Von hier aus machen sich 22 fröhliche Seniorinnen und Senioren per pedes auf den sechseinhalb Kilometer langen Weg nach Sachsenburg. Ab und an heißt es Halt. Spitzenmann Jürgen erklärt dann zum Beispiel seiner Gruppe, wie sich Frankenberg in reichlich 800 Jahren vom Waldhufendorf im Miriquidi zur Berg-, Textil-, Barkas- und Garnisonsstadt mit rund 16 000 Einwohnern entwickelt hat.
Weiter führt die kaum beschwerliche Route über Waldwege ins Lützeltal. Nun geht es teils im Gänsemarsch dem Lützelbach nach, der in die Zschopau mündet, am Waldrand entlang und über eine Wiese. Nach kurzer Rast am Schilfteich, der heute der Fischzucht und den Reihern dient, zieht die kleine Kolonne über große Wiesen zur Sachsenburger Fischerschänke unweit des Flusses. Jürgen Zylla erwähnt, dass nebenan in der stillgelegten Zwirnerei vom Nazi-Regime 1933 eines der ersten KZ in Sachsen eingerichtet worden ist. Am großen Zschopauwehr und an einer Brücke genießen die Wanderer den Blick über die sonnige Landschaft, um dann in der Schänke einzukehren.
Bereits Wochen zuvor haben die Eheleute Zylla die Strecke erkundet. Sie wollten feststellen, ob es Hindernisse auf dem Wege gibt. „So eine Tour soll doch Freude und keine Beschwerden machen“, meint Jürgen. Die Freude bezeugt Steffi Schädlich von der Wohngruppe 030. „Mit Jürgen Zylla wandern ist super“, sagt sie. „Er sucht stets die Touren raus, die gut zu laufen sind. Übrigens hat er auch einen guten Draht zu Petrus. Das klappt immer mit dem Wetter.“ Und Karl Mittag von der Wohngruppe 044 findet es gut, dass mit öffentlichen Verkehrsmitteln an- und abgereist wird. So geht es denn nach dem Mittagessen mit Linienbus und City-Bahn nach Frankenberg und Chemnitz zurück. Fazit: allen hat es Spaß gemacht.
Weil das so bleiben soll, hat Jürgen mit der Gruppe auch den näch-sten Wanderkalender beraten. Das Muldental bei Wolkenburg wird von einigen vorgeschlagen oder eine Tour zur Sternmühle, auch der Rabensteiner Wald. Seine Art, andere einzubeziehen, kommt gut an. Das bestätigt Renate Schulze, die im Club etwas enger mit ihm zusammenarbeitet und für die Wanderungen wirbt. „Berührungsängste gibt es bei mir nicht“, sagt er selbst. „Schließlich hatte ich beruflich stets mit vielen unterschiedlichen Leuten zu tun.“ Das war beim Karl-Marx-Städter Kombinat Textima der Fall, wo er als Außenwirtschafts-Experte gearbeitet hat sowie nach der politischen Wende im Drahtziehmaschinenwerk Chemnitz. Er besitzt auch die angenehme Eigenschaft, über sich selbst lachen zu können. So gibt er gern die Episode zum Besten von der fast unmöglichen, möglich gemachten Umsteigeaktion in Hennersdorf, nachdem er gemerkt hat, dass er mit noch einer Wandrerin in Erdmannsdorf den verkehrten Zug bestiegen hatte.
Seine verbindliche Art prädestinierte ihn auch für die Funktion eines Reiseleiters bei der Volkssolidarität. Ein Nachbar aus seinem Haus in der Carl-von-Ossietzky-Straße hatte ihn im Jahre 2000 dafür gewonnen. Da war er schon Rentner. Besonders schöne Reiseziele stellt er hin und wieder gemeinsam mit Rico Lasseck in seiner Wohngruppe 027 und in anderen Gruppen vor.
Steckenpferd Nummer Eins bleibt für den mittelgroßen, kräftigen und gut beweglichen Mann aber immer noch das Wandern. Das haben er und seine Frau auch auf die vier Kinder und deren Anhang übertragen. So hat jedes Jahr ein Familienmitglied eine große Wanderung für alle Zyllas zu organisieren. Thüringer Wald, Erzgebirge, Alpen – alles ist offen. „Übrigens waren die Hochgebirgstouren im Allgäu ein Kindheitstraum meiner Frau“, bemerkt Jürgen. Wer erfährt, wie er für sein Hobby aufgeht, möchte gleich anstimmen: „Das Wandern ist des Zyllas Lust.“