2009 wurde ich in den Stadtrat gewählt und von den Stadträten wenig später in den Sozialausschuss der Stadt. Aufgrund einer erfolgreichen Klage der FDP-Fraktion, dass die Besetzung eines Ausschusses spiegelbildlich zum Wahlergebnis sein müsse, wurde die Wahl wiederholt. Dabei wurde ich wieder in den Sozialausschuss gewählt und die Oberbürgermeisterin legte aufgrund einer falschen Rechtsauskunft der Verwaltung ihr Veto ein, da die Besetzung wiederum nicht spiegelbildlich sei. Also wurde die Wahl noch einmal wiederholt – und ich wurde wieder gewählt. Es folgte wieder ein Veto der Oberbürgermeisterin, verbunden mit der Warnung, dass die Wahl so lange wiederholt werde, bis ich nicht mehr gewählt werden würde. Dann wurde ich nicht mehr gewählt.
Dieses Vorgehen war aus unserer Sicht nicht rechtens und wir sind dagegen gerichtlich vorgegangen, zunächst indem wir eine einstweilige Anordnung beantragten, damit ich zumindest vorläufig im Sozialausschuss mitwirken kann. Diese wurde im Dezember 2010 vom Verwaltungsgericht Chemnitz abgelehnt und unsere Beschwerde dagegen beim Sächsischen Oberverwaltungsgericht Bautzen im Januar 2011 auch. Begründet wurde dies damit, dass die Wahl alleine durch das Veto der Oberbürgermeisterin ungültig sei. Übrigens wurde im Beschluss erwähnt, dass eine Wahl durchaus nicht zu einer spiegelbildlicher Besetzung führen muss, da dies den Kernmerkmalen einer Wahl widerspräche. Es reiche vielmehr aus, wenn die Wahl jeder Fraktion die gleiche Chance biete, entsprechend ihrer Stärke im Plenum in die Ausschüsse gewählt zu werden.
Nach dieser Ablehnung legten wir Klage beim Verwaltungsgericht Chemnitz ein. Am 30. Mai fand die Verhandlung statt – mit einer überwältigenden Anzahl von Mitgliedern und Freunden der Volkssolidarität Chemnitz im Saal und wegen Überfüllung auf dem Flur. Die Entscheidung wurde an diesem Tag nicht gefällt, sondern mir einige Wochen später zugestellt: Nicht die Begründung des Widerspruchs der Oberbürgermeisterin – also der Verweis auf die Spiegelbildlichkeit – sei maßgeblich gewesen, sondern das rechtzeitige Veto an sich. Dadurch wäre die Wahl nicht wirksam geworden.
Kann eine Oberbürgermeisterin die Wahl eines Stadtratmitgliedes in einen Ausschuss einfach mit ihrem Veto verhindern? Ist eine Wählerstimme für eine Wählervereinigung genau so viel wert wie eine Wählerstimme für eine Partei? Für uns ergaben sich immer mehr Fragen, die wir im Interesse der Wähler geklärt haben möchten. Aus diesem Grund haben wir Berufung eingelegt. Diese wurde nun am Sächsischen Oberverwaltungsgericht Chemnitz am 3. September 2013 abgelehnt.
Das überaus Bemerkenswerte aus der Begründung des Verwaltungsgerichtes Chemnitz ist noch einmal im Beschlusses des Oberverwaltungsgericht wiedergegeben. Darin steht, dass die Oberbürgermeisterin vor der Wahl einen „rechtlich unzutreffenden Eindruck vom Erfordernis einer absoluten spiegelbildlichen Zusammensetzung des Sozialausschusses vermittelt habe. Die Stadträte seien bei ihrer erneuten Beschlussfassung über die Ausschussbesetzung nicht an deren Rechtsauffassung (gemeint ist die Rechtsauffassung der Oberbürgermeisterin, Anm. d. Red.) gebunden gewesen. Zudem habe die ihnen vor der Sitzung am 20. Oktober 2010 ausgehändigte Stellungnahme des Rechtsamtes der Stadt Chemnitz Fundstellenhinweise auf die Rechtssprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts zum Spiegelbildlichkeitsprinzip enthalten, so dass sich die Stadträte selbst über die Rechtslage hätten informieren können. Von einer unzulässigen Willensbeeinflussung könne deshalb keine Rede sein.“
Was soll das nun in der Praxis bedeuten? Die Stadträte bekommen als Grundlage für ihre Entscheidungen Informationen von der Verwaltung zugearbeitet – so wie bspw. die offensichtlich falsche Rechtsauskunft über die Spiegelbildlichkeit. Sie können entweder darauf vertrauen, dass diese richtig sind. Das Ergebnis eines solchen Handelns haben wir in der Wahl zum Sozialausschuss gesehen. Oder sie misstrauen den Zuarbeiten der Verwaltung und recherchieren selber die für ihre Entscheidung wichtigen Informationen. Wie absurd das sein kann, zeigt unser Fall: Stadträte, die selber meist Laien auf dem Gebiet des Rechts sind, sollen erkennen können, dass eine Auskunft offenbar falsch ist, indem sie in den angeführten Quellen (Gerichtsurteile in Juristensprache!) nachlesen und diese richtig verstehen. Eine Leistung, die offenbar nicht einmal das Rechtsamt der Stadt Chemnitz geschafft hat, denn ansonsten kann ich mir nicht erklären, wie man einen „rechtlich unzutreffenden Eindruck vom Erfordernis einer absoluten spiegelbildlichen Zusammensetzung des Sozialausschusses“ vermitteln kann.
Eine weitere Frage beschäftigt mich: Wie demokratisch ist es, dass eine Wahl durch das Veto einer einzelnen Person so lange für ungültig erklärt werden kann, bis das Ergebnis passt?
Wir sind uns noch nicht schlüssig, wie wir mit der abgelehnten Berufung umgehen. Eines wissen wir aber auf alle Fälle: Wir müssen informieren und aufklären, wir müssen die Stadträte dazu aufrufen, die Zuarbeiten der Verwaltung genau zu prüfen und auch einmal in den Quellen nachzulesen, um eine Entscheidung mit gutem Gewissen fällen zu können. Wie diese das in ihrer ehrenamtlichen Funktion schaffen sollen, weiß ich leider aus eigener Erfahrung auch nicht so recht …