„Unsere Kinder brauchen Zeit!“ In minutenlangen Sprechchören war dieser Satz in den frühen Abendstunden des 16. Juni 2014 in der Eingangshalle des Chemnitzer Rathauses zu hören. Begleitet von einem Trillerpfeifen- und Fußballtröten-Konzert machten Erzieherinnen, Eltern, Kinder und Sympathisanten auf die Personalsituation in den Kindertagesstätten aufmerksam.
Zuvor fand eine Kundgebung der Liga der Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege am Roten Turm statt. Fast tausend Teilnehmer waren gekommen, um auf dringend notwendige Veränderungen im Personalschlüssel und den Rahmenbedingungen in den Kindertagesstätten aufmerksam zu machen. Auf Spruchbändern und Plakaten war u. a. zu lesen: „Liebe Politiker/innen: Kopf einschalten – zukunftsweisend denkend – Betreuungsschlüssel ändern“, „Keine Verbesserung Personalschlüssel = Kindeswohlgefährdung“, „Wir brauchen mehr Zeit für die Zukunft von Morgen“ oder „Geiz ist geil – aber nicht bei unseren Kindern“.
Hüpfburg, Rollenrutsche, Seifenblasenmacher u. a. wurden von den Kindern freudig angenommen. Gesponserte Getränke und Imbiss sorgten für gute Laune an diesem schwülwarmen Nachmittag.
Carsten Tanneberger, Leiter der Regionalgeschäftsstelle Chemnitz-Stadt des PARITÄTISCHEN Wohlfahrtsverbandes Sachsen und in diesem Jahr Sprecher der Liga, begrüßte die Anwesenden. Nach der letzten Kundgebung im Oktober 2013 sollte erneut für die Verbesserung der Rahmenbedingungen in Kindertagesstätten aufmerksam gemacht werden. „Den Kindern muss die bestmögliche Qualität zugutekommen“, so Tanneberger. Zu den Forderungen bis 2020 zählte ein besserer Personalschlüssel:
- in der Krippe: 1 Erzieher/in für 4 Kinder (bisher 1:6)
- im Kindergarten: 1 Erzieher/in für 10 Kinder (bisher 1:13)
- im Hort: 1 Erzieher/in für 16 Kinder (bisher 1:20)
20% der Jahresarbeitszeit solle für Vor- und Nachbereitungstätigkeiten zur Verfügung stehen. Ausreichend Zeit für Weiterbildung und Elterngespräche sei genauso wichtig wie die verstärkte Einstellung von Fachpersonal.
Die aktuelle Stadtratssitzung war für ½ Stunde unterbrochen worden, damit die Politiker Gelegenheit hatten, sich vor Ort ein Bild zu machen und sich in Gespräche einzubringen.
Von vielen Stadträten wurde das Angebot wahrgenommen. Von der Fraktionsgemeinschaft VOSI/PIRATEN, die sich zu den Forderungen an den für den schlechten Personalschlüssel zuständigen Freistaat Sachsen bekennt und diese unterstützt, waren Andreas Wolf, Lars Faßmann, Toni Rotter und Fraktionsgeschäftsführer Andreas Felber vor Ort und haben das Gespräch mit Kita-Leiterinnen und Eltern gesucht.
Zu Beginn brachten Erzieherinnen und Kinder der AWO-Kita Schmetterlinge eine neu thematisierte Kurzfassung von Schneewittchen zur Aufführung. Schneewittchen als Erzieherin und sieben Kinder als Zwerge parodierten die Belastung in der täglichen Betreuung und die wenige Zeit. Sie erhielten großen Beifall.
Anschließend ergriff Klaus Bartl, Landtagsabgeordneter von den LINKEN das Wort. Er verwies auf den gemeinsamen Antrag von SPD, den GRÜNEN und den LINKEN an Oberbürgermeisterin Babara Ludwig, sich für die Verbesserung der Situation in den Kitas im Sächsischen Städte- und Gemeindetag sowie im Regionalkonvent einzubringen. Er setzte seine Hoffnungen für die Verwirklichung dieser Forderungen auf den Ende August 2014 neugewählten Landtag, forderte die Eltern auf, mit dem Kandidaten ihres Wahlkreises in Diskussion darüber zu treten, und wies auf ihre Verantwortung als Wähler hin. Im Anschluss an seine von großer Zustimmung begleiteten Rede überreichten ihm Erzieherinnen der Kita Herweghstraße einen Sack mit gesammelten Schlüsseln, die symbolisch für den neuen Personalschlüssel für die Kitas standen.
Carsten Tanneberger betonte, die vielen Aktionen in den Kindertagesstätten im Vorfeld dieses Tages hätten wesentlich dazu beigetragen, viele Eltern zu motivieren, sodass heute fast 1.000 Menschen am Roten Turm erschienen seien. Beim letzten Mal im Oktober 2013 waren es etwa 200 Personen. Er übergab das Wort an Norbert Hocke, Vorstandsmitglied und Leiter des Organisationsbereichs Jugendhilfe und Sozialarbeit der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), der eigens aus Berlin angereist war.
Hocke verlangte eine Änderung der Finanzierung im Bundeshaushalt zugunsten der Kitas und die Schaffung eines Bundes-Kitagesetzes, wie es bereits in vielen europäischen Staaten existiere. Scharf kritisierte er diesbezüglich die jahrelange Augenauswischerei der Bundesregierung.
Abschließend sagte Norbert Hocke, Deutschland sei gerade Fußballweltmeister geworden und forderte die Bundesregierung auf. „Lasst uns nun auch Weltmeister bei der Kinderbetreuung werden!“
Gegen 18:00 Uhr bedankte sich Carsten Tanneberger bei allen so zahlreich erschienenen Eltern, ErzieherInnen, den Kindern und allen anderen Gästen. Für die nächste Veranstaltung fände er es wichtig, vonseiten der Stadtverwaltung dafür Sorge zu tragen, die Teilnahme der kommunalen Kindereinrichtungen zu ermöglichen. Er rief dazu auf, noch zum Rathausplatz zu laufen und die Forderungen dort lautstark den tagenden Stadträten zu bekunden.