Früher pflanzte man ihn ans Haus oder auch an seine Besitztümer, wie bspw. Viehställe. Der Überlieferung nach erhoffte man sich somit göttliche Gnade und Schutz des Eigentums sowie Gesundheit für die Bewohner des Umfeldes. Ging ein Strauchsamen auf dem eigenen Grund und Boden von selbst auf, so deutete man dies als göttliches Zeichen. Daher galt es beispielsweise im germanisch besiedelten Raum als Frevel, den heil bringenden Glücksboten in Baumgestalt zu roden. Unglück oder gar der Tod wurden als strafende Rache gefürchtet. Falls es sich doch als unvermeidlich erwies, einen Holunder zu beschneiden, wurde vorher um Verzeihung gebeten. Schließlich wähnte man eine segensbringende und beschützende Gottheit in diesem Strauch. Später wurde es dann Frau Holle, als Mutter Natur, angedichtet im „Hollerbusch“ zu leben. Vermutlich liegt die Verbindung zu den großen weißen Blütendolden nahe, wodurch uns in der Märchenvariante Frau Holle auch als „Schnee schüttelnde Frau“, bekannt gemacht wird.
Unsere Urahnen wussten die heilenden Eigenschaften für sich zu nutzen. Die verschiedenen gesundheitsfördernden Wirkstoffe in allen Teilen der Pflanze kommen noch heute in der Naturheilkunde zur Anwendung. Ganz gewiss sind deren Heilkräfte kein altertümlicher „Humbug“, sondern glücklicherweise auch bei praktizierenden Schulmedizinern anerkannt.
Das Stichwort Fliedertee bietet sich an, zu der verwirrenden Bezeichnung in Bezug auf den Holunderblütentee (Schwitztee) kurz einzugehen. Der Holunder hieß früher hierzulande tatsächlich Flieder, bevor der heute als duftender typischer Flieder (Syringa vulgaris) bekannte bei uns heimisch wurde. Für den „Fliedertee“ werden also die Blüten des Schwarzen Holunders (Sambucus nigra) aus der Familie der Geißblattgewächse verwendet. Dieser Strauch mit seiner markant strukturierten Rinde und den markreichen Zweigen kann einen baumartigen Wuchs von 3 bis max. 10 Meter erreichen. Von Mai bis Juli fällt er uns mit seinen cremeweißen, großen Blütendolden und mit einem starken süßlichen Geruch besonders auf. Daraus entwickeln sich die typischen schwarz glänzenden Beeren im Herbst.
Die Beeren sind allerdings roh unverträglich für empfindliche Menschen, bspw. für kleine Kinder. Roh wirken sie reizend und können zu Erbrechen oder Durchfall führen.
Vollreife schwarze Beeren werden gekocht und zu Saft, Mus, Gelee oder Likören verarbeitet.
Für den Fliedertee werden ganze Blütendolden getrocknet. Achtung, nicht waschen! Wichtige Inhaltsstoffe würden dabei verloren gehen. Daher unbedingt ein sauberes Umfeld für das Sammeln wählen. Der wirkungsvolle „Schwitztee“ aus den getrockneten Blüten wird bei Fieber und Erkältungskrankheiten angewendet. Auch Rinde und Blätter kommen in der Naturheilkunde zur Anwendung.
Es gibt bei uns noch zwei weitere Holunderarten. Der Rote Traubenholunder (Sambucus racemocsa) mit leuchtend roten Beeren und der niedrig wachsende, giftige Attich – der Zwergholunder (Sambucus ebulus). Beim Ersteren lassen sich die Pflanzenteile wie beim Schwarzen Holunder verwenden. Das Experimentieren mit der Attichpflanze ist jedoch zu unterlassen. Diese dürfte wohl keinem so recht bekommen und kann sogar zum Tode führen. Aber keine Bange, der Attich lässt sich gut daran erkennen, dass er nicht höher als 2 Meter wird. Alles, was darüber wächst, kann getrost gepflückt werden.
Da es zum Holunder so viel Wissenswertes zu vermitteln gibt, möchte ich abschließend noch auf eine historienträchtige Besonderheit hinweisen. Geschichtsinteressierte Menschen haben vielleicht davon gehört, dass sich der Apostel Judas nach seinem Verrat an Jesu an einem Baum erhängt habe. Nach der Legende soll es ein Holunder gewesen sein.
Aufmerksamen Spaziergängern und Naturfreunden wird sicherlich aufgefallen sein, dass oftmals am Holunder ein wirklich eigenartiger Pilz zu finden ist. Das sogenannte Judasohr oder Baumohr (Auricularia auricula). Dem hungrigen Wissenden dient er als willkommene Mahlzeitbereicherung. Ganzjährig, so auch im Winter, lässt sich dieser robuste Pilz bei uns am Holz des Holunders finden. Mit großer Wahrscheinlichkeit hat jeder von uns schon einmal diesen Pilz verzehrt. Das glauben Sie nicht? Dann gehören Sie vermutlich zu den Menschen, bei denen nur Hausmannskost auf den Teller kommt und die auch 25 Jahre nach der politischen Wende noch nie ein asiatisches Gericht angerührt haben. Denn das Judasohr wird uns als schwarze, „gummiartige“ Zutat in diversen fernöstlichen Speisen aufgetischt. Besser bekannt als Mu Err ist er getrocknet im Handel erhältlich. Die Ähnlichkeit des Pilzkörpers mit einer Ohrmuschel ist oftmals gegeben. Daher kommt in Bezug auf die überlieferte Begebenheit mit Judas der interessante Name zustande. Der zähe Pilz quellt durch Feuchtigkeit auf und hat einen milden Geschmack. In der chinesischen Medizin gilt er als wertvoller Vital-Pilz. Seine Inhaltsstoffe wirken u. a. cholesterinsenkend und entzündungshemmend. Auf Ihre Gesundheit!
Hiermit erkläre ich die Pilzsaison als eröffnet und verbleibe mit herzlichen Grüßen
Ihr Andreas Wolf