Die Sieben und der Schatz über der Wenzels-Kapelle

Wer den Veitsdom auf der Prager Burg durch das Südportal, das sogenannte Goldene Tor, betritt, stößt zur Rechten gleich auf die von Peter Parler im Jahre 1366 errichtete Wenzels-Kapelle, unter der sich das Grab des Landesschutzpatrons befindet. In einer Ecke des Raums sieht man eine starke eiserne, reich mit gekreuzten Bändern geschmückte, spätgotische Tür. Sieben Schlösser, unter Verzierungen versteckt, müssen mit sieben verschiedenen, kunstvoll gefertigten Schlüsseln geöffnet werden, will man durch die über zwei Meter hohe und nicht ganz einen Meter bereite Pforte hindurch. Steil ist die Wendeltreppe, die dann folgt, der einzige Zugang hinauf zu dem Gewölbe über der Kapelle, wo die Krönungskleinodien der böhmischen Könige – die goldene, prächtig geschmückte Wenzels- oder auch Karlskrone, der Reichsapfel, das Zepter und das Schwert – aufbewahrt werden. So hat die Zahl der Türschlösser, die Sieben, im wahrsten Sinne des Wortes eine goldene Bedeutung. Ermessen kann sie der Besucher, der das Glück hatte, die Herrscher-Insignien zu einer der seltenen Ausstellungen im alten Königspalast der Burg zu betrachten. 

Die Krone aus der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts, auf Geheiß Karls IV. im 14. Jahrhundert mehrfach umgearbeitet, ist aus 22-karätigem Gold gefertigt. Ihr Reifen wird von vier Segmenten gebildet und hat einen Durchmesser von 19 Zentimetern, einen Innenumfang von 61 Zentimetern. Von jedem Segment strebt in der Mitte ein gotisches Dreiblatt, auch als Lilie bezeichnet, empor. Die Form wird vervollständigt durch zwei sich im rechten Winkel überschneidende  Bügel mit einem Kreuz im Schnittpunkt. Das Gewicht der Krone beträgt 2.358,3 Gramm. Der Wert des Kleinods wird gesteigert durch 20 Perlen  und 95 Edelsteine in verschiedenen Größen, unterschiedlich bearbeitet, darunter sechs von den zehn größten Saphiren der Welt. 

Höher als der Wert des ganzen edlen Materials und der künstlerischen Gestaltung wird der moralische Gehalt eingeschätzt. Mit der Krone verbanden schon die Premyslidenfürsten, vor allem Wenzel I. und Premysl Otakar II., sowie ihre Nachfolger das Streben, den böhmischen Staat zu einem gleichberechtigten Mitglied des mittelalterlichen Europas zu machen. Die Premysliden waren das erste tschechische Fürstengeschlecht vom 9. Jahrhundert an bis 1306. 

Bewegt, wie das Schicksal des Landes, ist auch das der Kleinodien. In kriegerischen Zeiten wurden sie hinter den starken Mauern der rund 35 Kilometer von Prag entfernt gelegenen Burg Karlstejn aufbewahrt. Sinnbild für den Kampf des tschechischen Volkes um seine Unabhängigkeit waren sie unter der jahrhundertelangen österreichischen Fremdherrschaft. Im zähen politischen Ringen gelang es dem Volk und dem böhmischen Landtag nach dem letzten Krieg zwischen Preußen und Österreich die Krone, Zepter, Apfel und Schwert den Händen der Habsburger zu entreißen. Das war im Jahre 1867. Damals beschloß der Landtag, dass  sieben Schlösser und ebenso viel Schlüssel für die Tür zur Schatzkammer im Veitsdom zu fertigen seien. Dabei ging es nicht um eine Glückszahl. Die Schlüssel waren für die höchsten Repräsentanten des Landes gedacht.  Das waren eben sieben. Und nur, wenn alle sieben übereinkommen, lässt sich die Tür öffnen. Zu den sieben Schatz-Hütern zählen unter anderem der Präsident des Landes und der Regierungschef, der Erzbischof und der Primator (der Oberbürgermeister) von Prag.

aus VS Aktuell 1/2017, erschienen im  VS Aktuell 1/2017