Bei der „kulturellen Brille“ handelt es sich nicht um ein neues Design, eher um einen alten Hut. Das und einiges mehr konnten am 9. Juni die Teilnehmerinnen des interkulturellen Trainings erfahren, welches von Damaris Trommer, pädagogische Mitarbeiterin, und Katharina Schwarz, Teamerin für politische Bildung vom Verein Arbeit und Leben Sachsen e. V., geleitet wurde.
Was ist Kultur? Ein Orientierungssystem, das Wahrnehmung, Denken, Handeln und die Werte der Menschen beeinflusst – bewusst und unbewusst. Es wird in jeder Kultur erlernt und weitergegeben.
Was macht die deutsche, die sächsische und die muslimische Kultur aus? Die Teilnehmerinnen stellten in drei Gruppen jeweils Typisches heraus, wobei es die dritte am schwersten hatte. Veranschaulicht wurde das anhand der „Kulturzwiebel“. Wie dieses Gemüse hat jede Kultur verschiedene Schichten und je tiefer man vordringt, desto schwieriger werden konkrete Aussagen. Sichtbares wie Symbole und Erfahrbares wie Verhaltensvorbilder können eher erfasst werden, als bestimmte Rituale oder schlussendlich Normen und Werte.
In der Gegenwart spielt das Hineinwachsen in andere Kulturen wie auch die Anpassung an sie eine immer größere Rolle. In einer Gesellschaft, die von unterschiedlichen Gruppen von Menschen geprägt wird, kommt es darauf an, übergreifende Gemeinsamkeiten zu entdecken. Auf einprägsame Art wird das im Video „All that we share“ eines dänischen Fernsehsenders veranschaulicht: Gruppen aus verschiedenen Schichten, unterschiedlicher Herkunft, Berufe usw. scheinen keine Gemeinsamkeiten zu haben. Nach persönlichen Fragen des Moderators bspw. „Wer tanzt gern?“ oder „Wer war in der Schule der Klassenclown?“ treten aus den Gruppen Menschen heraus und stellen fest, mehr gemeinsam zu haben, als anfänglich angenommen. Wie jeder damit umgeht, es versteht, offen für Fremdes zu sein, Fremde willkommen zu heißen und in der neuen Heimat zu unterstützen, wurde dabei herauskristallisiert.
Nach einem Frage- und Mitmachkomplex zu eigenen Werten und Vorstellungen begaben sich die Teilnehmerinnen auf die Reise zur Insel „Albatros“ und mussten durch die Bank feststellen, wie sehr sie selbst von selektiver Wahrnehmung und Vorurteilen beeinflusst werden: Als „Reisende und Forscher“ auf diese Insel gekommen, sollten sich die Teilnehmerinnen ein Bild von den dort herrschenden Sitten machen. Die Tür ging auf und ein Mann (dargestellt von Manuela Tuchscherer) und eine Frau mit Kopftuch (Katharina Schwarz) kamen hintereinander gehend herein. Der Mann vorne, die Frau dahinter – friedlich summend umrundeten sie die Gruppe. Später nahm der Mann auf einem Stuhl Platz, die Frau zu seinen Füßen. Er kostete zuerst die mitgebrachten Erdnüsse, danach die Frau. Dann drückte er die Frau mit der Hand noch weiter nach unten. Schließlich erhoben sie sich wieder, umrundeten die Gruppe mit leisem Summen und verschwanden. Die Teilnehmerinnen reflektierten aus dem Gesehenen auf Sitten und Gebräuche auf Albatros und kamen zu dem Schluss, es handele sich um eine Kultur, in der die Frau diskriminiert und dem Mann untergeordnet ist – ein Patriarchat. Die Kursleiterinnen erstaunten alle mit den wirklichen Sitten auf der Insel, die das genaue Gegenteil des durch unsere „kulturelle Brille“ Beobachteten waren: Frauen genießen auf Grund der Nähe zur höchsten Göttin Erde ein hohes Ansehen, die Männer beschützen sie, wenn sie vorangehen und Ausschau nach Gefahren halten und haben ebenso die Pflicht, das Essen vorzukosten. Um Kontakt zur Gottheit und dadurch Energie zu erhalten, legen sie die Hand in den Nacken der Frau, die mit der Stirn die Erde berührt.
Mit einem Film wurde nun die Wahrnehmung getestet. Die Aufgabenstellung: Es sollte gezählt werden, wie oft sich eine der beiden Mannschaften den Ball zuspielt. Nachdem das Ergebnis bekannt war, wurde gefragt, wer den kickboxenden Gorilla gesehen hat. Nur ganz wenige haben darauf geachtet. In der Wiederholung, ohne die Zählaufgabe, war er offensichtlich zu sehen.
Das abschließende Thema war die „Kommunikation“. Wie Menschen aus unterschiedlichen Kulturen einen gleichen Sachverhalt ausdrücken, wurde am Beispiel eines missratenen Hamburgers demonstriert.Wieder eine Gruppenübung: Welche Unterschiede zeigen sich dem Beobachter eines Gespräches, das einmal mit Gestik, Augenkontakt und Berührung des Gegenübers und dann monoton und ohne Blickkontakt stattfindet. Wie stellen sich die Befindlichkeiten des Gesprächspartners dar? Wie wichtig ist also die nonverbale Kommunikation? Und die verbale – bspw. im Umgang mit ausländischen Kollegen? Die wichtisgten Regeln: Zeit nehmen! Langsam und deutlich in kurzen Sätzen sprechen und einfache Worte wählen. Keine Kindersprache, kein Dialekt und nicht lauter werden! Im täglichen Alltagsstress ist das sicher nicht so einfach …
Resümee: Ein interessanter und abwechslungsreicher Tag, der alle Teilnehmerinnen sehr ansprach, der die Augen öffnete und zum Nachdenken über die eigenen „kulturellen Brillen“, die eigene Wahrnehmung, zu lernen, offener gegenüber fremden Kulturen, deren Sitten und kommunikativen Eigenarten zu sein.