„In diesem Rokokosessel mit dem zarten Blumenmuster zwischen den schmalen Streifen hat Casanova am liebsten gesessen“, sagt die Schlossführerin. Nach ihren Worten benutzte er ihn, wenn er seine umfangreiche Korrespondenz erledigte. Mitunter mag er ihn ans Fenster des Gemachs gestellt und, darin sitzend, über sein bewegtes Leben sinniert haben, als er hier, auf Schloss Duchcov in Nordböhmen, seine Memoiren geschrieben hat.
Die Begleiterin der Touristengruppe spricht von einem im Sessel verborgenen Geheimnis, das sie lüften will. Gibt es nur eines? Wie viele wüsste dieser Sessel mit seinen vergoldeten Lehnen und Ziegenbeinchen zu erzählen, könnte er sprechen?! Seine letzte Rose soll der alternde Charmeur einmal im Winter der jungen Gräfin Waldstejn geschenkt haben. Zuvor sei er mit ihrem Gatten die Wette eingegangen, dass artiges, ritterliches „den-Hof-machen“ das Herz einer Dame eher bezaubere als rasche Draufgängerei. Dabei habe er fast gewonnen. Ob dieses Histörchen stimmt oder nicht – vielleicht weiß es der Sessel oder der prächtige venezianische Spiegel, der in einem Nebenraum zu bewundern ist.
Den Winter des Lebens, seine letzten zwölfeinhalb Jahre, hat Gian Giacomo Geronimo Casanova, geboren am 2. April 1725 in Venedig, auf dem Schloss des Grafen Josef Karl Waldstejn verbracht. Im Zentrum der Kleinstadt Duchcov ist der über 300 Jahre alte Bau die Dominante. Mit seinen zwei Flügeln, von denen der rechte durch die Marienkirche abgeschlossen wird, nimmt er die gesamte Nordwestseite des Marktplatzes ein.
Nach dem jeweiligen Zeitgeschmack seiner Besitzer modifiziert, vereint das Schloss in sich verschiedene Baustile. Renaissance, Barock und Klassizismus haben ihm das Gepräge gegeben. Expositionen von Möbeln des Barock, Rokoko und Klassizismus, von Porzellanen aus Delft, Meißen und Wien sowie von böhmischem Zinn und Glas rufen beim Besucher ehrliche Bewunderung für die Meister vergangener Zeiten hervor. Ebenso reizvoll werden die architektonische Gestaltung und die Ausschmückung des zwei Etagen hohen Hauptsaales in der Mitte des Gebäudes empfunden. Der große Raum bietet eine hervorragende Akustik.
Die umfangreiche Bibliothek des Schlossherren zu verwalten, sollte Casanovas Aufgabe sein, als er im Herbst 1785 hier ankam. Allerdings benutzte der Graf seinen großen Bücherschatz recht selten, so dass der Italiener die meiste Zeit zur eigenen Verfügung hatte. Hier, am Südhang des Erzgebirges, wo die wilde Romantik steil abfallender Berge stark mit der Ruhe sanfter Gärten und Parks kontrastiert, schuf er einige literarische Werke, die ihn über seinen Tod hinaus in vielen Ländern bekannt machten. Dazu gehören „Die Geschichte meiner Flucht aus dem Gefängnis der Republik Venedig, die Bleikammern genannt, geschrieben in Duchcov in Böhmen im Jahre 1787“ und seine umfangreichen Memoiren. Beide Werke wurden in Leipzig verlegt und geben bei aller Fantasie, die der Autor walten ließ, ein einigermaßen brauchbares Gesellschaftsbild seiner Zeit. Zwischen den reißerisch aufgemachten oder galant geschilderten Abenteuern spürt man Ansätze scharfsinniger Analyse der herrschenden Verhältnisse.
Auf Grund von Feindschaften und Intrigen war Casanova am 27. Juli 1755 in die „piombi“, niedrige Zellen unter dem bleigedeckten Dach des Dogenpalastes, geworfen worden. In der Nacht vom 31. Oktober zum 1. November 1756 gelang ihm und einem Mitgefangenen die Flucht. Danach hat der Sohn eines Schauspielers und einer Sängerin ganz Europa bereist. Er verkehrte an den Höfen Ludwigs XV. und Katharinas II. Als Finanzbevollmächtigter gewann er im Haag bedeutende Geldmittel für den französischen König. Er machte die Bekanntschaft von Voltaire und Rousseau, war ein geistreicher Gesellschafter und glänzender Kavalier aber auch ein erfolgreicher Betrüger, Spion der venezianischen Inquisition und Hochstapler. Ein Zeitgenosse sagte von Casanova, dass er vor Geizigen den Reichen spielt, vor schönen Frauen den Dichter und vor einflussreichen Leuten den Politiker. Um mehr zu scheinen, legte er sich zuweilen den Titel Baron de Seingalt zu. Während seiner Glanzseiten ließ er sich von zwei Dienern und einem Sekretär begleiten. Gegen Ende seiner „Laufbahn“ reiste er allein und verlassen. Josef Karl von Waldstejn traf ihn 1785 im Kurort Teplice. Der inzwischen 60-jährige Casanova war gerade auf dem Weg nach Berlin, wo er um eine neue Anstellung nachsuchen wollte. Dieses nicht sehr aussichtsreiche Unterfangen gab er bei dem Angebot des Grafen, nach Duchcov zu kommen, auf und willigte ein, dort Bibliothekar zu werden.
Wer die Zimmerflucht im linken Flügel des Schlosses, die dem „ewig jungen Herzensbrecher“ eingeräumt war, heute besucht, muss zugeben, dass es den Gestaltern der Exposition gut gelungen ist, ein abgerundetes Bild von Persönlichkeit und Zeit zu geben. Porträts des jungen und älteren Casanova, seiner Verwandten, Freunde und Gönner an den Wänden, Möbel und Uhren, Spiegel und Kleidungsstücke atmen den Geist des 18. Jahrhunderts. Hier findet sich auch eine Kopie des Bildes seiner ersten Geliebten in Paris, Luison O’Murphy. Die Schöne trat Casanova nach einer Audienz bei Ludwig XV. an den Herrscher ab. Eine umfangreiche grafische Darstellung von hauptsächlichen Reisen Casanovas, Korrespondenzen, Bücher sowie verschiedene Nippes sind zu betrachten und – der Lieblings-Sessel. Darin sitzend starb der altgewordene Glückssucher am 4. Juni 1798 in Gegenwart des Grafen Waldstejn.
Das mit dem Sessel verbundene Geheimnis erzählt die Schlossführerin nur, wenn sich ein „mutiger“ Mann aus ihrem Zuhörerkreis findet, der sich auch hineinsetzt. Wer nämlich darin gesessen hat, erklärt sie dann mit spitzbübischer Verschwörermiene, soll auf die Damenwelt künftig so verführerisch wirken, wie sein einstiger Besitzer. Nun ja, es sitzt sich ganz angenehm auf dem weichen Rokokopolster.