Wenn Sie auf die vergangenen Jahre zurückblicken, was hat sich am meisten verändert?
Die Arbeitswelt hat sich verändert. Durch die zunehmende Digitalisierung ist unser Leben – auch auf Arbeit – immer rasanter geworden. Als ich damals als Sozialarbeiterin anfing, hatte ich zwar einen gebrauchten Rechner auf meinem Arbeitsplatz stehen, verwendete diesen jedoch eigentlich nur als bessere Schreibmaschine. Mal schnell ins Netz schauen, um eine Telefonnummer oder bspw. Informationen zu einem Angebot zu recherchieren, ging da noch nicht. Stattdessen wurden Telefonbücher gewälzt bzw. Broschüren gesammelt und durchsucht. Heute geht in Sekunden, was damals viel Zeit in Anspruch genommen hat. Es werden zwar noch Briefe per Post verschickt, vorwiegend kommunizieren wir jedoch selbst mit Behörden und Ämtern per E-Mail. Das hat ganz neue Erwartungshaltungen geweckt. Früher war ein Brief erst einmal ein paar Tage zum Empfänger unterwegs, wurde dann von diesem bearbeitet und beantwortet. Es vergingen wieder ein paar Tage, bis die Antwort auf dem Schreibtisch lag. Das war eben so und wurde damals so eingeplant. Heute sind die Nachrichten fast sofort zugestellt und oft wird vom Absender erwartet, dass seine Anfrage innerhalb weniger Stunden beantwortet wird, selbst nach dem Feierabend, denn man könne ja die E-Mails auf dem Smartphone abrufen. Solche Erwartungshaltungen bspw. von Angehörigen sind für unsere Kollegen eine Herausforderung und wir müssen hier ein gesundes Maß finden – auch, um unsere Mitarbeiter nicht zu überfordern. Manche Dinge brauchen eben ihre Zeit.
Was hat Sie am meisten beeindruckt?
Nach wie vor bin ich davon begeistert, wie sich Mitglieder von Wohlfahrtsverbänden für ihre Vereine und vor allem für andere Menschen einsetzen. Besonders beeindruckt mich bei der Volkssolidarität, dass hier oft die Rücklaufgelder aus den Mitgliederbeiträgen nicht nur für die Organisation von Veranstaltungen genutzt werden, sondern vor allem, um kranken oder hochbetagten Menschen Glückwünsche und ein kleines Präsent zu überbringen und ihnen dabei vor allem die persönliche Zeit zu schenken. Diese Selbstlosigkeit und das unermüdliche ehrenamtliche Engagement unserer Mitglieder beeindrucken mich zutiefst. Genauso bin ich immer wieder von der Einsatzbereitschaft und vom Potenzial unserer haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeiter überwältig, sei es bspw. bei der dringend notwendigen Unterstützung und Betreuung von Flüchtlingen im Jahr 2015 oder bei der Evakuierung fast eines ganzen Stadtteiles aufgrund eines Bombenfundes im vergangenen Jahr. Wie selbstverständlich haben viele ihre Freizeit geopfert und ohne viel zu fragen einfach mit angepackt. Und auch im Alltäglichen bringen sich viele ehrenamtlich und uneigennützig ein.
Ich bin auch immer wieder von der Zusammenarbeit der Vereine und Initiativen untereinander in der Stadt Chemnitz angetan. So z.B. sitzen die Wohlfahrtsverbände seit Jahren regelmäßig gemeinsam am Tisch und beraten – hier nicht als Konkurrenten, sondern als Partner. Man setzt sich gemeinsam für Verbesserungen im sozialen Bereich ein und unterstützt sich gegenseitig. In Notsituationen ziehen alle – ob groß oder klein - an einem Strang, um zu helfen, wo Hilfe benötigt wird.
Welchen Herausforderungen muss sich die Volkssolidarität Chemnitz stellen?
Die eben schon erwähnte Schnelllebigkeit ist eine Herausforderung, die übrigens noch andere Facetten hat. So werden bspw. Gesetze und Regelungen erlassen, ohne dass ausreichend Zeit gegeben wird, sich darauf einzustellen.
Neben der Arbeitswelt hat sich auch der Arbeitsmarkt stark verändert. Als ich damals als Sozialarbeiterin anfing, habe ich mich bei verschiedenen Trägern beworben und war glücklich, als ich die Zusage von der Volkssolidarität für eine zunächst befristete Stelle erhalten habe. Heute ist das in vielen Branchen oft anders. Nicht der Arbeitnehmer muss sich beim potenziellen Arbeitgeber bewerben, sondern der Arbeitgeber beim Arbeitnehmer. Das gilt übrigens nicht nur für die Pflegeberufe, bei der sich Pflegefachkräfte mittlerweile aussuchen können, bei welchem Träger es ihnen besser gefallen könnte. Das ist für uns und unsere Führungskräfte eine weitere Herausforderung, der wir uns aber bereits sehr konstruktiv stellen, indem wir bspw. mit der geplanten Einführung eines Betrieblichen Gesundheitsmanagements die Arbeitsbedingungen unserer Mitarbeiter stetig verbessern. Die Ausbildung von jungen Menschen aus dem In- und Ausland und ihre gute Betreuung während der Ausbildungszeit gehören auch dazu.
Letztendlich stellen wir uns immer wieder den kleinen und großen Herausforderungen, die ein großer Verein mit sich bringt. Wir müssen uns so aufstellen, dass der Betrieb der sehr unterschiedlichen Einrichtungen unseres Verbandes finanziell und personell stets sichergestellt ist. Jeder unserer Mitarbeiter trägt dazu bei, im Interesse der von uns betreuten Menschen das Große und Ganze unseres Vereins zu tragen.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Ich wünsche mir weiterhin den Zusammenhalt der Menschen und deren Einsatz für den Erhalt des sozialen Friedens. Darüber hinaus erachte ich die Verbesserung der Personalschlüssel bspw. im Bereich der Pflege und Kindertagesstätten als unbedingt erforderlich – hier im Sinne der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und ebenso für die Betreuten.
Wenn ich an die Digitalisierung, die Arbeitsmarktsituation und die Gesetze denke, so glaube ich, dass es ganz wichtig ist, dass die Rahmenbedingungen so sind, dass sich der einzelne Mensch in diesen bewegen und entfalten kann, ohne überfordert zu werden.
Ich wünsche mir sehr, dass dieses einzigartige System der Nachbarschaftshilfe in der Volkssolidarität und das gelebte „Miteinander – Füreinander“ noch viele Jahrzehnte erhalten bleibt und immer wieder Menschen nachkommen, die sich gern – ob haupt- oder ehrenamtlich – für ihre Mitmenschen einbringen.