Wie Karl Marx in die Stadt an der Chemnitz kam

Von Trier an der Mosel bis Peking im fernen China wird in diesem Monat Mai an Karl Marx erinnert. Am Sonnabend, den 05.05.2018, vollendete sich der 200. Geburtstag des Geistesriesen. Und riesig erhebt sich sein Denkmal im Zentrum von Chemnitz. Bisher hat keine andere Stadt ein Abbild von ihm in dieser Größe. Der nachdenklich, ja sogar etwas streng blickende Kopf erreicht eine eigene Höhe von 7,10 Metern. Er steht auf einem 4,50 Meter hohen Sockel, der mit ukrainischem Korninski-Granit verkleidet ist.

Die ursprüngliche Idee, hier ein Marx-Denkmal zu errichten, hatte der Kommunist Max Müller, erinnert sich der frühere Stadtbaudirektor Karl Joachim Beuchel. Aus Nazi-Haft befreit, kam Max Müller im Mai 1945 wieder in seine Heimatstadt Chemnitz. Ihr Oberbürgermeister war er vom November 1945 bis zum August 1952, danach bis 1960 Vorsitzender des Rates des Bezirkes Karl-Marx-Stadt. Sein Bestreben, ein Ehrenmal für den Revolutionär zu schaffen, habe er jedoch zunächst zurückgestellt. Schließlich galt seine ganze Kraft erst einmal dem Wiederaufbau nach dem zerstörerischen Weltkrieg.

Aber in der zweiten Hälfte der 60er Jahre spielte das Vorhaben Karl-Marx-Denkmal nach Informationen von Joachim Beuchel im Zusammenhang mit der Gestaltung des Zentrums eine maßgebliche Rolle. Walter Ulbricht weilte am 25. Juni 1965 zur 800-Jahr-Feier in Karl-Marx-Stadt. Nach einem Rundgang im Freien billigte er im Rathaus das Modell der künftigen Stadtmitte. Dabei entschied er, mit dem bekannten sowjetischen Bildhauer Lew Kerbel sei die Errichtung eines Marx-Monuments an zentralem Platze zu vereinbaren. Das von dem Künstler in Moskau 1961 errichtete Denkmal des Philosophen hatte ihn offenbar tief beeindruckt.
Mehrfach weilte dann der Moskauer von 1966 an in unserer Stadt, um sich mit den hiesigen Gegebenheiten vertraut zu machen. Und Joachim Beuchel besuchte ihn einige Male in der Sowjetmetropole, wo er sich vom Fortgang des Projekts, angefangen bei den Entwürfen, überzeugt hat. Die Grundsteinlegung erfolgte am 3. Oktober 1969.

Zwei Jahre später, am 9. Oktober 1971, wurde das Werk vor einer großen Menschenmenge feierlich übergeben.

Das gewaltige, freistehende Porträt war an Ort und Stelle aus einer beträchtlichen Anzahl von Bronzegussteilen zusammengefügt worden. Schweißer des von Kerbel beauftragten Leningrader Gießereibetriebes und des Chemieanlagenbaus Germania arbeiteten gemeinschaftlich daran. Dazu kam dann noch der große Schriftspiegel am Verwaltungsgebäude im Hintergrund.

Zwei Karl-Marx-Städter Künstler, der Diplomgrafiker Heinz Schumann und der Bildhauer Volker Beier, waren von den damals zuständigen Stellen der Kommune beauftragt worden, mit Lew Kerbel bei der Gestaltung des monumentalen Ensembles zu kooperieren. Der Professor habe von ihm einen Entwurf gewollt, der zu Marx passt, so Schumann. Und Beier hatte die bildhauerische Realisierung zu über­ nehmen. Die Arbeiten bei dieser großen Aufgabe bezeichnet der Bildhauer, der seit einiger Zeit in Leukersdorf bei Chemnitz lebt, als einen Meilenstein in seiner künstlerischen Entwicklung. ,,Wir haben uns gründlich mit dem anspruchsvollen Vorhaben befasst, und es war für uns wichtig, dass Professor Kerbel das Resultat akzeptiert  hat“, betont er. Auch Heinz Schumann denkt noch immer gern an das Zusammenwirken mit dem Moskauer Meister. Voller Tatendrang machten sich die beiden an die Gestaltung des Großreliefs. Es ist zusammengesetzt aus Platten einer speziellen Aluminium-Legierung, die noch immer jeglichen Wettern standhalten. Auf 400 Quadratmetern zeigt es in vier Sprachen die Losung aus dem von Marx und Engels verfassten Kommunistischen Manifest:
„Proletarier aller Länder, vereinigt euch !“

Schriftspiegel und Porträt bilden miteinander eine einmalige architektonische Lösung, wie Volker Beier meint, ganz im Sinne Kerbels. Der hatte einmal gegenüber Joachim Beuchel geäußert, dass er nicht einfach die Abbildung der Person Marx schaffen, sondern mit dem Monument etwas Neues hervorbringen wollte. Der Betrachter solle sich auf den denkenden Kopf konzentrieren, dem die weltbewegenden Ideen entsprungen sind. 

aus VS Aktuell 2/2018, erschienen im  VS Aktuell   VS Aktuell 2/2018