Wenn Marion Weißflog kurz vor sechs mit einem kleinen und dennoch spritzigen Auto der Sozialstation die Tiefgarage der Wohnanlage Clausstraße verlässt, klingelt bei vielen erst noch der Wecker. Vor allem im Winter, wenn es nachts geschneit hat, genieße sie es, als erster auf den noch schneeweißen Straßen zu fahren. Etwa eine Stunde ihres Arbeitstages verbringt die Pflegefachkraft auf dem Weg zu den von ihr betreuten Menschen im Fahrzeug. Natürlich steht sie dabei auch ab und an im Stau oder sucht länger nach einem Parkplatz. Gegen Beschwerden, wenn sie doch einmal fünf Minuten zu spät kommt, kennt sie ein Rezept: „Die kann man oft weglächeln.“
Die heute 55-Jährige hatte ursprünglich den Beruf der Lederhandschuhnäherin gelernt, in diesem gearbeitet und sollte ihren Meister in diesem Handwerk machen. Doch die Wende überwarf diesen Plan. Gerade einmal drei Monate ohne Arbeit, ging sie mit einer Zeitungs-Annonce in der Hand zum Arbeitsamt und bat um eine Umschulung zur staatlich anerkannten Altenpflegerin. Aus ihrer Not entwickelte sich die Liebe zu einem neuen Beruf. Nach dem erfolgreichen Abschluss bewarb sie sich bei mehreren Trägern und wurde auch von der Volkssolidarität eingeladen. Gleich am Tag ihres Vorstellungsgespräches unterschrieb sie den Arbeitsvertrag und begann ihre Tätigkeit in der Sozialstation Limbacher Straße. „Ich war froh, etwas gefunden zu haben, wusste jedoch nicht so recht, was auf mich zukommt“, erinnert sich Marion Weißflog, „die ambulante Pflege war ja in der Umschulung nicht mit drin.“ Sehr gut kam sie mit ihrer neuen Tätigkeit, den Patienten und ihren Kollegen zurecht. Ab 2003 half sie als „Springer“ zudem in der Sozialstation Clausstraße aus. Eines Tages im Jahr 2008 bat sie deren Leiterin Ilona Göricke, zu bleiben – und sie blieb.
Durch ihren neuen Beruf hätten ihre Kinder sehr schnell selbstständig werden müssen. Gerade erst in die Schule gekommen, gingen sie nach der Umschulung schon alleine dorthin. Und wenn die Mutti Spätschicht hatte, fanden die Kinder das Abendbrot im Kühlschrank. Das sei damals noch normal gewesen, man müsse den Kindern vertrauen und sie zu selbstständigen Menschen heranwachsen lassen.
Ihr Beruf habe sehr viele schöne Seiten. Ältere Menschen hätten oft viel zu erzählen und wenn man zum ersten Mal in ihre Wohnung kommt, dann würde oft auch diese erzählen: Was für ein Mensch wohnt hier? Welche Erfahrungen hat er? Was hat er alles schon erlebt? Einer Pflegefachkraft werde viel Vertrauen entgegengebracht, Vertrauen in die Pflege und Vertrauen in den anderen Menschen. Man entwickle ein Feingespür für die Anliegen der Patienten, für ihre Sorgen und ihre Freuden. Traurig und oft hart sei, wenn ein Leben zu Ende geht. Dann könne man zwar den Palliativdienst hinzunehmen, für sich selber müsse man jedoch einen persönlichen Weg finden. Positives Denken sei in der Pflege sehr wichtig.
Außerdem habe sie ihre Kollegen, mit denen sie jederzeit über alles Erdenkliche reden kann. Eine Pflegefachkraft in der ambulanten Pflege sei eben nicht wie oft gedacht ein Einzelkämpfer. Das wäre eines der vielen unberechtigten Vorurteile gegenüber dem Beruf. Die Mitarbeiter sehen sich, wenn sie ihre Touren vorbereiten, manchmal bei einer gemeinsamen Mittagspause und noch einmal nach der Tour. „Mir gefällt das Motto der Volkssolidarität, dieses ‚miteinander – füreinander‘, welches auch in unserem Team gelebt wird.“
Gegen 13 Uhr ist Marion Weißflog von ihrer Tour zurück in der Sozialstation und nimmt am Schreibtisch im Dienstzimmer Platz. Die Dokumentation sei nicht nur als Nachweis und Absicherung notwendig, sondern auch, damit bspw. der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) sehen kann, wie sich der Pflegebedarf eines Menschen entwickelt, um wenn notwendig den Pflegegrad anzupassen bzw. zu erhalten. Für jeden Patienten wird eine sogenannte „Strukturierte Informationssammlung“ erstellt. Hinter der sperrigen Bezeichnung verbirgt sich ein computergestütztes Verfahren, bei dem der Patient mit seinen Problemen und Ressourcen erfasst wird. Auf dieser Grundlage wird ein Maßnahmenplan erarbeitet, der immer wieder auf dem aktuellen Stand gehalten wird. Als stellvertretende Pflegedienstleiterin der Sozialstation ist Marion Weißflog auch dafür mit zuständig. Die Qualifikation erhielt sie nach einer einjährigen Weiterbildung zur Pflegedienstleiterin im Jahr 2010.
Genauso wie auf ihr Team lässt sie auf Pflegedienstleiterin Anett Kästner und Einrichtungsleiterin Ilona Göricke nichts kommen. Beide würden das Team gut zusammenhalten. Die Fluktuation sei gering, das Team stabil, das würden auch die Patienten spüren. Wenn doch mal ein Kollege aus dem Team ausscheidet, dann geht er meist in den wohlverdienten Ruhestand. Marion Weißflog ist sich sicher „Ich gehe nicht wieder weg, hier habe ich meine Berufung gefunden, kann mein Wissen und meine Fähigkeiten anwenden.“