Am ersten Wahlgang (20.09.2020) für ein neues „Stadtoberhaupt“ beteiligten sich rund 50 % der wahlberechtigten Einwohner. Da keiner der neun Kandidaten die erforderliche Mehrheit für sich verbuchen konnte, musste ein zweiter Wahlgang (11.10.2020) angesetzt werden. Dabei sollte es laut Medien ein Duell zwischen den beiden stimmenstärksten Konkurrenten Sven Schulze von der (SPD; 23,9 % / 34,9 %) und Almut Patt (CDU; 21,4 % / 22,0 %) werden.
Nachdem Volkmar Zschocke als Kandidat von Bündnis 90 / Die Grünen (7,1 %) zum zweiten Wahlgang nicht mehr antrat und es seitens seiner Partei eine Initiative gab, dafür die Kandidatin der Linken Susanne Schaper (15,2 % / 16,1 %) zu stärken, wurde es besonders um den parteilosen Kandidaten Lars Faßmann (11,9 % / 13,8 %) interessant, vor allem die Nichtwähler mobilisieren zu können. Kreativität und Engagement könnten auch die „Stadt der Moderne“ besser voranbringen. Das Ergebnis kann sich sehen lassen, wenn man bedenkt, dass Lars Faßmann seinen Wahlkampf selbst bestreiten musste. Unabhängige Initiativen, die den großen Anteil der parteilich nicht gebundenen Bevölkerung zu den Wahlen eine Alternative anbieten wollen, stehen dabei vor einer besonderen Herausforderung. Die Parteien können zumindest auf ihre Strukturen und Finanzierungsmöglichkeiten zurückgreifen. Die Werte für den Kandidaten der AFD lagen bei 12,2 % und 13,2 %. Die Kandidaten von Pro Chemnitz, den Freien Wählern und „Die Partei“ sind im zweiten Wahlgang nicht noch einmal angetreten.
Im Vergleich zu den vergangenen OB-Wahlen mit noch geringerer Wahlbeteiligung wurde die Aktivierung von 46,86 % der wahlberechtigten Bevölkerung für den zweiten Akt allgemein als positiv eingeschätzt. Es dürfte dennoch kaum als Erfolg unserer demokratischen Gesellschaft zu werten sein, wenn sich die Hälfte aller Wahlberechtigten nicht interessieren lässt, wer sie und die Interessen der Stadt vertreten soll. Als Hauptgrund lässt sich über Jahre angestaute „Politik-Verdrossenheit“ festmachen, deren Ursachen – außer den Verursachern selbst – hinreichend bekannt sind.
Es gibt in den Reihen der Parteien interessante Persönlichkeiten, die sich für Veränderungen in ihren Strukturen einsetzen und Bürgernähe tatsächlich praktizieren. Dennoch ist der Chemnitzer Stadtrat oberflächig betrachtet in Interessenlager und Bündnispartner zergliedert. So sind bspw. SPD, Grüne und Linke vertraute Partner, welche mit der bisherigen Oberbürgermeisterin, Barbara Ludwig, die rot/rot/grüne Konstante bildeten.
Was haben die Chemnitzer Wähler nun mit ihrer Stimme erreicht? Flüchtig bewertet könnte man sagen, ein „Weiter so!“ Doch das wäre zu einfach. Der neue Oberbürgermeister Sven Schulze (SPD) hat es in seiner Hand, wie er damit umgeht. Vielleicht schafft er es wie seinerzeit Peter Seifert, in vielen Dingen recht eigenständig zu agieren und die parteipolitische Nähe in den Hintergrund treten zu lassen. Das könnte auch das Interesse der Bürgerschaft an der Kommunalpolitik wieder etwas steigern. Wünschen wir ihm dazu viel Erfolg! Und vor allem bei seinem Amtsauftakt kreative Energie, um die teilweise dramatische Situation zu den Auswirkungen der Corona-Krise in unserer Stadt zu managen.