Wer in einer hiesigen Gaststätte „ein Pils“ bestellt, denkt dabei gewiss nicht gleichzeitig an die westböhmische Bezirkshauptstadt Plzeň (Pilsen). Anders geht es mir, seit mich die Pilsener Urquelle, „Plzeňský Prazdroj“, in ihren Bann zog. Die Brauer der 1295 gegründeten Stadt taten sich in den 30er Jahren des 19. Jahrhunderts zusammen, um ihr „bürgerliches Brauhaus“ zu schaffen, aus dem dann 1842 die Urquelle zu sprudeln begann. Von ihr durfte ich 135 Jahre später im Braukeller direkt aus dem Abfüllstutzen kosten. Vor mir haben wesentlich prominentere Leute den edlen Gerstensaft direkt bei den Brauern probiert: Staatsoberhäupter, der erste Weltraumflieger Juri Gagarin, international bekannte Schauspieler und Regisseure. Sicher sind sie auch durch das alte Sudhaus geführt worden, wo sich mast-starke Rohrleitungen entlangwinden und blitzende Kupferkessel mit Maischbottichen verbinden. Das Jungbier wird dann in den Lagerkeller geleitet. „Das ist der größte Kühlschrank der Welt“, sagte mir bei meinem Besuch Meister Antonin Cibulka. In Sandstein gehauen ist er insgesamt an die neun Kilometer lang. Das Wasser, neben gutem Hopfen und Malz besonders wichtig für die Qualität des Biers, komme über eine kilometerlange Leitung aus einem artesischen Brunnen, fügte er hinzu. Nachdem ich alles Wichtige gesehen, sozusagen erlaufen hatte - über mir eine Decke von elf Metern Stärke, die zusätzlich zu den Kühlanlagen für gleichbleibende frische Temperaturen von ein bis zwei Grad über Null sorgt - genoss ich abschließend in der zur Brauerei gehörenden Gaststätte noch ein Glas von dem köstlichen Trunk.
Neben dem schmackhaften, beliebten Getränk, dessen Name seit-her Teil vieler ähnlicher Tropfen ist, hatte mich noch ein anderer Magnet in die Stadt gezogen : „Škoda Plzeň“, eines der bedeutendsten, traditionsreichen Maschinenbauzentren der Tschechoslowakei, wo Lokomotiven, Turbinen und andere Kraftwerksanlagen hergestellt wurden.
Zu dieser Zeit entstand bei Markersbach im Erzgebirge eines der größten Pumpspeicherkraftwerke Mitteleuropas. Da lag es auf der Hand, die sechs Pumpturbinen aus dem Nachbarland, sprich von Škoda Plzeň, zu beziehen. Der Großbetrieb hatte ja reichlich Erfahrungen bei dieser Produktion. So ergab sich ab Mitte der 70er Jahre eine konstruktive Zusammenarbeit über Ländergrenzen hinweg. Beim Pumpspeicherwerk ging es natürlich wieder um das gute Wasser, das mit seiner gewaltigen Kraft über starke Maschinen Strom erzeugen sollte, der in Spitzenzeiten schnell ins Netz eingespeichert werden konnte. Insgesamt sechs Turbinen mit einer Leistung von je 176 Megawatt waren bis 1980 aus Plzeň ins Erzgebirge zu liefern und zu montieren. Die erste sollte bereits im Frühjahr 1979 in den Probebetrieb gehen.
„Mit unseren Arbeiten für das Pumpspeicherwerk liegen wir genau im Plan“, versicherte mir Anfang Juni 1977 Bedřich Holšan, leitender Projektant für die sechs Anlagen. Die Hauptlieferungen zur ersten Turbine waren bereits Ostermontag über die Grenze zur DDR gegangen. „Terminverzug lassen wir nicht zu, damit genau nach dem vorgegebenen Programm montiert werden kann“, erklärte der schlanke, damals etwa 40jährige Ingenieur. Entsprechend der gemeinsamen partnerschaftlichen Planung wurden die letzten drei Großanlagen nicht erst in Lagerhallen auf dem Baugelände, sondern direkt zur Montage in die Felsenkammer im „Hundsmarter“ genannten Berg geliefert. Diese Kammer, vom Fachmann als Kaverne bezeichnet, ist 146 Meter lang, 24 Meter breit und hat eine Höhe von 44 Metern. Beim Kraftwerksaufbau in Markersbach sollten dann auch 64 Monteure aus Plzeň aktiv mitwirken. Keine leichte Arbeit, wenn man bedenkt, dass eine solche Maschine 675 Tonnen Gewicht, sieben Meter Durchmesser und eine Höhe von elf Metern hat. Meister Stanislav Ptak, der gerade den Rotor für die zweite Markersbacher Turbine auf den Prüfstand dirigiert hatte, sprach mit Hochachtung von den 16 Facharbeitern seiner Brigade. Sie gingen sehr umsichtig mit den schweren Geräten um. In den neun Jahren, die er 1977 bereits als Gruppenleiter arbeitete, habe es noch keine Reklamation gegeben.
Inzwischen hat das Pumpspeicherwerk längst seine Generalprobe bestanden, nachdem es 1981 in Betrieb gegangen ist. Wer im Erzgebirge mit dem Pkw oder einem anderen Kraftfahrzeug von Annaberg-Buchholz nach Schwarzenberg fährt, hat am Ortsausgang von Scheibenberg nach links einen wunderschönen Blick auf die Mauerkrone des in 850 Meter Höhe gelegenen Oberbeckens, das zwischen sechs und sieben Millionen Kubikmeter Wasser für die Stromerzeugung fasst.