11,4 Millionen Menschen waren hierzulande im Jahr 2019 von ihren Wohnkosten überlastet. Das entspricht 13,9 Prozent der Bevölkerung. Dies teilte kürzlich das Statistische Bundesamt nach aktuellen Ergebnissen der Erhebung Leben in Europa (EU-SILC) mit. Es wird dort von der Überlastung eines Haushaltes durch Wohnkosten ausgegangen, wenn er mehr als 40 Prozent seines verfügbaren Haushaltseinkommens für die Wohnkosten aufbringt.
Besorgniserregend ist jedoch insbesondere die zu hohe Wohnkostenbelastung bei der armutsgefährdeten Bevölkerung, welche weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens aller Haushalte zur Verfügung haben. Während die Bevölkerung im Durchschnitt 25,9 Prozent ihres verfügbaren Haushaltseinkommens für die Miete und Nebenkosten (bzw. für die Unterhaltung ihres Wohneigentums) aufwendet, geben armutsgefährdete Haushalte fast die Hälfte ihres Einkommens für Wohnkosten aus.
Als Wohlfahrts- und Sozialverbände der „Sozialen Plattform Wohnen – Für eine menschenorientierte Wohnungspolitik“ sind wir beunruhigt über dieses soziale Ungleichgewicht. Wir vertreten Menschen, welche es aufgrund geringer Einkommen, Diskriminierung oder besonderer Bedarfe insbesondere auf angespannten Wohnungsmärkten besonders schwer haben, Wohnraum zu finden oder ihn zu halten. Es sind Menschen mit Behinderung, Alleinerziehende, Auszubildende, Menschen mit Migrationshintergrund, ältere Menschen sowie junge Menschen, die vorher in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe (Care Leaver) gelebt haben oder Studierende.
Die Corona-Pandemie vergrößert diese soziale Ungleichheit zusätzlich. Personen, die bereits vor der Corona-Krise ein niedriges Einkommen hatten, sind dazu noch überdurchschnittlich oft mit pandemiebedingten Einkommensverlusten konfrontiert. Während Menschen mit geringeren monatlichen Nettoeinkommen von bis zu 900 Euro 47,8 Prozent an Einkommensverlust haben und Menschen mit einem Einkommen von 1.300 Euro 41,1 Prozent weniger verdienen, sind es bei Einkommen von mehr als 4.500 Euro 26,6 Prozent.
Um diese soziale Schieflage auf den Wohnungsmärkten zu beheben, bedarf es umfassender Maßnahmen, die allen Bevölkerungsteilen preiswerten Wohnraum gewährleisten und dazu beitragen, dass sie ihren Wohnraum unterhalten können.
Es ist u. a. die Einführung einer neuen Wohnungsgemeinnützigkeit notwendig sowie die Stärkung des sozialen Wohnungsbaus. Es bedarf zusätzlicher öffentlicher Investitionen des Bundes in die öffentliche Wohnraumförderung, um den Schwund an Sozialwohnungen zu stoppen. Die bisher vorgesehenen Finanzhilfen des Bundes reichen nicht aus. Der Bedarf an Sozialwohnungen liegt insgesamt bei ca. 6,3 Mio. bis 8,5 Mio. Derzeit gibt es jedoch nur noch ca. 1,18 Mio. Sozialwohnungen (Stand: Ende 2018). Bis 2030 müssten ca. rund 160.000 Wohnungen mit Sozialbindung pro Jahr zusätzlich geschaffen werden, um den Bedarf zu decken.
Mieterhöhungen in laufenden Mietverhältnissen sind soweit einzugrenzen, dass Menschen vor Verdrängung geschützt werden. Dazu sind Mieterhöhungen bis auf den Ausgleich allgemeiner Preissteigerungen zu begrenzen, mindestens jedoch auf eine Erhöhung bis zur ortsüblichen Vergleichsmiete um max. 10 Prozent innerhalb von 3 Jahren und in Regionen mit angespannten Wohnungsmärkten auf max. 6 Prozent in 3 Jahren. Für Untermietverhältnisse, die mit sozialen Trägern eingegangen wurden, sind im Blick auf die Refinanzierung entsprechende Regelungen zu schaffen.
Um die Mietpreise bei der Wiedervermietung effektiv einzudämmen, ist die Mietpreisbremse zu reformieren. Es müssen kollektive Mieterrechte (Verbandsklagerecht) eingeführt, die Ausnahmen abgeschafft und ein Verstoß als Ordnungswidrigkeit deklariert werden. Es sollten zudem die gesetzlichen Voraussetzungen für eine zeitliche Entfristung der Mietpreisbremse geschaffen werden.
Angesichts des Teil-Lockdowns ist das Kündigungsmoratorium wieder in Kraft zu setzen und der Zeitraum, in welchem coronabedingte Mietschulden entstehen können und das Kündigungsrecht des Vermieters eingeschränkt ist, auf die Dauer der gesamten Pandemie zu verlängern.
Der vereinfachte Zugang zu Leistungen der Grundsicherung und die damit verbundene Übernahme der tatsächlichen Kosten der Unterkunft sowie deren Verlängerung sind zu begrüßen. Diese Vereinfachung sollte auf die gesamte Dauer der Pandemie ausgedehnt und auch auf solche bestehenden Grundsicherungsempfänger/-innen erweitert werden, deren Mietkosten bereits vor dem 1. März 2020 nicht in tatsächlicher Höhe übernommen wurden und nunmehr im vorgesehenen Zeitraum zum erleichterten Zugang zu Leistungen der Grundsicherung (1. März 2020 bis zum geplanten 31. März 2021) einen erneuten Weiterbewilligungsantrag stellen, da auch sie von den ökonomischen Auswirkungen der Corona-Pandemie durch die höhere Mietbelastung besonders betroffen sind. Wird die Miete nicht in der tatsächlichen Höhe übernommen, sind angekündigte bzw. bereits laufende Mietsenkungsverfahren auszusetzen.
Der Sozialen Plattform Wohnen gehören der Paritätische Gesamtverband, der Sozialverband VdK, der Deutsche Kinderschutzbund Bundesverband e. V., die Internationale Gesellschaft für erzieherische Hilfen e. V., die Volkssolidarität Bundesverband e. V., der Verband alleinerziehender Mütter und Väter e. V., die Deutsche Gesellschaft für Soziale Psychiatrie e. V. und der Sozialverband SoVD e. V. an.