Auch wenn bei der Besetzung von Bürgermeister-Stellen von einer Wahl gesprochen wird, findet schon lange vorher eine interne Aufteilung zwischen den fest im Stadtrat etablierten Fraktionen statt, unter welcher „Führung“ die betreffenden Posten stehen sollen. Nach dem sogenannten „Proporz“, dem Stärkeverhältnis der gewählten Stadträte nach Fraktionszugehörigkeit, leitet man sich hinter den Rathaustüren den Anspruch auf die wichtigsten Positionen ab. Das ist quasi eine Besetzung nach Parteibuch oder einer politisch orientierten Sympathisanten-Verbindung. Je nach Kräfteverhältnis und inhaltlicher Ausrichtung werden die Fachbereiche also untereinander aufgeteilt. Wenn insgesamt ein harmonischer Stadtrat zum Wohle der Stadt und seiner Einwohner am Wirken ist, dürfte es kaum Probleme mit dieser gängigen Praxis geben.
Da ein nicht unbeachtlicher Anteil der wahlberechtigten Chemnitzer Bevölkerung Kandidaten der vom Landesamt für Verfassungsschutz als rechtsextremistisch beobachteten bzw. eingestuften Vereinigung „Pro Chemnitz / Freies Sachsen“ sowie der AFD ins Stadtparlament gewählt hat, lässt sich nachvollziehen, dass es mit diesen Vertretern keinen Konsens mit „Rot-Rot-Grün“ geben kann. Auf die häufig gestellte Frage, warum bei wichtigen Themen nicht einfach alle zusammenarbeiten können, gibt es oft die Antwort, dass sich das für die meisten demokratischen Mandatsträger mit Blick auf ihre gefestigte Grundeinstellung, die u. a. im Wahlprogramm fest verankert ist, definitiv ausschließt.
Wenn sich bspw. im derzeitigen Chemnitzer Stadtrat Linke, Grüne und SPD eine Mehrheit sichern möchten, bedarf es der Gewinnung zusätzlich benötigter Stimmen von Vertretern der CDU oder der FDP-Ratsfraktion. Das funktioniert auch umgekehrt so und hat seinen Preis darin, sich gegenseitig für wichtige Vorhaben die Unterstützungszusage zu bestätigen. Meist kommen diese Absprachen zwischen den Fraktionsvorsitzenden zustande, welche danach ihre Mitglieder möglichst entsprechend „auf Linie“ bringen. Nicht jeder der umworbenen Stadträte lässt sich uniform überzeugen, denn über die persönliche Meinungsbildung kann man ja auch zu einer anderen Auffassung gelangen.
Die Bürgermeisterwahl des Dezernates Soziales und Kultur war eine geheime Wahl, jeder konnte also seinen Stimmzettel für die privat bevorzugte Absicht nutzen, ohne sich zum Abstimmverhalten erklären zu müssen.
Zunächst ergab sich (mit einer Enthaltung) keine eindeutige Mehrheit für einen der auf dem Wahlzettel stehenden Kandidaten. Im zweiten Wahlgang, eine „Stichwahl“ zwischen den beiden Bewerbern mit den meisten Stimmen (Susanne Schaper und Dr. Axel Bruder), verschoben sich einige wenige Stimmen so, dass eine „Patt“-Situation entstand (jeweils 28 Stimmen und eine Enthaltung). Nach etwas Ratlosigkeit wurde vom Oberbürgermeister Sven Schulze der Entscheid per Los-Verfahren verkündet. Diese Möglichkeit sieht das Gemeinderecht in einer solchen Situation vor. Das älteste Ratsmitglied Dieter Füsslein (FDP) zog darauf das Los zugunsten von Dr. Axel Bruder.
Allerdings legte anschließend der Oberbürgermeister sein Veto ein. Die Begründung lautete sinngemäß, dass er die Eignung dieses Kandidaten für sehr fraglich hält, da er sich auch nicht dem Gremium zur Ratssitzung vorgestellt hatte. Ein gesundheitlicher Grund hatte dies offiziell verhindert.
Zweifellos steht Susanne Schaper (Linke) mit großem Engagement für den sozialen Bereich und kann viel persönliche Erfahrung in dieses Amt einbringen. Daher wird das Wahlergebnis als eine politische „Verhinderungswahl“ gewertet.
Anzumerken bleibt, dass es bei dem Ausschreibungsverfahren ursprünglich insgesamt elf Bewerbungen gegeben hat. Ein kleines Gremium, inklusive des Oberbürgermeisters, hat diese auf ihre Eignung gesichtet. Die Fraktionen konnten sich die Bewerber für Vorgespräche einladen. Einige Bewerbungen wurden überraschenderweise wieder zurückgezogen, auch jene von Cornelia Utech, die langjährige erfahrungserprobte Leiterin des Sozialamtes, zuletzt verantwortlich für das enorme kommunale Pandemie-Management. Die verbliebenen Namen fanden sich auf dem Stimm-Zettel wieder.
Die Bewerbungsphase beginnt nun wieder von vorn. Wer hierzu seine Bewerbung einreicht, muss sich bewusst sein, das größte Chemnitzer Dezernat leiten zu wollen, und vor allem auch befähigt sein, dies tatsächlich zu können. Die Verantwortung im Bereich Kultur (Kulturhauptstadt 2025) wiegt schwer, noch schwerer dürfte allerdings der umfassende Bereich Soziales wiegen!