Im Dezember 2021 haben die Bundesregierung und der Bundesrat eine einrichtungsbezogene Impfpflicht für Beschäftigte in Kliniken, Pflegeheimen und von Rettungsdiensten auf den Weg gebracht. Ab 15. März 2022 müssen die Beschäftigten nachweisen, dass sie gegen das Corona-Virus geimpft oder genesen sind. Sind sie das nicht, müssen ihre Arbeitgeber dies den Gesundheitsämtern melden. Diese sollen dann im Einzelfall prüfen, wie weiter vorgegangen wird.
Seit der Bekanntgabe dieser Impfpflicht sind ihre Auswirkungen regelmäßig ein Schwerpunkt bei den gemeinsamen Beratungen der Geschäftsführer der Mitgliedsverbände der Liga der Freien Wohlfahrtspflege in Chemnitz gewesen, da zahlreiche ihrer Einrichtungen davon betroffen sind. In einem Brief an Petra Köpping, sächsische Staatsministerin für Soziales und Gesellschaftlichen Zusammenhalt, haben sie ihre Sorgen und Befürchtungen hinsichtlich der Auswirkungen der Impflicht auf die Branche zu Papier gebracht:
Sehr geehrte Frau Staatsministerin Köpping,
seit zwei Jahren kämpfen die Träger der Liga der Freien Wohlfahrtspflege, auch hier bei uns in Chemnitz, mit ihren Mitarbeitenden um Normalität in der Ausnahmesituation. Wir sind dankbar, dass wir Mitarbeitende haben, die das unter teils großen persönlichen Opfern tun und wir sind der Meinung, sie machen einen guten Job. Diese Einschätzung beziehen wir ganz bewusst auf alle Mitarbeitenden: geimpfte wie ungeimpfte. Wir haben die ständig wechselnden Regelungen mitgetragen und nach bestem Wissen und Gewissen umgesetzt – und manchmal haben wir nicht wegen, sondern trotz der Regelungen zum Thema Corona einen guten Job gemacht.
Insbesondere haben wir beherzt die Impfkampagnen unterstützt, Mitarbeitende sowie Klienten aufgeklärt und ermutigt und damit dazu beigetragen, die Impfquote in Sachsen Stück für Stück zu heben. Ein Großteil der Mitarbeitenden hat sich bewusst für eine Impfung entschieden. Das macht uns Mut und darauf sind wir stolz.
Die einrichtungsbezogene Impfpflicht schlägt nun ein neues Blatt der Belastungen auf, und das nicht nur in der Pflege, sondern im gesamten Geltungsbereich des neuen Gesetzes. In wenigen Wochen werden nach dem Willen des Gesetzgebers Menschen ihre Arbeit verlieren, die mit großem Engagement Senioren, Menschen mit Behinderung, Kinder und Jugendliche in schwierigen Lebenssituationen begleiten, unterstützen und pflegen. Es ist schwer in Worte zu fassen, was die Androhung eines de facto Beschäftigungsverbotes bereits jetzt in den Teams und Einrichtungen anrichtet. Mitarbeitende sind in Angst und Verzweiflung, erste Kündigungen von Menschen, die dafür keine Kraft mehr haben, gehen in den Personalabteilungen ein. Wir wissen, dass Impfungen hohe Priorität haben. Aber wir sagen genauso klar: bei den Menschen, die sich nicht für eine Impfung entscheiden, handelt es sich keineswegs nur um Impfgegner, sondern in vielen Fällen um Menschen, die eine Fülle individueller Beweggründe für ihre Entscheidung haben, leicht macht es sich keiner damit.
Einrichtungsleitungen und Geschäftsführungen stehen hier noch vor einem ganz anderen Problem. Die Versorgungssicherheit der Bevölkerung sowie die Leistungsfähigkeit und Wirtschaftlichkeit der Träger bei einer stringenten Umsetzung der gesetzlichen Neuregelung sind schwer gefährdet. Getroffen wird eine Branche, deren Personalmangel sich bekanntermaßen seit 15 Jahren jährlich immer nur weiter verschärft. Durch die einrichtungsbezogene Impfpflicht wird dieser Mangel sehenden Auges vorangetrieben.
Zusätzlich hat uns in dieser Situation die plötzliche Halbierung des Genesenenzeitraums vollkommen überrascht. Dabei sind vom Gesetzgeber die sekundären Folgen noch gar nicht mit bedacht worden: junge Menschen werden sich gegen eine Ausbildung in der Branche entscheiden, ältere, gesundheitlich belastete Mitarbeitende vorzeitig in Arbeitsunfähigkeit und Rente gehen. Auch Geimpfte werden uns verlassen, weil die verbliebenen Mitarbeitenden durch den verschärften Personalmangel noch mehr als bisher unter Überlastung leiden werden. D. h.: die Folgen ereilen uns nicht allein im März 2022, sondern über Jahre hinaus.
Die sich aus der Impfpflicht ergebenden Probleme sind noch viel weitreichender. Unlösbare Fragestellungen ergeben sich z. B. auch, noch bevor das Gesundheitsamt Betretungsverbote ausspricht, im Bereich der Neueinstellungen und bezüglich der externen Dienstleister. Ein praxisnahes Szenario: am 16.03.2022 geht in einem Heim eine der für den Betrieb zwingend vorgeschriebenen technischen Anlagen kaputt (z. B. Heizungsanlage), die Versorgung der Bewohner ist dadurch einschränkt. Aus Personalmangel bei Handwerkerfirmen finden Träger bereits jetzt mitunter nur mühsam einen Anbieter, der Kapazitäten hat, den Auftrag anzunehmen. Hat dieser keine Mitarbeitenden, die der Impfpflicht nachgekommen sind, unterbleibt ganz einfach die Instandsetzung betriebswichtiger Anlagen.
Für uns ist klar: kein einziger Mitarbeitender darf von Bord gehen! In unserer Branche werden alle Menschen gebraucht. Wir brauchen Kampagnen für mehr Personal, keine Vergrämung der verbliebenen Pflege-Helden.
Sehr geehrte Frau Staatsministerin Köpping, wir bitten Sie persönlich darum, sich in gemeinsamer Verantwortung für die uns anvertrauten Menschen dafür zu engagieren, dass diese Gesetzgebung unsere Branche nicht noch weiter in Personalnot stürzt. Die Gesundheitsämter benötigen Handlungsleitlinien, die die Versorgungssicherheit vor Ort priorisieren und Wertschätzung für die Menschen in der Branche signalisieren. Sie haben es verdient.
Mit freundlichen Grüßen
ASB Ortsverband Chemnitz und Umgebung e.V.
gez. Nadine Hofmann, Geschäftsführerin
Arbeiterwohlfahrt Kreisverband Chemnitz und Umgebung e.V.
gez. Jürgen Tautz, Geschäftsführer
Caritasverband für Chemnitz und Umgebung e.V.
gez. Sabine Geck, Geschäftsführerin
Diakonie Stadtmission Chemnitz
gez. Karla McCabe, Vorstand
DRK-Kreisverband Chemnitz e.V.
gez. Claudia Liebing, Vorstand
Deutscher PARITÄTISCHER Wohlfahrtsverband, Landesverband Sachsen e. V.
gez. Carsten Tanneberger, Regionalleiter Stadt Chemnitz – Landkreis Zwickau
Volkssolidarität Stadtverband Chemnitz e.V.
gez. Ulrike Ullrich, Geschäftsführerin
Zentralwohlfahrtsstelle der Juden
gez. Birgit Worm