In den letzten Wochen fanden sich in unserer Stadt das erste Mal nach der Bundestagswahl 2021 wieder Demonstranten für eine klimageschützte Welt und für die Wahrung ihrer Bildungschancen zusammen. Vorbei an den Parteibüros und an Schulen und Plätzen sprachen sie die neue Regierung an und richteten erneut ihre Mahnung an die Generationen vor ihnen, verantwortungsbewusster mit den Gegenwarts- und Zukunfts-Ressourcen und mit ihren Bildungschancen umzugehen. Sie forderten verständlicherweise „Nicht auf unserem Rücken“, zumal erst recht der Krieg in der Ukraine die Zukunft unserer Erde infrage stellen könnte und die pandemiebedingten Einschränkungen im öffentlichen Leben schon absehbare Folgen befürchten lassen.
Nachhaltigkeit oder auch Langlebigkeit hat viele Seiten und bedeutet verantwortungsbewusstes Handeln, um langfristig Bedürfnisse sichern zu können. Wie ist es eigentlich um die Bedürfnisse der „Großväter“-Generation bestellt?
Ich denke, gerade in dieser Phase des Lebens ist das Erinnern an ein zurückliegendes Leben, an Episoden und Orte, gut für unsere Ausgeglichenheit mit der Gegenwart und unsere Stabilität. Das wird gerade von jüngeren Menschen gelegentlich übersehen, vielleicht auch falsch gedeutet.
Von Gerhart Hauptmann, dessen Drama „Die Weber“ in den 20er-Jahren an unserem Theater in Chemnitz gespielt wurde, stammt der Ausspruch: „Wer nicht weiß, was ist, wie will er voraussagen, was werden soll oder erkennen, was einmal gewesen ist?“
Eine der bereits 1890 in der Stadt angelegten Parkanlagen auf dem Kaßberg trägt seit 1922 den Namen „Gerhart-Hauptmann-Platz“, musste ihn allerdings 1933 erst einmal wieder zugunsten des Namens „Hindenburg-Platz“ hergeben. Viel hat die Würdigung eines kaiserlichen Feldherren nicht gebracht, auf den sich später das „Dritte Reich“ gern berief – z. B. auch einen großen Löschteich inmitten der Parkanlage, um in den brennenden Häusern nach den Bombenangriffen im März 1945 auf unsere Stadt wenigstens etwas noch retten zu können. Der 1957 von der damaligen NDPD gesetzte Erinnerungsstein für Gerhart Hauptmann trägt die Inschrift „Der deutschen Zwietracht ins Herz“ – der Leitspruch des Drama-Helden Hauptmann Florian Geyer.
Die Mahnung blieb oft in unserer Stadt unbeachtet und forderte Opfer, z. B. in den 30er-Jahren, als Stefan Heym aus seinem Elternhaus in der früheren Kaiserstraße am Gerhart-Hauptmann-Platz wegen eines Antikriegsgedichtes fliehen musste und sein Vater nach der Rückkehr aus dem KZ den Freitod wählte. Nun soll am 17. Mai am Gerhart-Hauptmann-Platz eine weitere Stolpersteine-Platte für ein jüdisches Ehepaar, für Inge und Gerhard Sigler, verlegt werden.
Scheinbar sind in unserer Stadt in anderen Stadtteilen Erinnerungen nicht so hoch in Kurs. Vor drei Wochen regte eine Zuschrift in der „Freien Presse“ an, dass sich die Grundschule in Chemnitz-Kappel an der Stollberger Straße von ihrem Namen „Valentina Tereschkowa“ trennt. In der Begründung für den Wegfall dieses Namens wegen des Engagements der ersten und für gewisse Zeit einzigen im Weltall gewesenen Frau als Duma-Abgeordnete 2018 in Russland blieb unerwähnt, dass bei Namensträgern für Schulen deren Verdienste für Wissenschaft und Kultur maßgeblich sind.
Doch auch Kunstwerke in unserer Stadt haben ein schwieriges Los, könnte man meinen. Insgesamt 20 werden offensichtlich nicht von der Nachhaltigkeit geschützt. Sie sind einfach nicht mehr da. So kritisierten es am 9. April Kunstvereine in der lokalen Presse.
Ich zähle dazu das letzte Rondell der 2008 in Angriff genommenen „Allee des Lichts“ in der Nähe der St. Johannis Kirche.
Es musste den Bauarbeiten für den neuen Komplex an der unteren Begrenzung des Parks der Opfer des Faschismus weichen, durch den weitere drei individuell gestaltete Rondelle mit Sitzgelegenheiten und verschiedenen Laternen zur Erinnerung an die Partnerstädte von Chemnitz, von 1961 bis 1988 11 angewachsen, verbunden sind. Einige Laternen sind Geschenke der Partnerstädte für diese Allee vom Stadtzentrum bis zum Schauspielhaus. Das inzwischen „beräumte“ Rondell an der St. Johannis Kirche erinnerte an freundschaftliche Beziehungen mit den Städten Łódź, Akron und Wolgograd. Eine Ersatzlösung für dieses Rondell, das damit ein Gesamtkunstwerk „begradigt“, ist in unserer Stadt nicht vorgesehen und bedarf eines weiteren bürgerschaftlichen Engagements – sonst „… werden wir nicht erkennen, was einmal gewesen ist …“ (Gerhart Hauptmann).
Davor blieb der Park am Falkeplatz, der „Pionierpark“ von 1988, mit seinen humoristischen, teilweise skurrilen Skulpturen Chemnitzer Bildhauer, Sitzgelegenheiten, einer Blühwiese und einem Spielplatz bewahrt.
Der Uferpark, von der früheren Bierbrücke entlang am Fluss Chemnitz, früher wegen der vielen dem Ufer nahe stehenden Häusern auch eines „Chemnitzer Venedig“ verdächtig, führt z. B. auch in den seit 1895 über mehrere Etappen angelegten Stadtpark mit seinem kleinen Parkteich und dem Rosengarten
bis an den Nordrand des Erzgebirges, bis nach Harthau.
Verschiedene städtebaulich prägnante Gebäude mit einer teilweise früheren anderen Funktion um die heute wieder „aufgedeckelte“ Chemnitz herum wie das des Hauptsitzes der Sparkasse mit einem Automatikrestaurant, das Varietétheater „Metropol“, in welchem schon 1947 wieder die „Die Fledermaus“ flimmerte, das Städtische Leihamt, die Neue Feuerwache und die Deutsche Bank, das einmal das größte Hochhaus der Industriestadt werden sollte, werten den heute oft geschmähten Falkplatz immer noch auf, der einmal den Namen eines anderen Chemnitzer Bürgers, Fritz Heckert, trug.
Schaut man hinter diese Plätze mit öffentlicher Kunst und Bauwerke mit deren Geschichte und Geschichten, machen wir in die Vergangenheit verwiesene und reichende Bezüge wieder sichtbar, eben „Weil wir wissen, wie es ist …“
„Weil wir wissen, wie es ist …“ – der Gehalt dieser Worte wurde mir erstmals als Sprachtherapeut bewusst. Mir bereitete vor allem die Betreuung von Menschen im fortgeschrittenen Alter Freude, nach erworbener Krankheit zu ihrer Lebensqualität zurückzufinden, nicht ohne dabei auch an mich selbst zu denken.
Originalbilder von Schachtanlagen oder Stollenzugängen an den Wänden einer Senioreneinrichtung in Freiberg, das Küchenbuffet mit der Kaffeemühle in der Diakonie Dresden oder das alte Schloss Pfaffroda mit seinen Seniorenwohnungen – sie alle schufen Nähe und ein Gefühl des Nützlichen, des Gebrauchtwerdens, wiederum auch für mich. Wenn die eigenen Kräfte mal nachlassen sollten, selbst auf die (erste) Strophe eines Liedes aus zurückliegender Zeit war beim Besuch immer noch Verlass. So habe ich das erlebt. Nun gehöre ich seit 2016 selbst dazu.
Es sind andere Veränderungen, die ebenfalls aus dem Inneren, aber aus dem Innern der Gesellschaft kommen, die uns erneut einiges abverlangen. Dabei könnten uns schützenswerte Erinnerungen an unsere früheren Lebensräume helfen, so wie auch einer meiner persönlich geführten Rundgänge „Was uns Straßen erzählen“ über und um den Kaßberg. Als Hobby – Heimatforscher.