Armut in Deutschland
Der Paritätische hat seinen Armutsbericht 2022 veröffentlicht. Demnach zählen in Deutschland 13,8 Millionen zu den von Armut betroffenen Menschen. Armut wird dabei in Deutschland nicht über Hunger oder Obdachlosigkeit definiert. Entscheidend ist, ob das Haushaltseinkommen für gesellschaftliche Teilhabe reicht, also beispielsweise für bildende, sportliche oder kulturelle Angebote. Dabei gibt die Armutsgefährdungsquote den Anteil der Bevölkerung an, der mit weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens auskommen muss.
Armutsgefährdungsquote so hoch wie nie
Mit 16,6 Prozent erreicht die Armutsgefährdungsquote bundesweit einen neuen Höchststand. In Sachsen-Anhalt liegt sie bei 19,5 Prozent. Nur in Berlin (19,6 Prozent) und in Bremen (28,0 Prozent) ist sie höher. Mit besonderem Blick auf Ostdeutschland fällt aus Sicht der Volkssolidarität auf, dass fünf der neuen Bundesländer weiterhin über der durchschnittlichen Armutsgefährdungsquote in Deutschland von 16,6 Prozent liegen: Sachsen (17,1), Mecklenburg-Vorpommern (18,1) und Thüringen (18,9 Prozent). In Nordrhein-Westfalen liegt sie bei 18,7 Prozent.
Armut in Ost und West
Beim Vergleich der Armutsquote in Ost und West beobachten wir eine Annäherung. Die Spanne hat in den vergangenen 17 Jahren deutlich abgenommen. Lag der Osten 2005 mit über sieben Prozent höherer Armutsquote noch weit vor den westdeutschen Bundesländern, liegt der Unterschied 2021 nur noch 1,6 Prozentpunkte auseinander (West: 16,3 Prozent; Ost inkl. Berlin: 17,9 Prozent). Dabei sind die Unterschiede zwischen den alten Bundesländern weiterhin sehr viel größer als zwischen den ostdeutschen Ländern. Die Armut des Westens betrifft vor allem Regionen und Städte mit schwindender Industrie und geht mit einer hohen Arbeitslosenquote einher. Andere westdeutsche Länder sind dagegen weniger von Armut betroffen. Im Osten bleibt Armut weiterhin ein Problem über fast alle neuen Länder und Berlin hinweg. Das ist vor allem auf die direkten Folgen von DDR-Wirtschaft und der flächendeckenden Deindustrialisierung nach der Wiedervereinigung zurückzuführen.
Armut wird in jedem Fall immer mehr zu einem gesamtdeutschen Phänomen, wenn auch die Ursachen dafür in Ost- und Westdeutschland teilweise unterschiedlich und zudem auf biografische Faktoren zurückzuführen sind. Diese Entwicklung betrachtet die Volkssolidarität mit großer Sorge. Und zwar sowohl hinsichtlich des sozialen Friedens als auch mit Blick auf die Chancengleichheit in Deutschland.
Besonders betroffene Personengruppen
Geradezu sprunghaft ist die Altersarmut von 16,3 auf 17,4 Prozent angestiegen. Betroffen sind davon insbesondere Frauen. Dabei ist die Altersgrenze 65 Jahre von der des Renteneintritts zu unterscheiden. Einerseits beziehen viele Personen bereits vor dem 65. Lebensjahr eine Rente (Frührentner*innen, Bezieher*innen von Erwerbsminderungsrenten). Andererseits sind dieser Gruppe auch Senior*innen zuzuordnen, die keine Rente beziehen oder noch erwerbstätig sind. Dennoch hat die Armutsquote unter Rentner*innen und Pensionär*innen mit 17,9 Prozent einen traurigen Höchstwert erreicht. Dabei spielte Armut in dieser Gruppe noch bis 2013 kaum eine Rolle. Erst danach gab es hier ein zunehmendes überdurchschnittliches Risiko.
Auch die Armutsgefährdungsquote von Kindern und Jugendlichen hat mit 20,8 Prozent ein neues Rekordhoch erreicht. Unter allen Haushaltstypen zeigen Haushalte mit drei und mehr Kindern (31,6 Prozent) sowie Alleinerziehende (41,6 Prozent) zudem die höchste Armutsbetroffenheit. Besonders dramatisch ist auch die Situation junger Erwachsener zwischen 18 und 25 Jahren mit einer Armutsquote von 25,5 Prozent, was auch auf die prekären Einkommenssituationen während Ausbildung und Studium zurückzuführen ist.
Perspektive
Vor der Corona-Pandemie waren hierzulande noch 600.000 Menschen weniger von Armut betroffen. Durch die aktuelle Inflation, die Bundeskanzler Scholz als historische Herausforderung betrachtet, ist damit zu rechnen, dass sich die Situation noch verschärft.
Forderung der Volkssolidarität
Um dieser Entwicklung angemessen zu begegnen, sind weitere Steuererleichterungen, die vor allem jene entlasten, die diese gar nicht benötigen, wenig zielführend. Vielmehr sind von Armut betroffene Menschen gezielt zu unterstützen und zu entlasten. Dies betrifft einerseits die bisher unberücksichtigten Rentner*innen. Andererseits benötigen wir darüber hinaus endlich realistische Bedarfsermittlungen für Kinder und Erwachsene, welche die vielbeschworene soziokulturelle Teilhabe sichern, Chancengleichheit ermöglichen und die Grundlage für eine konsequent gedachte Kindergrundsicherung sowie für menschenwürdig bemessene Regelsätze der Grundsicherung bilden. Auch weitere Transferleistungen, wie beispielsweise das Wohngeld oder das BAföG, müssen der Preisentwicklung und der Inflation entsprechend spürbar angehoben werden. Dafür setzt sich der Bundesverband der Volkssolidarität weiterhin mit Nachdruck ein.