Die sich einem Krieg in den Weg stellten 

In der letzten Ausgabe kündigte ich eine Stolpersteinverlegung am Gerhardt-Hauptmann-Platz an – an einem Platz, der viermal seinen Namen wechselte und sogar seinen Namen 1945 das zweite Mal erlangte!

Zur Stolpersteinverlegung für Inge und Gerhard Sigler vor dem jetzigen Wohnhaus Gerhard-Hauptmann-Platz 2 waren neben dem Projektkünstler Günter Demnig Schüler der Montessori-Schule zugegen, welche die Patenschaft über den Stolperstein übernahmen. Sie ergänzten den Originalbericht eines dafür angereisten Angehörigen aus England mit eigenen Texten zum Schicksal der gewürdigten jüdischen Familie und umrahmten die Verlegung mit Friedensliedern.

Diese Stolpersteinverlegung geschah zur Erinnerung an unsere jüdischen Bürgerinnen und Bürger, die in den dunklen Zeiten unserer Geschichte zum Verlassen der Stadt, zum Verlust ihres Eigentums gezwungen und auch in den Tod getrieben wurden. Inzwischen wurde ergänzend zu früherem Wissen erforscht, dass sich Chemnitzer jüdischen Bürgerinnen und Bürger ihrem Schicksal widersetzten.

Die Stolpersteinverlegung war in diesen Tagen ein gutes und starkes Zeichen, fand ich. 

 

Wer jetzt die Gerhard-Hauptmann-Straße entlang geht und den Blick in den wieder seit Längerem sichtbaren blauen Himmel richtet, der kann schräg gegenüber vom Erinnerungsstein für den Nationaldichter Gerhard Hauptmann an der Außenfront des Wohnhauses Nr. 18 dessen Porträt sehen. Ich erwähnte einige historische Fakten zu dieser Parkanlage und zum Namensgeber in der letzten Ausgabe der „VS Aktuell“.

Dieses identitätsstiftende Zeichen ist einer Wohnungsbaugenossenschaft zu verdanken. Es wurde erst vor einigen Wochen veranlasst, ebenso wie 2020 an der Giebelseite der Albert-Schweitzer-Str. 90-96 im Flemming-Wohngebiet des Stadtteils Altendorf, gleichfalls im Wohnungsbestand der Genossenschaft, ein Porträt von Albert Schweitzer – mit einer prächtigen Mähne – weit sichtbar ist.

Im Mietermagazin der Chemnitzer Siedlungsgemeinschaft eG „Klopfzeichen“ war anlässlich der Sanierungen von vier Häusern u. a. zu lesen, dass der Fassadenmaler Andreas Gersdorf Albert Schweitzer so darstellte, wie ihn Ältere erlebt haben könnten. Passend deshalb, da in diesem Wohngebiet das Durchschnittsalter der Mieter etwa 60 bis 75 Jahre beträgt. Ein Einwohner dieses Wohngebietes schrieb in diesem Beitrag, dass es dem Vermächtnis von Albert Schweitzer (1875-1965) nicht überall in der Welt gelungen war, Friede überall auf der Erde zu schaffen und Atomwaffen zu beseitigen. 

Albert Schweitzer setzte dem Bestreben nach einer Patt-Situation der Abschreckung eine weltbejahende Kultur der Verantwortung über Krieg und Frieden entgegen. Er teilte Drohgebärden als Gefangensein in Sachzwängen zur Aufrüstung nicht. Sie täuschen darüber hinweg, dass auch ein Sieger nichts vom Sieg haben wird. Seiner Auffassung nach ist eine Rüstungsspirale eine selbsterfüllende Prophezeiung, der nur Ehrfurcht vor dem Leben mit Mut und Hoffnung entgegengesetzt werden kann. Mit diesem Pazifismus wurde er – und vermutlich würde er auch heute – angesichts des Krieges in der Ukraine immer noch, belächelt.

 

An mutige Menschen, die sich auf andere Art und Weise einem Krieg entgegenstellten, erinnern weitere Chemnitzer Straßen oder zugängliche Orte,  z. B. an den Aufklärer Richard Sorge,  an den früheren Wehrmachtkommandeur in der Chemnitzer Kaserne und Mitglied der Gruppe um Claus Schenk von Stauffenberg Friedrich Olbricht und an den in den letzten Kriegstagen hingerichteten Parlamentär Otto Schmerbach.

Anscheinend sind Namen von Straßen, Plätzen, Schulen und öffentlichen Einrichtungen doch nicht Schall und Rauch oder wie es neulich im Mai in einem Beitrag der „Freien Presse“ hieß für ewig in Stein gemeißelt oder in Straßenschilder „geplottert“?

Für den 30. Juni wurde in einer Pressemitteilung im früheren Wohngebiet „Hans Beimler“ im Stadtteil Gablenz an der von Volker Beier 1979 geschaffenen Erinnerungsstele eine öffentliche Erinnerung an Mitkämpfer für Demokratie und Freiheit gegen das faschistische Franco-Regime im spanische Bürgerkrieg von 1936 bis 1939 angekündigt. Der Bildhauer, den die Leser der VS Aktuell vielleicht als Schöpfer der Erinnerungsstele an die Chemnitzer Pogromnacht am Standort der früheren Synagoge kennen, hat nun an der Stele in Gablenz eine Tafel zur Erinnerung an freiwillige Teilnehmer des Spanienkrieges aufseiten der Verteidiger der Republik angebracht. Darauf stehen 24 Namen von Bürgerinnen und Bürgern unserer Stadt. Einige von ihnen wie Hans Ziegler, Horst Menzel und Walter Janka sind bereits Namengeber von Chemnitzer Straßen.
 

Im Stadtteil Gablenz befindet sich die von 1967 bis 1970 errichtete Wohnsiedlung „Hans Beimler“ in Nachbarschaft zum Wohngebiet „Yorckstraße“, welches von 1979 bis 1974  ebenso in Plattenbauweise errichtet wurde. Die zwischen beiden Wohngebieten erhalten gebliebenen Gartenanlagen machen sie mit der zwischen 1910 und 1937 von der Chemnitzer Baugenossenschaft errichteten Gartenstadt Gablenzsiedlung  trotz rückläufiger Bevölkerungszahlen im Stadtteil weiterhin zu einem beliebten Wohnort unserer Stadt.

Da einige Straßen im Yorck-Gebiet nach früheren preußischen Soldaten des Befreiungskrieges gegen die Vorherrschaft Frankreichs unter Napoleon benannt wurden, ist die Absicht des Bezugs zur Völkerschlacht in Leipzig erkennbar (Yorck von Wartenburg, Scharnhorst, Clausewitz). Auch der Name und somit eine Erinnerung an den früheren sowjetischen Stadtkommandanten Berlins Nikolai E. Bersarin blieb erhalten. Der Name der nach dem Wehrmachtsdeserteur und Partisan Fritz Schmenkel (1916-1944) benannten Straße – jetzt Küchwaldstraße – verschwand dagegen.

 

„Wer nicht weiß, was ist, wie will er vorhersagen, was werden soll oder erkennen, was einmal gewesen ist?“ 

Gerhard Hauptmann

aus VS Aktuell 3/2022, erschienen im  VS Aktuell 3/2022 Aus der Stadtgeschichte