Entdeckung zu zweit

Du bist wirklich erstmals in Chemnitz? 

Ja, sah bisher keinen Anlass für einen Besuch, war wenig motiviert. Und der Ruf eurer Stadt, na ja. 

Oh, du kennst die falschen Leute oder liest nicht die richtigen Zeitungen. 

Na ganz so ist es nicht. Euer Riesenkopf da imponiert mir schon. Da kauft ihr Trier den Schneid ab. Du könntest mir etwas von deiner Stadt zeigen. 

Mach ich gerne. Aber wo und wie beginnen? Was auswählen? Vielleicht die Gründungsphase um das Kloster und das Bleichrecht. Oder die Spuren jüdischen Lebens auf dem Kaßberg; die steinernen Zeugen einer einst berühmten Industriestadt. Oder … 

Warum nanntet ihr euch „Stadt der Moderne“? Erklär es mir! 

Nicht so einfach. Es hat sicher etwas mit dem Aufbruch ins Industriezeitalter zu tun. Die klassische Modeme ist aber auch eine Epoche, die Bereiche der angewandten und bildenden Kunst erfasste, also Architektur, Malerei - auch die Mode. Hier lebten und wirkten Erich Heckei, Ernst Ludwig Kirchner und vor allem Karl Schmidt-Rottluff. 

Die „Brücke“-Maler? 

Ja, kannst du in den Kunstsammlungen am Theaterplatz bewundern. 

Auf dem Weg zu dir fuhr ich an einem imposanten Gebäude vorbei. Scheint eine Schule zu sein. 

Du meinst die ehemalige Humboldtschule, heute das Keplergymnasium. Das ist ein Hingucker. Du, da hätten wir gleich einen roten Faden für unsere erste Stadtführung. Ich zeige dir, was ein Richard Möbius, Stadtbaudirektor zu Beginn des vorigen Jahrhunderts, dieser Stadt gegeben hat. 

 

So fahren wir zum Theaterplatz, laufen um das Opernhaus und bestaunen die Fassade des König-Albert-Museums. Besuchen die alte Feuerwache am Chemnitzufer, das Andregymnasium und die historischen Bauten des Küchwald­Krankenhauses. Auch die ehemalige Fortbildungsschule neben dem Polizeipräsidium gehört zu Möbius‘ Nachlass. Ende der Rundfahrt am Neuen Rathaus mit Einkehr in einem Restaurant. Wir lassen uns das Abendbrot schmecken, checken die Fotos auf dem Smartphone. Ich staune selbst. Dabei zeigte diese Exkursion nur einen Bruchteil herausragender Architektur. Für morgen planen wir den Gang über den Kaßberg, eines der am besten erhaltenen Jugendstilquartiere zwischen Prag und Brüssel.

aus VS Aktuell 3/2022, erschienen im  Meine Stadt   VS Aktuell 3/2022