Endlich Frühling! Ich sitze im Liegestuhl und genieße die wärmenden Sonnenstrahlen. Erfreue mich an den prächtigen Tulpen in unserem Garten und beobachte das fleißige Amselmännchen, welches emsig Futter für den gefräßigen Nachwuchs sammelt. Ich genieße die Stille, die jäh ein Ende findet. Wie der Blitz jagt Lusia, ein Deutscher Zwergschnauzer, auf mich zu. Mit lautstarkem Gebell fordert mich dieses Energiebündel zum Stöckchen werfen auf. Er hat unseren Garten schon erobert und wir alle haben ihn ins Herz geschlossen. Die beiden Mädchen spielen Ball und hin und wieder dringen Wortfetzen an mein Ohr: Es sind für mich fremde Laute. Mit ihren Muttis und dem kleinen Hund sind die Beiden seit ein paar Wochen unsere Gäste. Ich freue mich, wenn die Mädchen unbeschwert Ball spielen und für kurze Zeit die schrecklichen Erlebnisse in ihrem Heimatland, der Ukraine, vergessen. Besonders die Jüngere der beiden, die zwölfjährige Ewa, leidet darunter. Es sind auch furchtbare Ereignisse, die sie verarbeiten muss. Mit der Handykamera festgehalten: Eine Rakete schlägt in die 9. Etage ihres Hochhauses in Kramatorsk ein, in dem sie wohnten. Ihr Zuhause befand sich in der 10. Etage. Dann drei Tage in dem überfüllten Zug. Ankommen in einem fremden Land, mit Nichts und der Sprache nicht mächtig. Ewa spricht nicht darüber und ich frage nicht. Viele nötige Behördengänge folgten. Zuerst zeigten wir unseren Gästen unsere Heimatstadt. Sie waren beeindruckt vom Karl-Marx-Monument, fanden die Stadthalle, umgeben von Anlagen mit Frühlingsblühern, wunderschön und waren begeistert vom Theaterplatz mit unserem prächtigen Opernhaus, dem König Albert-Museum und der Petrikirche. Mit einem leckeren Eisbecher im Milchhäuschen am Schlossteich ging ein erlebnisreicher Tag zu Ende. Ein besonderer Höhepunkt war für sie die Museumsnacht. Hier entdeckten sie im Sächsischen Eisenbahnmuseum Chemnitz-Hilbersdorf Lokomotiven, die auch in ihrer Heimat nicht unbekannt sind. Wir grillen gemeinsam, zeigen unseren Gästen unser schönes Erzgebirge, nehmen sie mit ins Erlebnisbad nach Marienberg und tun alles, damit sie sich wohlfühlen. Ich glaube, ein Stück ist uns das auch schon gelungen. Aber auch sie wissen unsere Gastfreundschaft durchaus zu schätzen und machen sich hier und da nützlich. So ließen sie es sich nicht nehmen, mir zu meinem Geburtstag mit einer selbstgebackenen Torte und einem Ständchen zu gratulieren. Es ist fast so etwas wie eine Freundschaft mit unseren Gästen daraus entstanden.
Fast so etwas wie eine Freundschaft …
aus VS Aktuell 3/2022, erschienen im Meine Stadt VS Aktuell 3/2022