Wie kam die Volkssolidarität zum Hausnotruf?
Mitte der 90er-Jahre beschäftigten wir uns mit neuen Wohnformen für ältere Menschen. Für viele Senioren kam ein Pflegeheim einfach nicht infrage, waren sie doch nicht pflegebedürftig. Sie lebten nach wie vor in ihren eigenen vier Wänden, oft auch im damals noch unsanierten Altbau. Mangels Aufzug nahmen sie viele Treppen in Kauf, mangels moderner Heizungsanlage oft auch mit den schweren Kohleneimern in den Händen. Für das Kohleschleppen hatten wir damals immerhin eine Lösung, unsere Zivildienstleistenden konnten das übernehmen. Dennoch stand fest: Es ist nicht leicht, bis ins hohe Alter hinein oft allein in einer Altbauwohnung zu wohnen.
Was bewegt also Senioren, in ein neues Zuhause umzuziehen? Die Wünsche und Bedarfe waren schnell ausgemacht: Barrierefreiheit, eine gute Nachbarschaft, Unterstützung und Sicherheit für die Momente, in denen man dringend auf Hilfe angewiesen ist. Diese Sicherheit – rund um die Uhr – kann nur ein Hausnotruf leisten, das war uns klar. Und so war die Idee geboren, dieses soziale Dienstleistungsangebot auch für die von der Volkssolidarität betreuten Menschen zu entwickeln.
Im Mai 1997 entstand unsere erste Hausnotrufzentrale, damals noch im sogenannten Fritz-Heckert-Gebiet, in der Straße Usti-nad-Labem 95. Die zum Start notwendige Technik wurde uns glücklicherweise durch die Firma Telealarm kostenlos zur Verfügung gestellt. Als die Wohnanlage in der Clausstraße im Juli 1997 fertiggestellt wurde, zog auch die Hausnotrufzentrale ein. Die sah jedoch noch nicht so aus wie die heutige. Die Mitarbeiter saßen in einem Zimmer im Erdgeschoss, inmitten der Räumlichkeiten der Sozialstation. Die Geschäftsführung befand sich jedoch in der fünften Etage unter dem Dach.
Mit der Idee, einen Hausnotruf zu etablieren, waren wir damals nicht allein. Auch andere Verbände der Volkssolidarität beschäftigten sich mit dem Betreuten Wohnen und damit auch mit dem Hausnotruf, so auch Frank Stritzke, damals Geschäftsführer der Volkssolidarität Elbtalkreis. Durch die gute Zusammenarbeit war der Entschluss schnell da: Wir gründen eine gemeinsame Gesellschaft, um diesen sozialen Dienst allen Verbänden der Volkssolidarität und anderen interessierten sozialen Dienstleistern zur Verfügung zu stellen. So wurde am 2. Oktober 1997 die VHN GmbH gegründet – mit Gesellschaftern, die den Mut und die Möglichkeit hatten, sich finanziell einzubringen, am Aufbau mitzuwirken und auch ein finanzielles Risiko einzugehen. Neben der Volkssolidarität Chemnitz und der Volkssolidarität Elbtalkreis waren die Kreisverbände Sächsische Schweiz und Bautzen sowie der Leipziger Stadtverband dabei – und auch die Heim gemeinnützige GmbH Chemnitz sowie die DGT mbH Chemnitz-Wittgensdorf konnten als Gründungsmitglieder gewonnen werden.
25 Jahre sind eine lange Zeit. Wie hat sich der Hausnotruf in den vielen Jahren entwickelt?
Im Jahr 2001 kam noch der Landesverband Sachsen der Volkssolidarität hinzu, 2005 ebenso der Bundesverband und der Regionalverband Mittelthüringen. Die drei Verbände sind wichtige Multiplikatoren. Waren es 1998 noch 15 Kooperationspartner, also neben den teilnehmenden Verbänden der Volkssolidarität auch andere Wohlfahrtsverbände und private Pflegedienste, sind es mittlerweile 133. Darunter sind etwa 40 Vermittlungspartner und ca. 60 Stadt-, Kreis- und Regionalverbände der Volkssolidarität, und das nicht nur in Sachsen, sondern auch in Thüringen und Sachsen-Anhalt. Parallel dazu hat der Landesverband Mecklenburg-Vorpommern für die anderen nördlicheren ostdeutschen Bundesländer ein Hausnotruf der Volkssolidarität entwickelt. Es gibt daher einen Hausnotruf Süd und einen Hausnotruf Nord. Diese beiden und der Bundesverband der Volkssolidarität sind neben vielen anderen gemeinnützigen Organisationen und privaten Anbietern seit 2019 Gründungsmitglieder des Bundesverbands Hausnotruf. Dieser soll Qualitätsstandards für den Hausnotrufdienst weiterentwickeln und u. a. bei der Politik für einen einfachen und unkomplizierten Zugang für ältere und pflegebedürftige Menschen zu dieser sozialen Dienstleistung eintreten.
Und wie hat sich der Hausnotruf vor Ort entwickelt?
1998 begannen wir mit einem Geschäftsführer und vier Mitarbeitern in der Notrufzentrale. Deren Lohn musste das Arbeitsamt damals noch bezuschussen. Heute sind es 24 Mitarbeiter, die als Team ein sehr vielfältiges Aufgabengebiet über die Betreuung der Teilnehmer, das Marketing, die Verwaltung bis hin zur Technik abdecken. Arbeitete damals noch ein Mitarbeiter pro Schicht in der Notrufzentrale, sind es heute möglichst zwei, vormittags sogar drei. Anfangs waren sie auch noch überwiegend für medizinische und pflegerische Notfälle zuständig und sorgten sich darum, dass ein Teilnehmer wieder in seine Wohnung kommt, wenn er sich ausgeschlossen hat. Heute ist das viel mehr. So melden sie bspw. auch Einbrüche weiter, überwachen Bewegungsmelder und veranlassen Reparaturen in den Wohnanlagen.
Die Räume, nun im Dachgeschoss der Wohnanlage Clausstraße, wurden schnell zu klein. Als das Kriseninterventionszentrum im Erdgeschoss durch die Beendigung des geförderten Bundesmodellprojektes seine Tätigkeit aufgeben musste, zog die VHN dort ein. Stets mindestens ein Mitarbeiter im Dienst – für die Mieter im Haus wurde der Hausnotruf dadurch ein Ansprechpartner für viele Belange. Auch wenn nur der Fernsehempfang oder das Telefon ausfiel, die Mitarbeiter waren für die Bewohner da, waren sie über den Betreuungsvertrag doch auch Teilnehmer am Hausnotruf. Nur vor Ort gehen konnten sie nicht, mussten sie doch für die vielen anderen Teilnehmer des Hausnotrufes garantiert erreichbar sein.
Nach dem Umzug des Hausnotrufes in die Ahornstraße 40 vor einigen Jahren gab es den direkten Kontakt zu den Mietern nicht mehr. Doch nicht deswegen ging es auf den Kaßberg, sondern weil die Räumlichkeiten in der Clausstraße schon wieder nicht mehr ausreichten.
In 25 Jahren hat sich die Technik rasant weiterentwickelt. Wo wir uns damals noch über ein Mobiltelefon gefreut haben, telefonieren wir heute mit einem kleinen Computer am Ohr. Hat sich die Technik des Hausnotrufes in den letzten Jahrzehnten auch geändert?
Das grundlegende Gerät – das Hausnotrufgerät – ist in all den Jahren nahezu gleich geblieben. Im Gehäuse ein Lautsprecher und ein gutes Mikrofon, mehr braucht es eigentlich nicht, um nach dem Drücken des roten Knopfes auf dem Handsender wie bei einer Freisprechanlage im Auto mit den Mitarbeitern des Hausnotrufs zu sprechen. Und auch beim Handsender gibt es nicht wirklich viel Neues zu berichten. Wasserdicht muss er sein, damit er auch noch unter der Dusche oder in der Badewanne funktioniert, und von überall in der Wohnung muss er ein Signal an das Hausnotrufgerät senden können. Doch auch, wenn sich beim eigentlichen Gerät nicht viel verändert hat, ist rund dieses herum viel geschehen.
Bei den Teilnehmern sind weitere Geräte hinzugekommen, die noch mehr Sicherheit geben. So 2005 der Rauchmelder, der nicht nur Alarm gibt, sondern auch den Kontakt zur rund um die Uhr besetzten Notrufzentrale aufnimmt. Später kamen u. a. Falldetektoren, Wasserstandsmelder und Geräte für Menschen mit einer Demenzerkrankung hinzu. Das Hausnotrufgerät kann nun auch an digitalen Telefonanschlüssen betrieben werden und natürlich gibt es jetzt auch ein schickes Smartphone speziell für Senioren, selbstverständlich mit einer großen Notruftaste. Die Erreichbarkeit im Notfall ist bei diesem nur von der leider noch nicht überall optimalen Abdeckung des Mobilfunknetzes abhängig.
Wesentlich rasanter als die technische Weiterentwicklung des Hausnotrufgerätes ist die Entwicklung der Technik am anderen Ende der Leitung gewesen. Ständig wurde diese erneuert und erweitert, bspw. um die Möglichkeit, Gespräche aufzeichnen zu können. Auch bei einem Ausfall des Stroms oder der Telefon- und Datenleitung – die Hausnotrufzentrale bleibt erreichbar. Das Funktionieren all dieser Geräte ist lebensnotwendig. Deswegen tragen die Hersteller wie auch die technischen Mitarbeiter der VHN eine sehr hohe Verantwortung. Und es ist wichtig, dass die Teilnehmer gelegentlich auf den Knopf drücken, zum Test der Technik und eventuell auch zum Überwinden eigener Hemmschwellen.
Wie lautet ihr Fazit aus 25 Jahren Hausnotruf?
Der Hausnotruf der Volkssolidarität ist eine Erfolgsgeschichte. Er gibt nicht nur mehr Sicherheit, sondern verknüpft auch weitere Leistungen der Volkssolidarität und anderer Dienstleister. Von überall aus der Wohnung kann Hilfe geholt werden, auch wenn man gestürzt ist und nicht aufstehen kann. Ärzte, Rettungsdienste und Helfer können über den Hausnotruf wichtige Informationen zu den Vorerkrankungen und Medikamenten erhalten, Angehörige und Pflegedienste verständigt werden. Und für den Fall aller Fälle ist ein Wohnungsschlüssel hinterlegt. Darüber und wer im Notfall informiert wird, entscheidet jeder Teilnehmer des Hausnotrufes selbst.
Ich bin immer wieder davon beeindruckt, dass es einigen Seniorinnen und Senioren gegeben ist, mit einem Alter von weit über 100 Jahren noch zu Hause zu leben. Die älteste Teilnehmerin am Hausnotruf ist über 105 Jahre alt und der Hausnotruf gibt ihr für ihre Eigenständigkeit die Sicherheit, im Notfall schnell Hilfe zu erhalten. Der Hausnotruf ist schlichtweg eine geniale Errungenschaft für die Menschen.