Kulturhauptstadt ohne Beteiligung der in Chemnitz lebenden Senioren?

Wie es um die Altersstruktur in Chemnitz steht, bedarf sicher keiner weiteren Erläuterung. Oder doch? Die Mitglieder des Seniorenbeirates haben die Einbindung der größten Menschengruppe (Ü 65) in die Belange der öffentlichen Teilhabe stets im Blick. Doch haben das auch die „Macher“ der Kulturhauptstadt? Wenn man sich das Bid Book (Bewerbungsbuch) „C the unseen“ als Grundlage zur Erreichung des Titels durchliest, eher nicht. Daher wurde bereits zum zweiten Mal das Thema auf die Tagesordnung des Seniorenbeirates gehoben. 

Bei der ersten Zusammenkunft in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahres stellten sich zwei  recht  junge Mitarbeiter vor, die gerade erst von der eigens für die Kulturhauptstadt gegründeten GmbH eingestellt worden sind. Das Fazit war, dass zunächst eine interne Einarbeitung erfolge und man daher noch nichts Näheres zu den Planungen sagen könne. Zumindest wurden die Anregungen zur Kenntnis genommen, die mit den kritischen Wortbeiträgen der anwesenden Beiratsmitglieder einhergingen. So empfinden manche die vielen englischen Begriffe wie Maker Hubs, Maker Space, Flagship-Projekt usw. als befremdlich. Trotz der allgemein etablierten Umgangssprache und vielfältiger Sprach-Bildungsangebote für gängige Fremdsprachen mögen die heimischen Senioren lieber die ihnen vertraute Muttersprache und können mit den englischen Wortkreationen wenig oder gar nichts anfangen. Sicher, es handelt sich um eine europäische Kulturhauptstadt, die Menschen aus vielen Ländern als potenzielle Besucher erreichen möchte. Da es aber auch darum geht, die Einwohner „mitzunehmen“, sollte überlegt werden, wie diese aus ihren Stuben „geholt“ werden können. Spürbar ist, dass sich viele noch nicht so richtig mit der  Kulturhauptstadt identifizieren und es dieser gegenüber auch Gleichgültigkeit oder Abneigung gibt. Man muss es auch nicht allen recht machen, dennoch ist eine ablehnende Einstellung sehr schade für unsere Stadt, da das Ganze eine große Chance für deren weitere Entwicklung birgt. Geht es doch letztlich gerade darum, attraktivere Lebensbedingen für alle Einwohner zu gestalten und ein besseres generationenübergreifendes Miteinander zu erreichen!

Gewichtige Beiträge, welche dem Bürger den Mehrwert vor Augen führen, sind die Aufwertungen stadtteilbezogener Orte, die sogenannten Interventionsflächen. Als „Orte des Aufbruchs“ können sich hier Anwohner in die Projekte einbringen.
Um beim Seniorenbeirat zu bleiben, möchte ich noch die zweite Begegnung mit den Schaffenden der Kulturhauptstadt GmbH erwähnen, bei der u. a. auch hauptamtliche Mitstreiter des „Teams Generation“ teilnahmen. Dabei konnten wir wieder zur Kenntnis nehmen, dass es etliche Möglichkeiten geben soll, wo sich auch die Chemnitzer Senioren einbringen können. Nur welche das konkret sind, bleibt derzeit größtenteils noch „Insider-Wissen“. Die Mitglieder des Seniorenbeirates bleiben „am Ball“.

Die Mitgestaltungsmöglichkeiten sind auch für die Chemnitzer Volkssolidarität, deren Mitstreiter und Freunde interessant. So haben sich bereits einige Mitgliedergruppen eigenständig eingeklinkt. Hervorzuheben sind die Informationsnachmittage der Wohngruppe 053, wie man auch in vergangenen Ausgaben der „VS Aktuell“ nachlesen kann. 

Wer keine eigenen Ideen hat: Die Stadt ruft immer wieder in ihren Publikationen unsere Mitmenschen auf, bei den gesetzten Projekten mitzumachen. Ein großes davon ist „WE PARAPOM!“, die „Europäische Parade der Apfelbäume“ (Künstlerin Barbara Holub aus Österreich), wo man sich mit Pflanzaktionen im Frühjahr oder vorzugsweise im Herbst in den jeweiligen Stadtteilen beschäftigen kann, z. B. als „Baum-Pate“ mit Gieß- und Pflegemaßnahmen.

Die Einbindung der Kleingartenvereine ist ein Beispiel, wie es gelingt, das Potenzial aus der Bürgerschaft zu nutzen, um langfristig den Erfolg zu sichern. Hier kann sicher auch jeder nachvollziehen, dass es ein Schritt in die interessante Richtung „Essbare Stadt“ ist, welche Menschen zusammenbringt. Von der gemeinsamen Pflege und Ernte bis zu Begegnungen und Aktivitäten, die sich unter dem Apfelbaum veranstalten lassen. Das beliebte Fruchtgehölz kann allerdings nicht einfach in die Mitte von asphaltierten und sich in der Sommerhitze aufheizenden versiegelten Flächen gesetzt werden, man muss dabei schon die Standort- und Lebensansprüche eines Apfelbaumes berücksichtigen. Deshalb sind hier Fachleute vom Grünflächenamt beauftragt, gemeinsam mit der Kuratorin und der Chemnitzer Bürgerschaft dieses schöne Projekt umzusetzen. Freuen wir uns darauf und auf viele weitere spannende Aktionen. 

Für besondere Ideen aus unserer Mitgliedschaft findet sich im Bereich Mitgliederbetreuung/Ehrenamt ebenfalls (m)ein Ohr. ­Machen wir uns als Stadtverband gemeinsam mit unseren Mitgliedergruppen auf den Weg. Also: Raus, aus den Stuben!

 

Anmerkung der Redaktion: Nach Redaktionsschluss bestätigte in seinem zweiten Monitoring-Bericht das Expertengremium der EU, welches die Fortschritte der Kulturhauptstadt Chemnitz 2025 bewertet, viele Kritikpunkte, die bereits von Einwohnern und heimischen Kulturschaffenden zu deren Einbeziehung geäußert worden sind. Leider stagniert gegenwärtig auch das Projekt „WE PARAPOM!“ und soll neu ausgerichtet werden.

aus VS Aktuell 2/2023, erschienen im  VS Aktuell 2/2023 Aus der Stadtratsarbeit