„Beijm Rothen Thurme“

Gedanken zur Centrum-Historie

Unmittelbar nach Ostern erfolgte die Einweihung der Stadtgalerie Roter Turm. Damit ist der erste erfolgreiche Schritt getan, der Stadt Chemnitz wieder ein Zentrum zu geben, das bei den Luftangriffen im Frühjahr 1945 und im Rahmen der „lichten“ architektonischen Neugestaltung ab den sechziger Jahren zu existieren aufhörte.

Das macht es natürlich interessant, einmal einen Blick in die Vergangenheit dieses Areals zu werfen. Den Namen für das neue Konsum- und Film-Center lieh das unmittelbar neben der Stadtgalerie aufragende Chemnitzer Wahrzeichen „Roter Turm“, dessen Umfeld laut Geschossbuch der Stadt Chemnitz, der Aufstellung der Grundstücksbesitzer und Steuerpflichtigen, als „beijm Rothen Thurme“ bezeichnet wurde. Der Bau des Roten Turmes erfolgte am Ende des 12. Jahrhunderts.

Die urkundlich erste Erwähnung datiert von 1466. Er entstand als eine so genannte Eigenbefestigung und lässt auch heute noch die Merkmale äußerster Wehrhaftigkeit erkennen. Im Mittelalter wurde er zum Sitz der Gerichtsbarkeit. Seit 1423 amtierte hier der Stadtrichter. 1570 erfolgte seine Einrichtung als Stadtgefängnis mit 13 brauchbaren Zellen für 19 Gefangene. Im 19. Jahrhundert wurde ein Zellenhaus, die Stadtfronfeste und spätere Bezirksgefangenenanstalt, erbaut und mit dem Roten Turm verbunden. Nach 75 Jahren erfolgte der Abbruch. An ihrer Stelle entstand ein Lichtspieltheater, das den Namen „Filmpalast Roter Turm“ erhielt. Beim Luftangriff am 5. März 1945 wurde das Terrain total zerstört, der Rote Turm brannte aus. Ab 1958 erfolgte die Wiederherstellung und am 12. September 1959 wurde er als museale Einrichtung zur Stadtgeschichte der Öffentlichkeit übergeben.

Der Rote Turm war auch bis 1945 nicht freistehend, sondern eng von Geschäften und Dienstleistungseinrichtungen umbaut. Dazu gehörten z.B. die weithin bekannte Papierhandlung von Alexander Wiede, das Café Kunze und das Kunstgewerbehaus Bieleberg. Und hier hatte auch die Innere Stadtmission ihren Sitz, wie auch der Handwerkerverein. Insgesamt umschlossen die Herren-, die Theater- und die Friedrich-August-Straße sowie der Plan um den Roten Turm etwa 40 Einrichtungen. Aus der unmittelbaren Nachbarschaft muss man noch die gastronomischen Einrichtungen Café und Konditorei „Bienenstock“, das „Meistereck“ und das Gesellschaftshaus „Casino“ nennen. Nicht vergessen werden sollte aber auch der Herausgabestandort einer der ältesten Zeitungen, des im Verlag Pickenhahn & Co. herausgegebenen „Chemnitzer Tageblatt und Anzeiger“, die in 97 Jahrgängen von 1848 bis 1944 erschien.

Der Prozess des wirtschaftlichen Aufschwungs in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, insbesondere der Gründerjahre, forderte die Überwindung der durch die mittelalterlichen Stadtbefestigungen vorgegebenen Grenzen. An diese Befestigungen erinnern uns nunmehr die Bezeichnungen der Eingänge in die Stadtgalerie: Nikolaitor, Johannistor und Klostertor sowie künftig die bis zum Jahre 2001 fertig gestellte Chemnitzer Wallanlage vor der Stadtgalerie von der Straße der Nationen bis zur Straße „Am Plan“.

Das Nikolaitor befand sich in der Stadtmauer etwa an der Stelle, wo heute die Bahnhofstraße in den Falkeplatz mündet. Seinen Namen erhielt es von der alten Nikolaikirche auf dem Kapellenberg. Durch dieses Tor kamen die Fernkaufleute aus Altenburg. Es wurde 1833 abgetragen. Durch das 1381 urkundlich ersterwähnte „Johannes thor“ gelangte man vom Markt aus in Richtung Johanniskirche bzw. Zschopauer Straße. Sein Abbruch erfolgte zwischen 1825 und 1830. Das Klostertor hatte seinen Standort etwa bei der Einmündung der heutigen Inneren Klosterstraße in die Theaterstraße und wies den Weg in Richtung des Benediktinerklosters auf dem heutigen Schloßberg. Es wurde 1829 abgetragen.

Unberücksichtigt blieben bei der Namensbezeichnung in der Stadtgalerie das Chemnitzer Tor und die so genannte Pforte. Das sich öffnende Tor findet seine Erinnerung in dem Relief an dem Edeka-Geschäft „Am Alten Stadttor“ und die Pforte im Pfortensteg unterhalb des Kaßbergs.

Direkt auf die Stadtgalerie zu führte eine attraktive Geschäftsstraße, die Kronenstraße. Hier hatten z.B. das Delikatessen- und Feinkostgeschäft Alexander Fischer, der Tabakwaren Groß- und Kleinhandel Johannes Kreisig, das Fachgeschäft für Plüsche, Dekostoffe und Teppiche Carl Feldmann sowie der Grammofon- und Schallplattenhandel Otto Pohland Nachf. ihr Domizil. An der Einmündung der Kronenstraße in den Neumarkt erhob sich ein mächtiger Gründerzeitbau, das Kaiser- und spätere Rathaus-Café. Dominantester Bau in entgegengesetzter Richtung war das an der Einmündung in die Poststraße (Bahnhofstraße) gelegene monumentale Gebäude der Reichsbank, in dem 1885 der Geschäftsverkehr aufgenommen wurde. 1945 versank die Kronenstraße im Bombenhagel in Schutt und Asche. Nach der umfangreichen Trümmerberäumung erfolgte auf der Grundlage des am 28. Dezember 1961 beschlossenen Aufbauplanes auf dem Terrain der ehemaligen Kronenstraße die Errichtung der Zentralhalte-stelle, die am 13. Dezember 1968 voll in Betrieb genommen werden konnte. Nunmehr sind auch für dieses Areal mit der Neugestaltung des Stadtzentrums neue Akzente gesetzt.

aus VS Aktuell 3/2000, erschienen im  VS Aktuell 3/2000 Aus der Stadtgeschichte