Harmonisch füllen die Klänge des „Valse triste“ von Jean Sibelius den Klubraum. Anfangs dunkel und getragen wird das Stück zum Ende hin immer heller, schneller und lauter, fast wie ein Sturm, der so plötzlich abbricht, wie er aufgekommen ist. „Herrlich“, flüstert eine Frauenstimme in die noch anhaltende Stille. „Na, habe ich Sie verbannt in den hohen Norden?“, nimmt Helga Sander nach einigen Augenblicken der Besinnung das Wort.
Jeden ersten Dienstagnachmittag im Monat schmückt sie die Begegnungsstätte Scheffelstraße mit „Perlen der Klassik“, ihrer Vorliebe. Dabei führt sie mit dem gesprochenen Wort und musikalischen Kostproben durch das Wirken bedeutender Komponisten, Musiker und Sänger klassischer Musik wie Beethoven, Mozart, Verdi, Johann Strauß (Sohn), Paganini, Anne-Sophie Mutter, Richard Tauber. Das geht so seit Januar 1996, immer mit Pause von Juni bis August.
An diesem Aprilnachmittag stehen nordische Komponisten auf dem Programm, in deren Tonschöpfungen die herbe Schönheit der Gebirge und Wälder, Flüsse und Seen Skandinaviens Ausdruck findet. Locker plaudernd informiert sie ihr Stammpublikum über den Finnen Jean Sibelius, der durch sein sinfonisches Werk weltbekannt wurde und über den Norweger Edvard Grieg, dessen Bühnenmusik zu Ibsens Drama „Peer Gynt“ auch heute noch in vieler Ohren ist.
Die Gäste aus allen Gegenden der Stadt, vorwiegend Seniorinnen – auch eine Handvoll Senioren – folgen dem Vortrag sehr konzentriert und ihre innere Teilnahme ist nur an leichten Bewegungen der Fußspitzen, eines Fingers oder am Wiegen des Kopfes zu erkennen. Um so herzlicher applaudieren sie am Ende der Veranstaltung und freuen sich schon auf die nächste – Lohn genug für die Vortragende. Von vornherein hat sie gegenüber der Leiterin der Begegnungsstätte, Waltraud Peitzsch, die ihr stets am CD-Gerät assistiert, jegliches Honorar abgelehnt. Es kommt ihr darauf an, mit den Veranstaltungen Freude zu bereiten, älteren Menschen das Alleinsein vergessen zu machen.
„Schön, wenn es ihnen so gefallen hat, dass sie wiederkommen.“
Was aber springt für die Finanzwirtschaftlerin Helga Sander – Jahrgang 1932, im hiesigen Spinnereimaschinenbau 40 Jahre beschäftigt – selbst heraus?
Durch das Organisieren der „Perlen“, das immer neue Suchen von Material über die Persönlichkeiten sowie von besonders charakteristischen Kompositionen hält sie sich gedanklich frisch.
„Wer ein Leben lang geistig gearbeitet hat, kann doch nicht aufhören, wenn er nicht mehr berufstätig ist“, sagt sie. „Und mein Tun soll einen Sinn haben. Wenn ich dann anderen damit Freude bereiten konnte, habe ich einen guten Tag gehabt.“
Die Liebe zur klassischen Musik kommt von den Eltern. Zu Hause wurde gern gesungen und musiziert. Helgas Instrument war die Violine. Und – welch ein günstiger Umstand – Ehepartner Heinz, ebenfalls musikbegeistert, spielt Klavier. Tochter Stefanie und deren Mann hingegen greifen lieber zur Gitarre und pflegen eine andere Richtung.
Die zweite gemeinsame Passion von Helga und Heinz Sander ist der Sport. Sie war Geräteturnerin, Tennissportlerin und 25 Jahre lang Übungsleiterin einer DFD-Gymnastikgruppe. Er holte viele Tennis- und Tischtennismeistertitel in Stadt, Kreis und Bezirk. Durch eine Bekannte, die von ihren sportlichen Aktivitäten erfuhr, kam Helga Sander überhaupt erst in die Begegnungsstätte, denn hier wurde vor acht Jahren eine Gruppenleiterin für Seniorengymnastik gesucht. Seitdem hat sie den „Montagsklub“ übernommen. Und die Übungen, die sie immer wieder variiert sowie der anschließende Plausch beim Kaffee machen allen Spaß.