Ein Freitagmorgen im beginnenden Herbst. Es ist wie immer 8:45 Uhr, als Edith Reh an der Tür des Hauses Richard-Wagner-Straße 34 klingelt. Die 74-jährige Volkshelferin kommt zum Saubermachen. Ihre Freundin Ilse, 11 Jahre älter, öffnet. Die Begrüßung ist herzlich. Beide kennen sich schon seit etwa 20 Jahren, als sie zusammen im DFD waren. Seitdem bei der Apothekenwitwe die Kräfte nachgelassen haben, leistet ihr Edith alle zwei Wochen Nachbarschaftshilfe, wenn sie auch jetzt ein bisschen weiter weg in der Platnerstraße wohnt. Aber zuerst gibt es einen Kaffee, werden familiäre Neuigkeiten ausgetauscht. So berichtet die Jüngere über Hochwasserschäden bei der Tochter Birgitt in Flöha. Mit ihrem Mann Horst hat sie bei der Beseitigung geholfen und auch gleich für alle Hausbewohner Essen mitgebracht. Nach einer Viertelstunde besinnt sie sich: „ So, jetzt will ich aber arbeiten." Dann geht es los: Staubsaugen, Wischen, Putzen. Die Fenster kommen alle acht Wochen dran, die Gardinen dreimal im Jahr. Tage darauf zu einer 88-jährigen. Für die erledigt sie neben der Reinigung auch Einkäufe. Bei einer 67-jährigen Frau, die sich nach einer Operation an die Helferin gewandt hat, weil sie sich schlecht bücken konnte, geht die rüstige, kleine Rentnerin ebenfalls mit dem Staubsauger um - immer ehrenamtlich. Natürlich bedanken sich die „Klientinnen“ ab und zu mit einem kleinen Geschenk und mit Blumen zum Geburtstag. Die so Geehrte revanchiert sich dann gleich mit Kaffee und Kuchen. Aber auch ohne Anlass lädt sie sich manchmal ältere Frauen zum Essen ein, weil Kochen ihre Leidenschaft ist. In den gut zwei Jahrzehnten, da Edith Reh der Wohngruppe 401 angehört, hat sie bestimmt mehr als zwei Dutzend Mitgliedern, die ihre Hausarbeit nicht mehr selbst bewältigen konnten, auf ihre Art geholfen, ein menschenwürdiges Leben zu führen. Fragt man nach dem Warum für ihre freundlichen Taten, sagt sie nur, „weil ich das gern mache". Tatsache ist aber, dass ihre Mutter Elisabeth sie zu Ordnung und Sauberkeit, zu Fleiß und Hilfsbereitschaft angehalten hat. Sie musste Edith und deren zwei Brüder allein großziehen. Da wurde jede Hand und auch jede Mark gebraucht. So verdiente die Tochter bereits mit zehn Jahren fast jedes Wochenende fünf Mark für die Familie durch Reinigungsarbeiten in einem kleinen Chemnitzer Betrieb auf der Hainstraße. Keine Arbeit hat Edith gescheut, als sie nach dem Krieg in verschiedenen Unternehmen der Stadt beschäftigt war. Die längste Zeit, von 1955 bis 1990, arbeitete sie im Industriewerk, viele Jahre als Beiköchin. Zur Vertrauensfrau hatte sie das Kollektiv der Betriebsküche wegen ihrer kollegialen und geselligen Art gewählt. Und genau deswegen ist sie bei den Mitgliedern der Wohngruppe, von denen sie 31 kassiert, so beliebt. „Edith Reh sieht, wo es fehlt und packt dann einfach mit zu", weiß Petra Linke, die Leiterin der Begegnungsstätte Horststraße 11, zu berichten. Die so Beurteilte arbeitet dort bereits fünf Jahre im Klubrat mit. Mal schmückt sie einen Raum mit Blumen aus dem eigenen Garten oder spendiert Petersilie zum Garnieren von kalten Platten. Dann nimmt sie verschmutzte Tischwäsche mit nach Hause, um sie in der eigenen Waschmaschine zu reinigen. Sie hilft der Leiterin, wenn sie die alleine antrifft, bei der Essenausgabe und rührt unter den Mitgliedern die Trommel für den Besuch der Begegnungsstätte. Ihr Mann kopiert Einladungen und fährt sie auch einmal zum Kassieren mit dem Pkw auf den Hechlerberg, wohin das älteste Mitglied der Wohngruppe verzogen ist. „In fröhlicher Runde schwingt Edith Reh gern das Tanzbein", sagt Hannelore Bennewitz, Hauptkassiererin der 401. Dann fügt sie hinzu: „Ihr zweiter Vorname müsste Hilfsbereitschaft oder besser noch Solidarität sein und da passt sie doch wunderbar zu uns."