Aus der Historie des Tanzvergnügens in Chemnitz

Der Tanz ist unstrittig von alters her fester Bestandteil der Freizeitgestaltung breiter Kreise der Bevölkerung. Als Pendant zur wirtschaftlichen Entwicklung der aufstrebenden Industriemetropole spielten seit Mitte des 19. Jahrhunderts zunehmend auch die öffentlichen Tanzvergnügen im Leben der Chemnitzer Einwohner eine große Rolle. In der an sich nüchternen Fabrikstadt entstanden dafür nach und nach zahlreiche populäre Stätten. Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts besaß Chemnitz etwa zehn so genannte „öffentliche Tanzböden“. Sie reichten von der „Kaiserkrone“, einem anrüchigen Lokal Ecke Hain- und Oststraße, im März 1945 durch Bomben zerstört, in dem Tanzvergnügen und Schlägerei eine Einheit bildeten, bis zum Saale des „Colosseums“, dem späteren „Volkshaus“ in der Zwickauer Straße 152. In einer zeitgenössischen Schilderung von Paul Göhre aus dem Jahre 1891 heißt es dazu: „Es war der vornehmste (Saal) von allen, die ich gesehen habe, durch die Ausstattung und den Umfang des Saales, die Musik, die da aufspielte, das Publikum, das ihn besuchte. Hier fanden sich ... die jungen gutgelohnten Schlosser und Dreher unserer Fabrik ..., vom weiblichen Geschlecht traf man allerhand Ladenmädchen und Verkäuferinnen ... Es ging wirklich beinahe wie auf einem Balle zu.“ Zu gleicher Zeit berichtete Minna Wettstein- Adelt über die „Linde“ als „ein großes Tanz-Etablissement anständigster Art“: „Hier verkehrten ausschließlich Fabrikmädchen und Fabrikarbeiter, einige Unteroffiziere und geringe Kaufleute. Der Ton war anständig, die Mädchen saßen ruhig an den Tischen und unterhielten sich, ab und zu einen Tanz machend, wozu sie ein Kavalier unter einer Verbeugung abholte und ebenso höflich zurückführte. Die Mädchen tanzten hübsch, selbst graziös, es kam nie zu wilden Hopsereien ..., es wurde hier sehr wenig getrunken.“ Die „Linde“, im 2. Weltkrieg zerstört, befand sich etwa an der Stelle, wo sich heute das Günnewig- Hotel „Europa“ befindet. Eine weitere bekannte Tanzstätte war zu jener Zeit das Konzert- und Ballhaus „Stadt London“, Später „Hohenzollern“ in der Elisenstraße, das nach 1945 als „Central-Lichtspiele“ diente. Als das seinerzeit größte Tanz-Etablissement galt das zu Beginn der 1880er Jahre errichtete Restaurationslokal „Am Schlachthof“, Wettiner Platz (heute Thomas-Mann-Platz), in dem über hundert Jahre das Tanzbein geschwungen wurde. In großer Zahl befanden sich Tanzsäle in den seinerzeitigen Vororten. Sie trugen halb ländlichen, halb städtischen Charakter und erfreuten sich großer Beliebtheit. Der größte von ihnen war der „Ball- und Concertsaal Wintergarten“ in Schönau, der etwa 6.000 Personen fasste. Eine erste Adresse für die tanzlustigen Chemnitzer war auch die „Restaurationslokalisation Waldschlößchen des Herrn Weber“ in Hilbersdorf. In der um 1828/29 am Rande des Zeisigwaldes entstandenen Ausflugsgaststätte wurde an Wochenenden und Feiertagen gar fleißig das Tanzbein geschwungen. Das „Waldschlößchen“ fiel 1923 der Inflation zum Opfer. Am Ende des 19. Jahrhunderts baute der Besitzer die bis dahin im Bereich der heutigen Straßenbahnendstelle Linie 6 als Einkehr existierende Dorfwirtschaft zu einem großstädtischen „Ball- und Vergnügungsetablissement“ um. Die dadurch entstandene Lokalität „Reichels Neue Welt“ besaß einen großen, stark frequentierten Ballsaal. Sie wurde bei einem Luftangriff im Jahre 1945 zerstört. In den „Goldenen Zwanzigern“ war der „Marmor-Palast“ in Altendorf einer der größten Ball- und Konzertsäle der Stadt. Als große Tanzsäle waren für die auf Tanz eingestimmten Chemnitzer noch ein Begriff: der Gasthof „Blankenau“, „Bochmanns Ballhaus“ in der Frankenberger Straße, der „Johannisgarten“, Zschopauer Straße, der „Silbersaal“ in Bernsdorf und schließlich „Zweinigers Ballhaus“ in der Jakobstraße, das „Haus der dezenten Tanzmusik“ mit seinem beliebten „Es tanz Alt-Berlin“. Neben den der weiten Öffentlichkeit zugängigen Tanzstätten besaß Chemnitz noch mehrere Gesellschaftshäuser, Vergnügungsstätten eingetragener Gesellschaften und Vereine, die ausnahmslos bei den Bombenangriffen 1945 zerstört wurden. Zu ihnen gehörte das „Handwerker-Vereinshaus“, das Gesellschaftshaus „Eintracht“ in der Aue, das „Casino“ in der Theaterstraße und das „Kaufmännische Vereinshaus“ Zschopauer/Ecke Moritzstraße.

aus VS Aktuell 3/2004, erschienen im  VS Aktuell 3/2004 Aus der Stadtgeschichte