Fast täglich, in aller Frühe, ziehen zwei Rehe durch das Grundstück Wittgensdorfer Straße 160. Hier ist Chemnitz zu Ende. Durch Hof und Garten geht es und mit einem Sprung wieder über den Zaun. Petra Hilbert ist zeitig auf. Sie hat Tiere gern, beobachtet das Wild vom Fenster im ersten Stock aus. Nur wenn die beiden von den Blumen in den Keramikschalen kosten, klopft sie mal an die Fensterscheibe. Die schnellen Vierbeiner suchen dann erschreckt das Weite. „Ursprünglich wollte ich Mitte der 50er Jahre in Dresden die Lehre als Zootierpflegerin beginnen“, sagt die mittelgroße, schlanke Frau. Für den körperlich schweren Beruf war sie jedoch nicht kräftig genug. So folgte sie dem Rat der Mutter und absolvierte eine dreijährige Ausbildung zur Säuglingsschwester in Aue, weil ihr Heimatort Annaberg-Buchholz war. Wahrscheinlich hat der Beruf ihren wichtigsten Charakterzug, den ihr die Eltern in die Wiege gelegt haben, die Hilfsbereitschaft, noch wesentlich ausgeprägt. Dieses Engagement würdigt besonders Elfriede Brückner, die frühere Hauptkassiererin der Wohngruppe 013 in Borna. „Als ich Petra Hilbert im Zusammenhang mit meiner bevorstehenden Hüftoperation fragte, ob sie meine Funktion übernehmen würde, hat sie ohne zu zögern Ja gesagt“, erinnert sich die 85-jährige. „Und sie hat sich in das Aufgabengebiet schnell eingearbeitet.“ Das war zu Beginn des Jahres 2000. Heute übt die Hilfsbereite alle Funktionen, die den Vorstand einer Wohngruppe ausmachen, allein aus. Die Vorsitzende, Eva Richter, musste vor zwei Jahren wegen Herzkrankheit ausscheiden. Und von den 89 Mitgliedern (Altersdurchschnitt 77) hat sich bis auf die sieben Volkshelfer, die kassieren, einladen, gratulieren, noch niemand weiter für eine Funktion bereit gefunden. Das gebe zwar manchmal Frust, aber es müsse ja weitergehen, wie die Alleinstreiterin meint. Wenn unbedingt nötig, helfen auch die beiden Ehemaligen einmal nach Kräften mit. So haben Frau Richter, Frau Brückner und Frau Hilbert am Jahresbeginn eine Aktion für bessere Verkehrsbedingungen in Borna organisiert. Gemeinsam mit dem Behindertenverband wollten sie erreichen, dass die Buslinie 45 weiter wie zuvor im Chemnitz Center endet. Die CVAG hatte die Linie wegen „zu geringer Auslastung“ nur noch bis zum Eissportkomplex fahren lassen. Alle drei sorgten für zahlreiche Eingaben. Zu einer Versammlung der Wohngruppe, an der auch viele Nichtmitglieder teilnahmen, hatten sie Anfang Februar Vertreter der CVAG in die Gartenkantine „Waldfrieden“ eingeladen. Die Betroffenen unterbreiteten Hinweise und Vorschläge. Seit Mai fahren wieder zwei 45er Busse bis zum frühen Nachmittag von Borna zum Röhrsdorfer „C C“ und zurück. „Es wäre schon eine große Hilfe für Ältere und Behinderte, wenn die Linie 45 generell nicht am Eisstadion, sondern ein bis zwei Haltestellen weiter, an der Leipziger Straße, endete“, sagt Petra Hilbert. „Da müssten die Leute nicht über die stark befahrene Wittgensdorfer, um in die Linie 21 zum Einkaufen umzusteigen.“ Hartnäckig und ausdauernd ist sie ja, die ehemalige Leistungssportlerin (Turnen/Gymnastik), die seit 1996 aktiv in der Volkssolidarität wirkt. Zu Beginn war es eine ABM für die Betreuung älterer Mitglieder, weil sie aus dem Gesundheitswesen der Stadt, wie viele anderen Schwestern, entlassen worden war. Später hatte sie einfach das Gefühl, in der Wohngruppe gebraucht zu werden. Inzwischen ist sie im Renten-, nicht im Ruhestand. Sie fühlt sich gesund und ist dafür dankbar, wirkt unermüdlich im Haus und Garten, für die Familie. Sie hat drei erwachsene Kinder und drei Enkel. Dabei findet sie noch genug Kraft für den Verein, praktiziert Nächstenliebe. Am meisten wird sie hier unterstützt von ihrem Mann Günter, der mit dem Auto für sie und die „Soli“ überall hinfährt, wo es nötig ist.