Kulturelle Traditionen des „TIETZ“

Für nahezu neun Jahrzehnte diente das monumentale „Tietz“- Gebäude im Stadtzentrum dem Handel. Am 23./24. Oktober 2004 nahmen es nun nach zweijährigem Um- und Ausbau die ersten 17.000 Besucher als Zentrum für Kultur und Bildung in Besitz. Das Areal verfügt jedoch nicht nur über kommerzielle, sondern auch schon über kulturelle Traditionen. Von 1879 bis 1912 befand sich hier, in der seinerzeitigen Poststraße, ein Zentrum der Unterhaltungskunst und des Varieté – der Mosella-Saal, das spätere Apollo-Theater. Diese Kulturstätte war 1877 bis 1879 von dem Kaufmann und ersten Delikatessenhändler unserer Stadt Friedrich Bernhard Beyreuther errichtet worden. Sie war im maurischen Stil gestaltet und erhielt ihren Namen nach dem bei Schiras in Persien gelegenen Hain, der viele maurische Bauwerke besaß. Die Flure, die zu dem Saal mit zwei langen Galerien führten, waren als Palmengärten angelegt. Zu diesem Zeitpunkt besaß das damals etwa 80.000 Einwohner zählende Chemnitz keinen anderen Saal, der es mit dem Mosella-Saal hätte aufnehmen können. Die „Leipziger Illustrierte Zeitung“ schrieb damals: „Dieser prächtige Bau ist nicht nur eine Zierde von Chemnitz und des ganzen Sachsenlandes, sondern auch ein glänzendes Zeugnis von der vollendeten deutschen Baukunst.“ Der Mosella- Saal war auch das erste Etablissement in Chemnitz mit elektrischer Beleuchtung. Die festliche Einweihung erfolgte am 30. März 1879. Dazu hatte Friedrich Bernhard Beyreuther im „Chemnitzer Tageblatt und Anzeiger“ eingeladen: „Den geehrten Einwohnern von Chemnitz und Umgebung beehre ich mich ergebenst anzuzeigen, dass ich heute, Sonntag den 30. d. M. mit einem vom hiesigen gesamten Stadtorchester, unter Leitung des Musikdirektors Herrn Hans Sitt, auszuführenden Matinee-Concert mein neues Etablissement unter dem Namen MOSELLA-Saal eröffnen werde“. Zur Eröffnung erschienen die Spitzen der königlichen und städtischen Behörden und natürlich die ersten Gesellschaftskreise. Das Publikum war, wie es in einem zeitgenössischen Bericht hieß, „ganz entzückt von der märchenhaften Pracht“. Der Mosella-Saal wurde zu einem überaus geschätzten Zentrum der Konzertfreunde, in dem außer dem Städtischen Orchester auch die Kapelle des Infanterieregiments 104 und auswärtige renommierte Kapellen konzertierten. Im Saal kamen auch wissenschaftliche Vorträge zu Gehör. Am 9. Juli 1893 erfolgte im Mosella- Saal die Uraufführung des historischen Festspiels zur 750-Jahrfeier von Chemnitz, „Chemnitzia“, von Robert Hertwig mit 90 Mitwirkenden. Im Zuge der Zeit entwickelte sich das Verlangen nach neuen Unterhaltungsformen und so erfolgte die Umgestaltung des Mosella-Saales in eine „Varieté-Bühne“. In den Veranstaltungen traten Artisten ersten Ranges auf. Selbst Zirkus mit Tieren bot der Saal eine Auftrittsstätte. Ende der 1890er Jahre fanden hier täglich Vorführungen von „lebenden Riesen-Photographien“, Originalaufnahmen des Chemnitzer Filmpioniers Clemens Seeber, mit „höchst interessanten localen Aufnahmen“ statt. In den 1880er Jahren sah man hier die ersten Rollschuhläufer. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts verdrängte die starke Konkurrenz den Mosella-Saal vom ersten Platz in der Stadt. 1908 erfolgte sein Verkauf an Albert Halberfelder, der diesen in „Apollo-Theater“ umbenannte und als literarisch-musikalisches Kabarett weiterführte. Als sich der Konkurrenzdruck durch die neuentstandenen Unterhaltungs-Einrichtungen enorm verstärkte, wurde das Apollo-Theater in ein Kinomategraphen-Theater „als eine Stätte der Anregung, Unterhaltung und Belehrung für alle Volksklassen und für jedes Alter“ umgestaltet, das am 15. Januar 1910 eröffnet wurde. 1913 erfolge sein Abriss, um Baufreiheit für das Warenhaus Tietz zu schaffen. Die Erinnerung bewahrte das Filmtheater „Apollo-Theater“ am Holzmarkt 8.

aus VS Aktuell 4/2004, erschienen im  VS Aktuell 4/2004 Aus der Stadtgeschichte