Chemnitzer Theatergeschichte - Das Thalia-Theater

Ab der Mitte des 19. Jahrhunderts wurde die Chemnitzer Theaterlandschaft durch eine Kleinkunstbühne bereichert, die sich in der Folge zur ständigen Sommerbühne des Stadttheaters entwickelte. Im Februar 1850 erhielt der Rat der Stadt Chemnitz ein Schreiben aus Löbau. In ihm bat der Schauspieldirektor H. Title um die Erlaubnis zur Errichtung eines sogenannten "Tivoli oder Sommertheaters". Er versprach sich davon infolge seines Neuwertes "eine günstige Aufnahme" bei den Bürgern. Obwohl man es als Wagnis ansah, wurde dem Auftrag gegen eine Kaution von 400 Talern und einer Gebühr von einem Taler pro Vorstellung stattgegeben. Daraufhin wurde im Garten der 1845 erbauten Gastwirtschaft des "Restaurateurs Johann Gustav Hofmann" in der seinerzeitigen Nikolaigasse, der heutigen Zwickauer Straße 68 bzw. 65, eine Freilichtbühne errichtet. Der Zuschauerraum mit Holzdielung besaß 600 Sitz- und 400 Stehplätze, die von einer hohen Wand gegen äußere Einflüsse abgeschirmt waren. Die Besucher konnten während der Vorstellung ihr Bier trinken und auch rauchen. Die Eintrittspreise zwischen 2 und 8 Neugroschen waren für relativ breite Kreise doch erschwinglich. Am 21. Mai 1850 erfolgte die feierliche Eröffnung der Sommerbühne mit dem allegorischen Festspiel "Der Musen Sendung", an das sich noch zwei Lustspiele in ein bzw. zwei Akten anschlossen. Der "Chemnitz Anzeiger" urteilte am 26. Mai 1850: "Was wir bis jetzt gesehen haben, ... berechtigt zu den besten Hoffnungen." Und er behielt Recht. In den Sommermonaten fanden hier allabendlich Vorstellungen mit Stücken leichten Genres statt, die sich eines ständig wachsenden Publikums erfreuten. Die Beliebtheit des Sommertheaters führte schließlich nach 15 Jahren dazu, dass sich der Besitzer entschloss, ein festes, modernen Ansprüchen genügendes Theatergebäude zu errichten. Der Entwurf und die Ausführung lagen in den Händen der Baumeister Oscar und Gotthelf Anecke. Sie übernahmen dabei die komplette Ausstattung, die auch die technischen Einrichtungen und die künstlerische Ausgestaltung einschloss. Das Theater war nach zeitgenössischer Einschätzung "ein äußerst schmuckes, geräumiges und zweckmäßiges Gebäude ..., äußerlich im Charakter des modernen Holzstils mit Ziegelaussetzung". Nur die Fundamente und das Bühnenkellergeschoss waren massiv angelegt worden. Eine Freitreppe führte zunächst in eine Vorhalle, die als Aufenthaltsplattform für die Gäste in den Pausen diente. Von der Vorhalle aus führten die Zugänge zum Zuschauerraum und auf die Galerien. Die Logen waren von den Längsseiten zu erreichen. Zudem verfügte das Gebäude über zwei Bufetts für die gastronomische Betreuung. Die Länge des Gebäudes betrug 40m, wovon 22,5m auf den Zuschauerraum entfielen, und die Breite 20 m. Die Bühne hatte eine lichte Höhe von 9 m und war 12 m tief. Das Theater besaß 800 Sitz- und 400 Stehplätze. An das Gebäude grenzte ein geräumiger Konzertgarten. Die Direktion lag in den Händen von Ottomar Flüggen. Die festliche Neueröffnung des Thalia-Theaters erfolgte am 1. Juni 1865 mit der Fest-Ouvertüre von Hofkapellmeister Dr. Riete, ausgeführt vom gesamten Stadtmusikchor unter der Leitung von Musikdirektor Mansfeld, und dem Prolog "Der Einzug des Humors". Daran schlossen sich - normen esst oben - drei Lustspiele und Schwänke in jeweils einem Akt an. Das "Chemnitzer Tageblatt und Anzeiger" vom 4. Juni 1865 verglich die Aufführungen mit "goldenen Früchten in silberner Schale". 1890 wurde die Direktion des Sommertheaters mit der Leitung des Stadttheaters unter Richard Jesse vereinigt. Wilhelm Zöllner schrieb in seinem Buch "Chemnitz am Ende des XIX. Jahrhunderts", dass die Chemnitzer Gesellschaft die allabendlichen Vorstellungen "gern und fleißig besucht". Auf der Grundlage eines Vertrages mit der Stadtverwaltung und der Theater- Direktion nahm die Volksbühne am 1. September 1920 ihren Spielbetrieb im Thalia-Theater mit Georg Kaisers sozialkritischem Stück "Gas" auf. Doch der Vertrag wurde bereits im nächsten Jahr gelöst. Die letzte Vorstellung der Volksbühne erfolgte am 21. Juni 1921. 1922 wurde der Spielbetrieb infolge Baufälligkeit gänzlich eingestellt. Nach Generalkonstruktion wurde das Thalia-Theater am 15. Oktober 1922 als "Kleines Theater" weitergeführt. Das Restaurant und Ballhaus "Tivoli", im Volksmund "Witwen-Casino" genannt, und die in dem ehemaligen Theater seit 1929 existierenden Tivoli-Lichtspiele hatten bis zur Zerstörung im Jahre 1945 Bestand.

aus VS Aktuell 3/2005, erschienen im  VS Aktuell 3/2005 Aus der Stadtgeschichte