Jeden Mittwoch, 14:00 Uhr, treffen sich Frauen und Männer der Wohngruppe 072 in der Begegnungsstätte Bruno-Granz- Straße gegenüber vom Vita-Center (Heckert-Gebiet) für runde drei Stunden zu Skat und Rommé. Die ersten haben sich meist 20 Minuten eher eingefunden. "Annemarie ist auch schon da", stellt eine Frau beim Eintreten fest. Auf deren Betreiben hin findet diese unterhaltsame Freizeitbeschäftigung seit fünf bis sechs Jahren regelmäßig statt. Im Raum ist es relativ ruhig und gemütlich. Es gibt diverse Getränke, auch Kuchen. Kein Kartenknaller auf den fünf besetzten Tischen, kein Schimpfen, ab und zu ein ansteckendes Frauenlachen. Gespielt wird, "weil es Spaß macht", wie Nora Wenzel sagt. Und Annemarie Baßler, die mit ihr und einem Dritten eine flotte Rommee-Runde hinlegt, kann das nur bestätigen. Kartenspiele gehört zu ihren Hobbys, wie Kreuzworträtsel, Gymnastik und Reisen. Ihr wichtigstes Steckenpferd ist jedoch die Arbeit für die Wohngruppe der Volkssolidarität. Die hat sie maßgeblich mit aufgebaut, als sie Ende Dezember 1979 mit ihrem Mann Dagobert in das gerade entstehende Wohngebiet 5 bei Heckerts gezogen war. Viele persönliche Gespräche waren damals in den Elfgeschossern notwendig, damit man sich zusammenfand, um gemeinsam etwas auf die Beine zu stellen. "Ja, das ist ihre Stärke, auf jemanden zugehen, schnell Kontakt herstellen, zum Mittun gewinnen", sagt Monika Mozes, die das selbst erlebt hat. Kennen gelernt haben sich beide Frauen zu Monikas 60. Geburtstag. Sie war erst kurz zuvor in die Bruno- Granz-Straße gezogen, hatte sich noch gar nicht bei ihrer alten Wohngruppe abgemeldet. "Da stand Annemarie plötzlich mit Blumen vor der Tür, um mir im Namen der Volkssolidarität zu gratulieren." Länger als fünf Jahre ist das inzwischen her. Bei vielen weiteren Begegnungen, auch schon mal an ihrem Kaffeetisch, hat sie Monika für die Mitarbeit gewonnen, zuerst als Revisorin, seit einiger zeit als ihre Stellvertreterin. Nicht lange zurück sei die Annemarie mit einer Bewohnerin aus dem Nachbarhaus im Gespräch gewesen, von der sie gehört hatte, dass sie in der Wohngruppe mitmachen wolle. Die große, schlanke Frau ist schnell, nicht nur beim Kartenspielen. Charakteristisch ist für sie, dass sie Gelegenheiten sofort beim Schopfe packt. Als Leiterin und Hauptkassiererin in einem, kennt sie die meisten ihrer mehr als 200 Mitglieder und dazu noch viele andere Leute in der Umgebung. Aus ihrem Haus kann sie kaum hundert Meter gehen, ohne jemanden zu treffen, mit dem sie ein paar Worte wechselt. Sich um Mitmenschen zu kümmern, das gehört zum Wesen von Annemarie Baßler. Da geht es zum Beispiel um die kranke Nachbarin, für die sie etwas einkauft, die sie auch mal an etwas erinnern muss. Und dann ist es natürlich ihre Wohngruppe, für die sie Reisen organisiert oder ein Schlachtfest und die "Geburtstage des Monats". Zu all dem sagt sie kurz: "Das Organisatorische liegt mir einfach." Nach ein bisschen Überlegen fügt sie an, dass es die politischen Verhältnisse der vergangenen Jahrzehnte waren, die sie so geformt haben. Im Jahr 1944 mit 18, wie viele gleichaltrige Mädchen noch zur Flak eingezogen, musste sie in Oberschlesien und Österreich starke Scheinwerfer bedienen. Am 13. Februar 1945 erlebte und überlebte sie den großen alliierten Bombenangriff auf Dresden. All das hat ihre Haltung gegen den Krieg geprägt. So etwas darf nie wieder passieren, ist ihre Überzeugung. Stark beeinflusst habe sie außerdem ihr Mann, der gesellschaftlich sehr engagiert war. Er habe ihr beigebracht, über den eigenen Tellerrand zu sehen, selbst bei einer Familie mit vier Kindern. An dieser Sicht hat sich auch nichts geändert, als er vor sieben Jahren nach schwerer Krankheit gestorben ist. So freut sie sich ganz sehr über solche Höhepunkte im Leben der Wohngruppe wie die Feier zum 60. Jahrestag der Volkssolidarität. Dank der Organisation durch die Leitung und alle Volkshelfer beteiligten sich an der Veranstaltung in der Begegnungsstätte Clausstraße über 100 Mitglieder. Dort nahm Annemarie die 17-jährige Anne Stolp als Jüngste in die Wohngruppe auf. In ihrer Familie gibt es ebenfalls einen jüngsten Anlass zur Freude. Der heißt Robin und kam am 11.11.2005 zur Welt. "Ein Faschingsscherz", lächelt Annemarie verschmitzt. Nun hat sie zu den Kindern und sieben Enkeln den ersten Urenkel. "Wenn ich mal schlechte Laune habe", sagt sie, "sehe ich mir einfach sein Bild an, und schon muss ich wieder lachen."