Chemnitzer Lesehistorie

Das Buch besitzt auch heute noch – allen elektronischen Medien zum Trotz – einen überaus geschätzten Informations-, Bildungs- und Unterhaltungswert. Das rechtfertigt denn auch, einmal einen Blick in die Vergangenheit der Chemnitzer Bibliotheken zu werfen.

 

Die frühesten Zeugnisse bibliophiler Tätigkeit stammen aus der Zeit des Benediktinerklosters (1143-1540) und des Franziskanerklosters (1485-1540). Aus ihren Beständen sind noch heute Handschriften und Inkunabeln in der Stadtbibliothek vorhanden. Es waren vor allem theologische Schriften und Werke der Humanisten. Besondere Verdienste um die klösterliche „Liberey“ erwarb sich der Abt Heinrich von Schleinitz. Nach der im Gefolge der Reformation erfolgten Säkularisation der Chemnitzer Klöster gelangten deren Bibliotheksbestände in den Besitz der Chemnitzer Lateinschule. Deren Bücherei, die „Bibliothekae Licei“, wurde 1399 erstmals urkundlich erwähnt und existierte bis zur Auflösung des Lyceums 1835. Aus ihrem Bestand besitzt die Stadtbibliothek heute eine Erstausgabe des weltberühmten Werkes „De re metallica“ von Georgius Agricola. Ein neuer Abschnitt in der Bibliothekshistorie setzte zu Beginn des 19. Jahrhunderts ein, als sich Chemnitz zur „ersten Fabrik- und zweiten Handelsstadt“ in Sachsen entwickelte. Die Anregung zur Gründung einer öffentlichen Stadtbibliothek ging von dem 1820 gegründeten „Literarischen Verein“ aus. Initiiert durch eine Bücherstiftung des Zschopauer Unternehmers Jacob Georg Bodemer beschlossen die Chemnitzer Behörden 1867 die Gründung einer Stadtbibliothek. Ihre Eröffnung erfolgte am 3. Juli 1869 mit 444 Bänden in zwei Räumen der sog. Lechla’schen Villa, Annaberger Straße 44. Ihrem Charakter nach war sie eine Studienbibliothek für das Bürgertum. Das Amt des Bibliothekars wurde dem Realschuloberlehrer Dr. Volkmar König übertragen. Durch Ankäufe und Schenkungen verdreifachte sich der Bücherbestand binnen kurzem, so dass die vorhandenen Räume nicht mehr ausreichten. Deshalb erfolgte Ende 1869 die Verlegung der Bibliothek in das zweite Obergeschoss des Rathauses. Am 1. Januar 1893 war die Stadtbibliothek erstmals im „Jahrbuch Deutscher Bibliotheken“ mit 37.000 Bänden verzeichnet. Im Jahre 1912 erfuhr die Stadtbibliothek eine Neuprofilierung. Unter dem Namen „Städtische Bücher- und Lesehalle“ entstand eine sog. Volksbücherei, die ebenfalls in der alten Bürgerschule untergebracht wurde. Im Jahre 1913 verzeichnete sie bereits 77.778 Entleihungen. Neben der Stadtbibliothek entstanden auch Büchereien in den Vorstädten und Kirchgemeinden. So eröffnete die Markusgemeinde zum Beispiel 1901 ein Volkslesezimmer am Körnerplatz 11. Die Volksbücherei Altendorf konnte anlässlich ihres 10-jährigen Bestehens 1897 auf 13.468 Benutzer mit 15.673 Entleihungen verweisen. Eine erhebliche Literaturförderung brachte in Chemnitz die 1921 gegründete „Gesellschaft der Bücherfreunde“. Während der NS-Diktatur fielen 37.447 Bände der Stadtbibliothek dem Bestandseingriff zum Opfer. Ca. 12.000 Bände wurden ausgelagert. Beim Luftangriff am 5. März 1945 verbrannten 58.000 Bände. Ein durch Phosphor wieder aufgeflammtes Feuer im Keller vernichtete, was übrig geblieben war. Die Stadtbibliothek existierte nicht mehr. Mit einem Anfangsbestand von 713 Bänden erfolgte am 22. Oktober 1945 in den seinerzeitigen technischen Staatslehranstalten die Wiedereröffnung einer Volks- und Studienbücherei. Im März 1950 zog sie dann in die ehemalige Aktienspinnerei am Schillerplatz. Dazu kam noch eine Kinderbibliothek. Weitere Marksteine waren 1955 der Übergang zur Freihandbibliothek, die Errichtung von Stadtteilbibliotheken, die Schaffung eines Systems von Hausbibliotheken und eines audiovisuellen Kabinetts in den 1960er Jahren, die Gründung der Internationalen Bibliothek im Jahre 1976, der Musikbibliothek und des Regionalkundekabinetts 1988 sowie die Eröffnung des Lesecafés „exlibris“ 1989. Seit 2004 hat die Stadtbibliothek ihr Domizil in dem Kulturzentrum „DAStietz“ und wurde mit 629.926 Besuchern bei 1.827.477 Entleihungen zu einem kulturellen Besuchermagnet ersten Ranges. Seit Ende Juni 2006 ist sie in das Programm „American (a) your library“ der Botschaft der USA und deutscher Bibliotheken integriert.

aus VS Aktuell 3/2006, erschienen im  VS Aktuell 3/2006 Aus der Stadtgeschichte