„Dämonion oder das Reich des Lasters und der Thorheit“

Eine Spottschrift auf Chemnitz vor über 200 Jahren

Im November 1798 fand in Chemnitz eine von einem unbekannten Verfasser herausgegebene Schrift Verbreitung, die den Rat der Stadt und die Bürgerschaft in außerordentliche Erregung versetzte. Es handelte sich dabei um eine Spottschrift, die Chemnitz in einer bisher noch nie gekannten Weise schmähte und die bis heute ihres gleichen sucht. Sie trug der Untertitel: „Reise eines Schildbürgers oder freimütige Bemerkungen über Chemnitz“. Der Autor, gezeichnet als Rebmann der Jüngere - natürlich ein Pseudonym - geißelte in bitteren Worten, oftmals zwar stark überzogen, Chemnitzer Verhältnisse, Einrichtungen und Zustände. Die Palette reichte von Polizeiverfassung und Stadtmiliz über Postwesen, Straßenbau und Schulanstalten bis zu Theater, gesellschaftlichem Leben und den Gasthöfen. Bereits am Stadttor stieß der Verfasser, da es gerade Sonntag war, anstatt eines Postens im Schilderhäuschen nur auf „eine verrostete Flinte“ (Gewehr). Auf der Suche nach einer Unterkunft begegnete ihm dann im „Weißen Roß“ schlichte „Wirtsbrutalität“. Er besuchte das städtische Theater und fand einen Heuboden, „auf dessen Zuschauerplätzen man wegen des drohenden Einsturzes des Lebens nicht sicher ist“. In der Casino-Gesellschaft traf er auf „Schmeichelei und Spiel ... Götzen, denen man selbst opfert“. Ein Konzert beurteilte er mit den Worten: „Weiber und Mädchen fanden wir in großer Anzahl, die aber mehrerenteils, um sich zu präsentieren und sich bewundern zu lassen oder mit dem Amanten (Liebhaber) ein Stündchen in süßer Vertraulichkeit zuzubringen. „gekommen waren“. Der große Unbekannte suchte auch Parks und Gärten auf, die „gänzlich ruiniert“ waren. Die Chemnitzer Gasthöfe fand er in außerordentlich miserablen Zustand: Speise und Trank sind „so schlecht, dass sie für einen Reinlichkeit und Ordnung liebenden Menschen fast ungenießbar sind“. Er erlebte, dass die Einwohner wider amtlichen Ratsdekrets statt der Teilnahme am Gottesdienst „zeitige Spaziergänge“ in die Wirtshäuser unternahmen. Die Lateinschule, so wertete der Autor, „trägt die Schande der Einwohner von Chemnitz öffentlich an sich ...“. Solcherart und manchmal noch viel schlimmer bis hin zur Obszönität waren die Auslassungen des Schreibers, der allen Nachforschungen des Rates zum Trotz nie ermittelt werden konnte. Die Schrift, deren Exemplare von Freiberg nach Chemnitz gelangt waren, wurden sämtliche konfisziert, da „obrigkeitliche Verfügungen durch unwahre Zusätze und boshafte Verdrehungen in ein Gehässiges Lieht gestellt und lächerlich zu machen gesucht, nicht minder obrigkeitliche und Privatpersonen mit Benennung ihres Namens öffentlich beleidigt und an ihrer Ehre und Reputation gekränkt, wie auch übel gesinnte Untertanen dadurch zu Ungehorsam und zu verschieder Beurteilung obrigkeitlicher Verfügungen gereizt und verleitet werden“. Zu einem aufrechten Verteidiger der Ehre der Stadt, der die Angriffe des Verfassers des „Dämoniums“ entschieden zurückwies, wurde der Konrektor der Chemnitzer Lateinschule, Johann Theophilus Lessing, der Bruder des Dichters, mit seiner Ode auf Chemnitz'

aus VS Aktuell 1/2007, erschienen im  VS Aktuell 1/2007 Aus der Stadtgeschichte