Etwa seit 2000 fordern die Volkssolidarität, der Sozialverband Deutschland, der Seniorenverband BRH und andere verstärkt, endlich die im Einigungsvertrag versprochene Angleichung der Ost- an die Westrenten; was die Schaffung einheitlichen Rentenrechts in Deutschland zum Inhalt hat. Das bedeutet konkret die Anhebung des Rentenwertes (Ost) auf den allgemeinen Rentenwert. 2006 schlug die Gewerkschaft ver.di ein Stufenprogramm vor, das die – um den Staatshaushalt nicht zu überfordern – schrittweise Rentenangleichung in zehn Jahresschritten vorsieht (mittlerweile wurde es überarbeitet). Um die Beitragszahler nicht zu belasten, sollen die Mittel dafür aus Steuern finanziert werden. Da sich diesen Forderungen mittlerweile – neben den oben Ge- nannten – die Gewerkschaften der Polizei, GEW und TRANSNET sowie weitere Senioren- und Sozialverbände angeschlossen haben und der Druck aus der Bevölkerung immer größer wird, kamen die im Bundestag vertretenen Parteien nicht umhin, sich diesen zu stellen.
Nach nunmehr 18 Jahren staatlicher Einheit liegt der Rentenwert (Ost) bei nur rund 88 Prozent des Westniveaus. Ginge es nach den gegenwärtigen Gegebenheiten weiter, ist es auf Jahrzehnte nicht absehbar, wann die Herstellung gleicher Lebensverhältnisse der Rentnerinnen und Rentner in Deutschland erreicht sein wird. Deshalb hat sich die Fraktion Die LINKE im Deutschen Bundestag im Oktober 2007 der Forderung der Gewerkschaft ver. di im Wesentlichen angeschlossen (mit einem kürzeren Zeithorizont) und einen entsprechenden Gesetzentwurf eingebracht. Er wurde in die Ausschüsse verwiesen. Bis heute ist nichts geschehen, außer dass nunmehr die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, das Bundesministerium für Arbeit und Soziales und der Sachverständigenrat sich für eine „Umbasierung“ aussprechen. Dies würde bedeuten, dass formalrechtliche Übereinstimmungen herbeigeführt würden, durch die, was die Einkommen der betreffenden Rentnerinnen und Rentner angeht, alles beim Alten bliebe. Der vorliegende Gesetzentwurf der FDP ist so verklausuliert, dass ihn nur ausgewiesene Fachleute durchblicken. Angesichts der bevorstehenden Wahlen suggeriert er, dass sich die FDP den Forderungen der Rentnerinnen und Rentner im Osten stellt. In Wirklichkeit (auf Details kann hier aus Platzgründen nicht eingegangen werden) geht er davon aus, dass die Angleichung im Jahr 2130 und damit in 120 Jahren stattfinden würde.
Die Bundeskanzlerin, die doch vor etwa zwei Jahren den Anstoß dazu gab, Hinweise zu noch ungelösten Problemen der staatlichen Vereinigung zu sammeln und sie ihrer Parteifreundin Schipansky zu übermitteln, damit sie gelöst werden können, als auch die Koalitionsparteien SPD und CDU üben das „Schweigen im Walde“. Arbeitsminister Scholz sieht derzeit wegen der „Schwierigkeiten“ des Problems überhaupt keine Möglichkeit, dieses in absehbarer Zeit zu lösen. Mit anderen Worten: Weder die Regierung noch Bündnis 90/ Die Grünen, CDU, FDP, SPD wollen vor den Wahlen zum Deutschen Bundestag Festlegungen treffen, die eine tatsächliche Erhöhung der Renteneinkünfte der ostdeutschen Rentnerinnen und Rentner, das heißt gleiche Renten für gleiche Arbeitsleistung, bedeuten würde. Das dürfen sich die Betroffenen nicht bieten lassen! Wenn es jetzt nicht gelingt, die Regierenden zum Handeln zu veranlassen, dann ist zu befürchten, dass für die heutigen Rentnerinnen und Rentner im Osten „der Zug abgefahren ist“ und nur noch die biologische Lösung gilt. Für die künftigen Rentnerinnen und Rentner sieht die Zukunft noch düsterer aus.
Da die Forderungen der Gewerkschaften, Senioren- und Sozialverbände immer lauter werden und sie den „Argumenten“ gegen eine tatsächliche Angleichung nicht auf den Leim gehen, muss erneut die Wissenschaft ran. Unter der Überschrift: „Institut warnt vor Rentenanpassung – Einkommensentwicklung für Ostrentner problematisch“ erschien in der „Freien Presse“ vom 15. Januar ein Artikel, in dem das Ifo- Wirtschaftsinstitut München, Niederlassung Dresden, den Rentnerinnen und Rentnern im Osten weiß machen will, dass, würden die genannten Forderungen durchgesetzt, sich ihre Renten eher ungünstig gestalten würden. Dabei wird unter anderem darauf verwiesen, dass einst die Bundesregierung überlegt hätte, die Anhebung des Ostrentenwertes auf Westniveau vorzuschlagen. Im Gegenzug sollte dafür der so genannte Höherwertungsfaktor für ostdeutsche Einkommen wegfallen. Dieser war in Höhe von 18 Prozent einst eingeführt worden, um bei der Umstellung von DDR- auf Westrenten das niedrigere Lohnniveau der DDR auszugleichen, das im übrigen in den neuen Bundesländern bis heute teilweise fortexistiert. Das war übrigens kein Geschenk. Schließlich wurde den Ostdeutschen nicht nur das westdeutsche Wirtschafts- und Rechtssystem, sondern auch das Preissystem übergestülpt. Was die Gesetzesinitiative der LINKEN angeht, so sehen die Ifo-Wissenschaftler verfassungsrechtliche Bedenken. Worin diese liegen sollen, darüber lassen sie den Leser im Unklaren. Die zahlreichen Gewerkschaften und Verbände einschließlich dem Deutschen Beamtenbund haben offenbar keine Ahnung vom Verfassungsrecht.
Das Ifo-Institut ignoriert ebenso den 2. Workshop „Rentenangleichung Ost“, der am 12. Dezember 2008 unter Teilnahme der Gewerkschaften ver.di, Polizei, TRANSNET, GEW und der Senioren- und Sozialverbände Volkssolidarität, Sozialverband Deutschland und Bund der Ruhestandsbeamten, Rentner und Hinterbliebenen (BRH) in der ver. di-Bundesverwaltung stattfand. Alle Bedenken gegen die schrittweise Rentenangleichung wurden dort sachkundig vom Tisch gewischt. Einzig der eingeladene Vertreter der Regierung Franz Thönnes, MdB, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Arbeit und Soziales, ansonsten um Sachlichkeit bemüht, vertrat eine gegenteilige Meinung. Er gibt zwar auch der Hoffnung Ausdruck, dass eine allen gerechte Lösung gefunden werden kann, seiner Diktion nach könnte das aber der „Sanktnimmerleinstag“ werden. Er nennt u. a. als Voraussetzungen folgende Prinzipien: Lohnund Beitragsbezogenheit der Renten, Generationengerechtigkeit und Finanzierbarkeit. Nun, die Lohnund Beitragsbezogenheit negiert niemand, unter der Bedingung der Beibehaltung des Höherwertungsfaktors (auch für die Zukunft!) aus den genannten Gründen. Was die Finanzierbarkeit anbelangt, so würde nach übereinstimmenden Angaben, auch seitens des Ministeriums für Arbeit und Soziales, die gesamte Angleichung einen Betrag von 6 Milliarden EURO, im ersten Jahr etwa 600 Millionen EURO, kosten. Wie wir wissen, spannte die Bundesregierung angesichts der von ihr mitverschuldeten Finanzkrise über die Banken einen „Schirm“ von knapp 500 Milliarden und „schnürte“ ein Konjunkturpaket, unter anderem zur Stützung der Autoindustrie, von 50 Milliarden EURO, und das wird noch nicht alles sein. Sage uns also niemand, für die Angleichung der Renten sei kein Geld da. Und was die Generationengerechtigkeit angeht, so haben sich die Rentnerinnen und Rentner über Jahre vorhalten lassen müssen, sie sollten nicht auf Kosten ihrer Enkel leben. Was ist aber nun mit der derzeit größten Staatsverschuldung in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland? Diese Fragen sollten sich die Ignoranten selbst beantworten.
Ähnlich wie jetzt bei der versuchten Bewältigung der Finanz- und Wirtschaftskrise geht es bei der Angleichung der Renten zwischen Ost und West nicht um eine bloße formalrechtliche technische, sondern um eine politische Lösung des Problems. Dazu ist jedoch der politische Wille vonnöten. Nicht zuletzt ist endlich anzuerkennen, dass sich aus dem Einigungsvertrag auch eine rechtliche Verpflichtung ergibt. Auf genanntem Workshop schlug der Präsident der Volkssolidarität, Prof. Dr. Gunnar Winkler, drei Kriterien für die Angleichung der Renten vor:
Erstens handelt es sich bei der Angleichung um einen Restposten im Prozess der deutschen Einheit. Dazu gehört, dass in einem absehbaren Zeitraum vergleichbare Lebensarbeitsleistungen auch in der Rente gleich anerkannt und bewertet werden. Es geht nicht einfach nur um mehr Rente im Osten, sondern um die Gleichbehandlung der Rentner in Ost und West. Deshalb sollte der Bund für die Finanzierung einer Lösung aufkommen.
Zweitens darf es keine Lösung zu Lasten der Versicherten und Rentner in den alten Ländern geben. Durch die Steuerfinanzierung muss gesichert werden, dass für sie im Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung keine höheren Belastungen entstehen...
Drittens muss gewährleistet bleiben, dass sowohl die Interessen der ostdeutschen Rentnerinnen und Rentner als auch der Arbeitnehmer - d. h. der künftigen Rentner - angemessen berücksichtigt und vernünftig ausgeglichen werden...
Dazu hat der oben genannte Workshop verwertbare Vorschläge erarbeitet. Man muss sie nur lesen. Die alsbaldige, schrittweise Angleichung der Renten ist möglich.