Dass das Gebäude des 1. Montessori-Kinderhauses an der Ernst-Enge-Straße bereits vier Jahrzehnte alt ist, sieht man ihm seit wenigen Wochen gar nicht mehr an. Nach einer kompletten Sanierung der Fassade erstrahlt es pünktlich zum Jubiläum in neuem Glanz.
1969 wurde der Kindergarten im Beimlergebiet eröffnet. Fast seit Anfang an mit dabei ist Ulrike Habener. Die gelernte Krippenerzieherin, die zuvor bereits sieben Jahre an einer Kinderkrippe in Mittweida gearbeitet hat, kam 1970 durch einen Umzug an die Einrichtung. Am 31. Juli 2009 ging sie in den Ruhestand. VS Aktuell befragte die langjährige Mitarbeiterin wenige Tage zuvor über ihre Erfahrungen.
Frau Habener, Sie haben 1970 in der damaligen Kinderkrippe des Hauses angefangen. Heute betreuen Sie die Kinder in der Käfergruppe, also auch wieder die Kleinsten. Was hat sich in den nun fast 40 Jahren dabei geändert?
Die Kinderkrippe in der DDR und die jetzige Betreuung der Kleinen in der Käfergruppe unterscheidet sich im Wesentlichen. Wobei wir heute als auch damals mit den Kindern gespielt und gesungen, sie getröstet und mit ihnen gelacht, sie gesäubert und gewickelt und sie in ihrer Entwicklung gefördert haben.
Heute hat die Kindertagesstätte jedoch immer mehr eine Bedeutung als Bildungseinrichtung gewonnen. Dabei steht die individuelle Entfaltung der Kinder über ein spielerisches, kreatives und vor allem aktives Lernen im Mittelpunkt. Das ist darin begründet, dass sich die Lebensbedingungen stark gewandelt haben. Beispielsweise werden die Familien immer kleiner und ein Kind hat in seiner Umgebung weniger Kontakt zu anderen Kindern, so dass die Bedeutung der Kindertagesstätte enorm gestiegen ist.
Der Erzieher der DDR gab den Kindern vieles vor, es hatte seinen Anweisungen zu folgen, auch wenn es gerade andere Interessen hatte. Heute beobachten wir die Kinder bei ihren selbst gewählten Tätigkeiten und können dadurch Stärken und Entwicklungsprozesse besser erfassen. Diese halten wir zur Dokumentation schriftlich fest.
Nach der Wende habe ich den Abschluss als staatlich anerkannte Erzieherin abgeschlossen und 2008 auch das Weiterbildungscuricculum zur Umsetzung des Bildungsauftrages in Kindereinrichtungen absolviert. Ich habe in altersgemischten Gruppen, im Hort und seit 2006 wieder in meiner Lieblingsaltersgruppe mit Kindern im Alter von einem bis ca. zwei bzw. drei Jahren, bei den Käfern, gearbeitet.
In den 90er Jahren zog die Montessori-Pädagogik in das Haus ein. Zunächst nur in eine Hälfte, dann im gesamten Gebäude. Was halten Sie vom pädagogischen Konzept Maria Montessoris?
Sehr viel. Ich finde es gut, dass das Kind und seine Bedürfnisse bei Montessori im Mittelpunkt stehen. Wenn ich noch jünger gewesen wäre, hätte ich auf alle Fälle den Montessori- Lehrgang absolviert.
Können Sie mit den Kleinen der Käfergruppe Montessori anwenden?
Die Käferchen sind noch sehr klein und pflegerische Maßnahmen stehen zunächst im Mittelpunkt. Bei unserer täglichen Arbeit mit den Kleinen fließen jedoch auch verschiedene Ansätze und Ideen aus der Montessori-Pädagogik mit ein. Das Kind wird im Sinne Montessoris mit Respekt behandelt und seine Individualität steht dabei im Mittelpunkt.
Heute wird viel Wert auf die Zusammenarbeit mit den Eltern gelegt. War das schon immer so?
Nein, eher nicht. Damals lebten in den Neubauten des erst entstandenen Beimlergebietes vorwiegend junge Menschen. Sie brachten ihre Kinder zu uns in den Kindergarten und wenige Jahre später waren viele unserer Kinder wieder da – diesmal als Eltern ihrer Kinder, die sie in unsere Betreuung gaben. Dabei war der Umgang mit ihnen auch immer etwas „steril“. Sie mussten beispielsweise erst an der Tür klingeln, um ihre Kinder zu übergeben, und sie mussten wieder klingeln, um die Kinder abzuholen. Auch die Räume, in denen sich die Kinder aufhielten, sollten sie eigentlich nicht betreten. Das Einbeziehen der Eltern, wie es heute geschieht, wurde damals auch nicht so gehandhabt. Es gab zwar Elternabende, bei denen die Eltern informiert wurden, gemeinsame Arbeitseinsätze und Projekte im Interesse der Kinder, wie sie heute üblich sind, gab es jedoch in unserer Einrichtung damals kaum, obwohl es woanders gang und gäbe war. Tatkräftige Unterstützung bekamen wir jedoch von unserer Patenbrigade. Nach der Wende hat sich die Situation sehr schnell verändert: Viele junge Menschen verließen das Beimlergebiet, die meisten der älteren blieben. Die Einrichtung verlor immer mehr ihre Bedeutung als Einzugskindergarten.
Mittlerweile kommen die Kinder aus fast allen Stadtteilen von Chemnitz. Die meisten Eltern haben sich für das Kinderhaus nicht aufgrund der Lage, sondern aufgrund des gelebten Montessori- Konzeptes entschieden. Dieses beinhaltet von Grund auf eine enge Zusammenarbeit zwischen Erziehern und Eltern im Interesse des Kindes. Heute werden die Eltern nicht nur auf Elternabenden informiert, sondern sie werden in Form von Entwicklungsgesprächen in die pädagogische Arbeit mit einbezogen. Darüber hinaus packen sie auch mehr als früher mit an, machen beispielsweise beim Frühjahrsputz oder bei Garteneinsätzen mit.
Ende Juli gehen Sie in den Ruhestand. Werden Sie die Kinder vermissen?
Ja, das wird sicher schlimm. 46 Jahre bin ich mit Kindern umgeben gewesen und ich bin immer gerne auf Arbeit gegangen. Sicher werden sie mir fehlen. Aber wie alles im Leben hat dieser Einschnitt sicherlich seine schlechten, aber auch seine guten Seiten.
Vielen Dank für das Gespräch!