Immer, wenn er gebraucht wird, ist er da, der gute Geist der Begegnungsstätte am Harthwald 3. Er hilft Tische eindecken, Singlefrüh-stück oder Abendbrot zubereiten. Er wäscht mit auf und sorgt mit dafür, dass alle Gäste einen Platz bekommen. Da macht er ein Schwätzchen zum Gesundheitszustand. Dort lädt er zu einer Veranstaltung ein, so zur Midsommernacht am 21. Juni. Und die Gardinen der Begegnungsstätte hat er auch schon gewaschen.
Der gute Geist ist eine Frau, nicht mehr die jüngste, aber immer noch flott – Eleonore Kunze. Jeder der sie kennt, nennt sie einfach nur Lore. Das mit dem „guten Geist“ hat die frühere Leiterin der Begegnungsstätte, Renate Gerlach, gesagt. Sie ist 2008 in den verdienten Ruhestand gegangen. Ab und zu springt sie noch ein. Was die fleißige Helferin betrifft, die sie schon viele Jahre kennt, fügt sie bewusst an: „Die Senioren sind froh, dass sie ihre Lore haben.“ Auch die neue Leiterin, Edelgard Preißler, ist froh über die Unterstützung von Frau Kunze. „Ohne sie, die hier alle und alles kennt, hätte ich viel länger gebraucht, mich einzuarbeiten.“ Interessant, dass sie ihre ehrenamtliche Mitarbeiterin inzwischen schon erkennt, wenn sie deren schnellen Schritt hört. Lore könne auch nie still sitzen, müsse immer etwas tun und in Bewegung sein.
Bewegt war ihr Leben schon von früher Jugend an. Ihre Eltern und ihre Schwester sind an Tuberkulose gestorben. Da war sie noch ein Schulkind. Nach ein paar Jahren in der Familie eines Onkels väterlicherseits wurde sie in Pflege gegeben, als sie 1946 aus der Schule kam. So lebte die junge Chemnitzerin bei einem älteren Ehepaar im nahegelegenen Neukirchen. Dort entschloss sie sich, bei dem Bauern und Gastwirt der „Linde“ zu arbeiten. Kühe melken, Stall ausmisten, auf dem Feld Garben binden und Puppen aufstellen, Fenster putzen, in der Gastwirtschaft helfen, alles hat Eleonore gemacht. Arbeit schändet nicht, war die Devise. Geld gab es nicht viel. Aber wenigstens war die Verpflegung gesichert.
Volljährig ging sie 1950 zurück nach Chemnitz, wo sie sich im Spinnereimaschinenbau und später im VEB Fahrzeugelektrik zur Lackiererin qualifizierte. Im Jahre 1990 hieß es für sie, wie für viele andere, ab in den Vorruhestand! Doch ruhen konnte sie nicht. Wo es möglich war, zum Beispiel beim Handel, hat sie sich etwas dazu verdient. Aber auch später, als Rentnerin, hat sie nie gerastet, weil sie nicht rosten wollte.
Seit 1978 ist sie Mitglied der Volkssolidarität. In ihrer Wohngruppe 046 wirkt sie bereits 22 Jahre als Volkshelferin. Sie kassiert 19 Mitglieder, lädt sie zu Ausfahrten und bunten Veranstaltungen ein und gratuliert zu Geburtstagen. Nachbarschaftshilfe leistete und leistet sie bei vielen älteren Menschen in ihrer Harthwald-Umgebung. Zur Zeit steht sie im Haus Nr. 3, wo sie auch wohnt, der Lotte Bormann bei, die im April aus dem Krankenhaus zurück kam. Lore erledigt Einkäufe für sie, leert den Briefkasten und hilft beim Aufwaschen. Ähnlich betreut sie die 86jährige Marianne Uhlig gleich nebenan. Dabei gibt es auch manchen kleinen Schwatz. Schließlich weiß Lore Kunze, wie hart Alleinsein wirken kann, besonders nachdem sie 1977 ihren Mann Werner verloren hat. So sucht sie die Gesellschaft, um anderen und sich selbst zu helfen. In der Begegnungsstätte hat sie ihre künstlerische Ader entdeckt. Mit einer Bastelgruppe probierte sie Seidenmalerei, Töpferei und Serviettentechnik aus. Vieles davon findet sich in ihrer kleinen gemütlichen Wohnung. Aber über ihrem Esstisch hängt ein Bild, das große Mohnblumen zeigt. Signiert ist es von Onkel Kurt, einem Bruder der Mutter, der Seemann war. Er hat viel gemalt. Lächelnd sagt sie: „Vielleicht habe ich das Talent von dieser Seite geerbt.“ Gegenwärtig fertigt sie gern 3-D-Karten für alle festlichen Anlässe. In einem Schrank der Begegnungsstätte hat sie mehr als ein Dutzend davon ausgestellt. Außerdem zählen Lesen historischer Romane und Reisen mit Tochter Beate (58) und Schwiegersohn Horst (60), vor allem nach Österreich, zu ihren bevorzugten Hobbys.
Wenn dann an Freitagnachmittagen die Volksmusikgruppe „Freie Spieler“ unter Hans-Dieter Müller und Wolfgang Sommer ihre Weisen im Harthwald 3 erklingen lässt, ist die Lore voll und ganz in ihrem Element. Herzlich begrüßt sie die sieben Musiker und deren Gäste. Mit Edelgard Preißler sorgt sie für Kaffee und Kuchen. Dazwischen singt sie auch mal die „Rosamunde“ oder das „Hoch auf dem gelben Wagen…“ mit. „Die Lore ist auf Zack“ und „Wenn sie die nicht hätten, könnten sie zu machen“, kommt es von Christine Fahr und Eva Lässig aus dem Publikum. Fragt man sie, warum sie all das tut, sagt Frau Kunze schlicht : „Aus Nächstenliebe.“
Eleonore Kunze
aus VS Aktuell 2/2010, erschienen im VS Aktuell 2/2010 Im Ehrenamt vorgestellt Am Hartwald