„Auch in diesem Monat wird im Seniorentreff so manches geboten … Der Höhepunkt … wird der Schürzenball am 23. Juni ab 14.00 Uhr sein. Suchen Sie, liebe Seniorinnen, schon jetzt nach Ihrer schönsten Schürze, mit der Sie die Aufmerksamkeit auf sich lenken …“ . Die einladenden Zeilen vom vergangenen Juni im Frankenberger Amtsblatt hat Liselotte Berghänel geschrieben, Diplomjournalistin, Rentnerin und Leiterin der zum Stadtverband Chemnitz gehörenden Wohngruppe 077 in Frankenberg. Sie gehört zu denen, welche die Volkssolidarität im Ort zu neuem Leben erweckt haben, als der sächsische Landesverband 1997/98 in der dortigen Humboldtstraße eine Anlage für betreutes Wohnen errichten ließ. Marion und Bernd Göhzold, zwei weitere Aktivisten des Neubeginns, hatten sie damals für die Übernahme der Leitungsfunktion gewonnen. „Wahrscheinlich, weil ich schon lange vorher regelmäßig über unsere Begegnungsstätte geschrieben habe“, meint Lilo Berghänel. Zur Leitung gehören sechs weitere Frauen, und alle wirken, wie Lilo, im Klubrat des Seniorentreffs mit. „Wir haben guten Kontakt miteinander“, sagt Karin Neumann, die in der Wohngruppe für Kultur zuständig ist. Lilo sei keine, die kategorisch bestimmt, was gemacht wird. „Sie geht auf die anderen ein, berät sich, und dann kommen eben Vorschläge von allen Leitungsmitgliedern“, legt Michéle Thiele dar. Sie leitet hauptamtlich die Begegnungsstätte, die ebenfalls in der Humboldtstraße liegt. Hier ist der Mittelpunkt für alle Frankenberger Soli-Mitglieder, aber auch für viele andere Seniorinnen und Senioren. Mitte Mai bestand der Treff 50 Jahre, was von zahlreichen Gästen mit Kaffee und Kuchen, Chorgesang, böhmischer Blasmusik und Tanz gebührend gefeiert wurde. Auch dafür hat die Leitung der Wohngruppe unter Lilo Berghänel gesorgt. Das Gremium pflegt gute Kontakte zur Stadtverwaltung und zu örtlichen Unternehmen, die das Haus und die Wohngruppe bei ihren Aktivitäten gern unterstützen.
Von Fasching und Liedersingen über Reiseerzählungen von Marion Göhzold, Gesundheitsvorträgen und verschiedenen Ausstellungen bis zum traditionellen Stollenessen Alleinstehender am Heiligabend reicht die Palette. Und alle Ausfahrten werden ebenfalls im Seniorentreff von der Leitung geplant. So geht es Anfang Oktober zum Schloss Wackerbarth bei Radebeul und in der Adventszeit nach Schwarzenberg zum Weihnachtsmarkt. „Lilo kommt zwei- bis dreimal die Woche in der Begegnungsstätte vorbei“, erwähnt Michéle, „auf jeden Fall aber montags, um sich neue Informationen zu holen.“ Einmal Journalistin, immer Journalistin. Die kleine, schlanke Frau freut sich stets, wenn sie von Bekannten auf ihre Nachrichten und Berichte im Frankenberger Amtsblatt angesprochen wird, wenn die dann sagen: „Dein Artikel war interessant, hat mir gefallen.“
Die in Dittersbach Geborene besuchte nach der achten Klasse zwei Jahre die Handelsschule in Frankenberg. Dort erlernte sie anschließend bei der Zigarrenfabrik „Buchheim & Richter“ den Beruf der Stenotypistin. Darauf folgten harte, entbehrungsreiche Jahre mit Arbeitsdienst und Kriegshilfsdienst in Schlesien und Brandenburg. Ziemlich geschwächt 1944 entlassen, fand sie Arbeit als Sekretärin bei der Reichsbahnschule in Hainichen. Im selben Beruf arbeitete sie nach Kriegsende bis 1949 auf dem Gemeindeamt Dittersbach. Damals gab es dort nur den Bürgermeister und zwei Frauen. Der Anruf eines Angestellten vom Landratsamt Flöha im Sommer 49 war der eigentliche Anlass für ihre journalistische Laufbahn. Lilo nahm das Gespräch entgegen und gab wahrheitsgemäß Auskunft, dass der Bürgermeister abwesend war. Der Anrufer wollte aber nicht mit Frauen verhandeln und empörte sich: „Ist denn kein Mann da?“ Lilo erinnert sich : „Das hat mich so geärgert, dass ich einen wütenden Leserbrief für die damalige ‚Volksstimme’ geschrieben habe.“ Damit sei sie schlagartig im ganzen Kreis bekannt geworden. Der Redakteur habe die provokatorische Frage gleich als Titel verwendet. Derart auf Lilo aufmerksam gemacht, gab es von den verschiedenen Stellen im Kreis fördernde Aussprachen, gefolgt von Lehrgängen. Letztendlich landete sie auf eigenen Wunsch im Januar 1951 bei der Chemnitzer „Volksstimme“, der späteren „Freien Presse“, der sie bis zur Rente 1984 treu blieb. Leserbriefe, Landwirtschaft, Innenpolitik waren unter anderem ihre Arbeitsgebiete. Dabei hat sie noch von 1956 bis 1962 ein Fernstudium an der journalistischen Fakultät der Karl-Marx-Universität Leipzig absolviert und als Diplomjournalistin abgeschlossen.
Zu ihrer Leidenschaft Schreiben kommen inzwischen noch andere Hobbys. Mit 77 Jahren erlernte sie das Klöppeln und übt sich auch in weiteren Handarbeiten. Lesen ist ihr ebenfalls ein Bedürfnis, wie die Arbeit mit der Wohngruppe und im Seniorentreff. Zwar lebt sie in ihrer Frankenberger Wohnung allein, aber: „Man kann sich doch nicht abkapseln und vielleicht nur vor der Glotze sitzen“, ist ihre Devise. Richtig ans Herz gewachsen ist ihr die Chronik zur Begegnungsstätte, die sie ständig vervollkommnet und die eigentlich auch Chronik der Wohngruppe 077 ist.
Liselotte Berghänel
aus VS Aktuell 3/2010, erschienen im VS Aktuell 3/2010 Im Ehrenamt vorgestellt Frankenberg