Ihr Hobby ist schwarz. Es hat vier samtweiche Pfoten und hört auf den schönen Namen Willi. Liebevoll betreut Renate Schulze seit mehr als vier Jahren den Kater, den sie von ihrer Freundin Erika bekommen hat, als die unheilbar krank geworden war. Heute könnte der Bartputzer als Symbol für Nachbarschaftshilfe gelten. Jeder im Haus kennt ihn und öffnet ihm die Tür, wenn er herein oder hinaus will. Und wenn seine Herrin verreist, wird er neben ihren Blumen und Grünpflanzen mit ins Pflegeprogramm genommen.
Nachbarschaftshilfe, diese Tragesäule der Volkssolidarität, gehört in der Albert-Köhler-Straße des Heckert-Gebietes, wo Renate seit November 1979 wohnt, zur Normalität, wie sie sagt. In vielen Fällen habe sie auch zur Mitgliedschaft in dem Wohlfahrtsverein geführt. Da wurden und werden nicht nur die Blumen gegossen und Haustiere versorgt, wenn jemand längere Zeit abwesend ist. Da wurden und werden Kinder von Älteren betreut, wenn Mutter und Vater lange Arbeitstage haben, erledigt man Behördengänge und Einkäufe für Kranke, die nicht aus der Wohnung können. „Ja, wenn ich die Renate nicht hätte für die kleinen Dinge, die ich brauche“, sagte Anna-Maria Fleischer dankbar, als sie sich wegen ihres Ischias nur mit Schmerzen bewegen konnte.
Ihr Ehemann Rudolf hat übrigens 2001 bei Renate den Anstoß dazu gegeben, daß sie sich stärker für die Volkssolidarität engagierte. Mit 81 Jahren und schwacher Gesundheit suchte er jemanden, der seine Volkshelfer-Arbeit übernahm. „In dieser Funktion steckt viel Warmherzigkeit“, sagt die couragierte Chemnitzerin heute. „Die Volkshelfer sind die freundlichen Mittler zwischen den einzelnen Mitgliedern und dem Verein.“
Wenngleich der gute Kontakt zu dem kleinen von ihr kassierten Kreis nach wie vor besteht, laufen bei Renate Schulze jedoch inzwischen die Gelder aller 154 Mitglieder der Wohngruppe 072 zusammen. Als ihre Fähigkeit, verantwortungsbewußt und zielstrebig mit Geld umzugehen entdeckt worden war, wurde sie 2006 zur Hauptkassiererin gewählt. Die Wohngruppenleiterin Monika Mozes meint dazu: „Das war ein Glückstreffer. Eine bessere hätten wir für diese Funktion nicht finden können.“
Bei 43 Jahren Arbeit im Handel ist das natürlich kein Wunder. Von 1955 bis 1957 erlernte die junge Renate den Beruf einer Textilverkäuferin beim KONSUM ihrer Heimatstadt und übte bis 1998 in ihrer Branche auch verschiedene Verwaltungs- und Leitungsfunktionen aus. Dabei hatte sie stets engen Bezug zur Praxis. Allein 27 Weihnachtsmärkte hat sie in der Stadt seitens des KONSUMS mit organisiert. Arbeitslos von Januar 1999 bis Ende 2000, hat sie nebenbei als Bergführerin in den Felsendomen Oberrabenstein einmal mehr bewiesen, dass sie mit Menschen umgehen und rechnen kann.
Das Rechnen lässt sie nicht los, und ihre offene, herzliche Art kommt bei vielen Leuten an. Bei allen passenden Gelegenheiten, so beim Markersdorfer Familienfest oder beim Weihnachtsmarkt der Vereine im Bonhoeffer-Gemeindezentrum, sieht man sie mit Losen der Volkssolidarität. Auf ihr Betreiben verkaufte die Wohngruppe allein im vorigen Jahr 1.300 Lose. Das brachte 130 Euro. Und durch den von Renate mit initiierten Weihnachtsbasar im Gemeindezentrum kamen noch einmal über 80 Euro in die Kasse. Dabei geht ihr Engagement über die eigene Gruppe hinaus. Als sich die Harthauer Wohngruppe 2008 wegen Krankheit des Leiters Werner Ihle aufzulösen drohte, hat sie dort die Patenschaft übernommen und bezieht die 15 Mitglieder einfach mit in ihre Hauptkassierertätigkeit ein. Auch zu Veranstaltungen der 072 werden die Harthauer eingeladen und einmal im Jahr gibt es eine eigene Zusammenkunft im Café „Fleur“.
Renate Schulzes Interesse an den verschiedenen Facetten der Arbeit des Stadtverbandes zeigte sich unter anderem bei der Teilnahme an dem gemeinsamen Projekt „Annäherung“ mit dem Alternativen Jugendzentrum (AJZ). Alt gab Erfahrungen an Jung weiter. Daraus entstand ein Heft mit Text und Bild. Und überzeugend setzt sich die Hauptkassiererin dafür ein, dass die Wohngruppe seit zwei Jahren zum Weihnachtsessen der Volkssolidarität für das AJZ spendet. „Ich bringe mich in jedes Vorhaben ein, wo ich mithelfen kann, dass es gelingt“, ist ihre Devise.
Für ihre Hilfsbereitschaft gibt es mehrere Beispiele. So bäckt sie Kuchen für Wohngebietsfeste oder unterstützt ehrenamtlich die Geschäftsstelle des Stadtverbandes. Heraus ragt die Hilfe für das hochbetagte Ehepaar Marianne und Georg Stenzel im Spätherbst 2009. Wie der Dispatcher eines Verkehrsbetriebes organisierte sie einen ehrenamtlichen Fahrdienst für den 90-jährigen Georg, damit er seine Frau täglich in der Kurzzeitpflegeeinrichtung Kanzlerstraße der Stadtmission besuchen konnte. Sie war zuvor wegen eines Oberschenkelhalsbruchs operiert worden. Taxifahrten über vier Wochen hätten ihm sicher die gesamte Rente gekostet, meinte Renate. Darüber hinaus erreichte sie mit Beharrlichkeit, dass Marianne noch vor Weihnachten des selben Jahres einen ständigen Platz im Pflegeheim „Matthias Claudius“ in der Schällerstraße bekam. Seitdem kann Georg Stenzel täglich seine Frau zu Fuß besuchen.
Fragt man die Helferin, woher dieser innere Drang kommt, andere zu unterstützen, wird sie nachdenklich. „Wahrscheinlich ist das tief in der Kindheit begründet“, meint sie dann. Krieg und Nachkrieg haben da Spuren hinterlassen. Vater Kurt ist noch bei Kriegsende in Polen gefallen. Bei dem schweren Bombenangriff auf Chemnitz, am 5. März 1945, konnte Mutter Helene sich und ihre beiden Töchter Inge und Renate aus dem brennenden Haus in der Augustusburger Straße mit nur wenigen Sachen retten. Die Familie, Freunde aber auch Fremde halfen in der darauf folgenden Zeit. Und zum Helfen hat die Mutter ihre beiden Mädels immer erzogen. Renate will das ebenso ihren zwei Töchtern Sylvia und Anette, den sechs Enkeln und dem kleinen Urenkel Anton stets vorleben.
Im Ehrenamt vorgestellt: Renate Schulze
aus VS Aktuell 1/2011, erschienen im VS Aktuell 1/2011 Im Ehrenamt vorgestellt