„Wenn wir heute in ganz anderer Art und Weise über das Alter denken als bisher, dann werden wir in Zukunft auch anders mit dem Alter umgehen.“ Das stellte Prof. Dr. Andreas Kruse von der Universität Heidelberg auf der Seniorenpolitischen Tagung der Volkssolidarität „Sozial gesichert und aktiv im Alter“ am 15. November in Berlin klar. Der Vorsitzende der Expertenkommission für den 6. Altenbericht der Bundesregierung sprach über die Altersbilder in der Gesellschaft.
Negative Bilder vom Alter wirkten sehr lange und stellten eher die Schwächen des Alters statt dessen Stärken in den Blick. Der Wissenschaftler machte das an zahlreichen gesellschaftlichen Entwicklungen deutlich. Dazu gehöre der in den 90er Jahren eingeführte Vorruhestand für ältere Arbeitnehmer. Die Unternehmen hätten dem zugestimmt, weil sie die älteren Beschäftigten für nicht mehr effektiv genug hielten und dafür lieber Jüngere einstellen wollten. Noch heute würden Unternehmen lieber hohe Abfindungen zahlen, statt über 60-Jährige weiter zu beschäftigen. Oft dienten einseitige Altersbilder auch als Grundlage für politische Entscheidungen.
Deshalb rege der 6. Altenbericht an, das Alter differenzierter zu sehen, betonte Kruse. Es dürfe nicht als fest eingegrenzte Lebensphase fehlverstanden werden. Stattdessen gelte: „Je älter eine Generation wird, desto größer ist ihre Verschiedenheit und Vielfältigkeit.“ Ausgangspunkt für die Expertenkommission sei der alte lateinische Grundsatz „salus publica suprema rex“ („Das Wohl der Gemeinschaft ist das höchste Gesetz!“). Daraus ergebe sich als ein Ziel, die Selbstverantwortung des Einzelnen zu fördern. Hinzu komme das Prinzip Mitverantwortung. Das bedeute, Menschen zu befähigen, sich für das Wohl der anderen einzusetzen. „Das beginnt früh im Leben eines Menschen“, so Kruse. Er betonte die „Nützlichkeit der Erfahrung, nützlich zu sein.“ Er stellte auch klar, dass dafür entsprechende gesellschaftliche Bedingungen geschaffen werden müssen.
Der Wissenschaftler sprach sich für das Prinzip der Subsidiarität aus. Das bedeute, Menschen, die nicht mehr selbstverantwortlich ihr eigenes Leben gestalten können, so zu helfen, dass sie das wieder tun können. Aber auch Solidarität sei wichtig: „Wer viele Ressourcen hat, die er dank der Gesellschaft erwerben konnte, sollte die Verpflichtung gegenüber der Gesellschaft spüren, diese Ressourcen auch zum Wohl der Gesellschaft einzubringen.“ Eine stärkere Solidarität innerhalb der Generationen sei notwendig. Mit Blick auf die Situation im Gesundheitsbereich kritisierte Kruse Altersbilder, mit denen Forderungen begründet werden, Ältere von medizinischen Leistungen auszuschließen. Dagegen habe sich die Expertenkommission einhellig ausgesprochen „Das ist eine Frage der Menschenwürde!“
Aus dem Publikum kam dennoch einiger Widerspruch, dass die Realität anders sei als die „guten Worte“. Das galt auch für Ministerialdirektor Dieter Hackler, Leiter der Abteilung Ältere Menschen im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Er hatte unter anderem aus einer Studie zitiert, dass diejenigen, die sich ehrenamtlich engagieren, im Durchschnitt sieben Jahre länger leben. Das „Ausrangieren von Älteren aus dem Erwerbsleben“ sei bestürzend. „Wer aus dem Arbeitsleben ausscheiden muss – welchen Wert hat er noch für die Gesellschaft?“ Deshalb sei es notwendig, über den Arbeitszeitbegriff neu nachzudenken, ebenso darüber, wie die Lebensphasen eingeteilt werden. „Die Gesellschaft tut oft so, als würden die Potenziale des Alters nicht gebraucht. Das ist ein unglaublicher Luxus, den wir uns zu lasten der Älteren leisten.“
Hackler bemerkte, dass, „wenn heute über Alter gesprochen wird, dann wird oft über Pflege geredet“. Das geschehe, obwohl mehr als 80 Prozent der über 65-Jährigen nicht pflege- oder hilfsbedürftig seien. Auf diesen Widerspruch machte auch Verbandspräsident Prof. Dr. Gunnar Winkler aufmerksam. Er stellte die beiden aktuellen Studien zur sozialen Lage der Generation 50+ und zu den Vorstellungen der Bürger über das Alter und das Altwerden vor. Diese hatte die Volkssolidarität beim Sozialwissenschaftlichen Forschungszentrum Berlin-Brandenburg (SFZ) e.V. in Auftrag gegeben. Das Bild der Bürger vom Altern werde mehr von ihrer Angst vor eigener Pflegebedürftigkeit bestimmt als von den offiziellen Erklärungen zum Alter als aktive Lebensphase, sagte Winkler. „Drohende Pflegebedürftigkeit rückt an die Spitze gesellschaftlicher und individueller Ängste vor dem Älterwerden. 63 Prozent aller ab 18-Jährigen in den neuen Bundesländern und Berlin-Ost ebenso wie 67 Prozent in NRW befürchten vor allem, im Alter pflegebedürftig zu werden.“
Die Vorstellungen der Bürger zum eigenen Altern seien kaum ausgeprägt, stellte der Verbandspräsident fest. Das gelte besonders für die 50- bis 65-Jährigen. „Das eigentliche Problem besteht darin, dass rund 40 Prozent der Befragten eher wenig bzw. keine Vorstellungen zu ihrem Lebensabend haben.“ Beachtenswert sei zudem, „dass bürgerschaftliches und politisches Engagement die letzten Rangplätze einnehmen. Sie haben einen geringen Stellenwert für das Leben im Alter.“ 47 Prozent im Osten und 43 Prozent in NRW gingen davon aus, dass für sie ein politisches Engagement im Alter nicht in Frage kommt oder kein Interesse dafür vorhanden ist. Daraus ergebe sich für Sozialverbände wie die Volkssolidarität die Aufgabe, Angebote zur sozialen Integration zu entwickeln.
Weitere Themen der Tagung waren die Ansprüche an die Arbeit des Verbandes aus den sich wandelnden Altersbildern, über die Vizepräsident Dr. Frank-Michael Pietzsch sprach. Steffen-Claudio Lemme, Bundestagsabgeordneter und Mitglied des Bundesvorstandes der Volkssolidarität, setzte sich mit der Zukunft des Generationenvertrages auseinander. Fragen der Teilhabe und Mitbestimmung älterer Menschen waren Thema eines Vortrages von Dr. Christine von Blanckenburg vom Berliner NEXUS Institut. Die Altersforscherin Dr. Dagmar Dräger von der Berliner Charité zeigte Altersbilder in den Bereichen Gesundheit und Pflege auf.
„Ja, wir wollen uns engagieren und wir wollen dazu beitragen, das Alter aktiv zu gestalten“, stellte Verbandspräsident Winkler zum Tagungsende klar. „Es geht nicht darum zu meckern oder zu jammern, sondern darum, wie wir für das aktive Altern möglichst günstige Rahmenbedingungen sichern können. Denn solche günstigen Rahmenbedingungen braucht es, damit sich die ältere Generation auch in Zukunft für das Gemeinwohl einsetzt. Dazu gehört eben auch soziale Sicherheit – nicht nur für die Alten, sondern für alle Generationen.“