Aktion Kaffeefahrt Teil 2

Im ersten Teil unseres Beitrages „Aktion Kaffeefahrt“, der in der VS Aktuell 4/2012 erschien, berichteten wir, dass wir einer Einladung zu einer Kaffeefahrt folgten. Diese sollte auf einen der schönsten Biohöfe Deutschlands führen und uns wurden zahlreiche Bio-Produkte versprochen. Doch am Ziel angekommen mussten wir feststellen, dass es sich nicht um einen Biohof, sondern vielmehr um eine etwas heruntergekommene Gastwirtschaft in Altenkirchen handelte. Richtig vermuteten wir schon, dass auch die anderen Versprechen der Einladung nicht gehalten werden. Mit „Nach der Pause kommt der Mann mit den Geschenken. Dann bekommt ihr eure Gewinne, auf die ihr die ganze Zeit so ungeduldig gewartet habt!“ wurden wir in die Mittagspause entlassen.

„Hallo, ich bin der Manni“, wurden wir danach wieder begrüßt, „He, schaut mich gefälligst alle an, wenn ich mit euch rede. Bevor es die Geschenke gibt, habe ich euch noch was zu sagen … Wie, wie lange das jetzt hier noch geht? Was ist denn das für eine Begrüßung. Hättet ihr vorhin bei meinem Kollegen mal besser mitgemacht, dann wäre es jetzt auch noch nicht so spät. Das war sehr unhöflich von euch. Ich war ja pünktlich da. Und musste solange warten. Also, ich hoffe ihr habt daraus gelernt und macht jetzt besser mit. Also, wo bleibt eigentlich mein Applaus! … Habt ihr alles schön auf den vorhin ausgeteilten Gewinnteilnahmescheinen ausgefüllt? Also Adresse, Geburtsdaten und den anderen Kram? Wer das nicht gemacht hat,  kann von mir keine Geschenke bekommen …“

Dann fragte er, wer gerne verreisen würde.  Wer sich meldete, erhielt tatsächlich fürs Mitmachen eine Belohnung unter animiertem Applaus ausgehändigt: 1 Schoko-Goldtaler.  Auf die Frage, wer sich über eine Reise an den Gardasee freuen würde, folgte eine Aufzählung weiterer beliebter Reiseziele. Wer einen Schoko-Taler ergattert hatte, sollte jetzt für nur 65 € pro Person seine einmalige Chance erhalten. Für Unschlüssige erläuterte „Manni“ noch, dass er für ein bekanntes Reisebüro arbeite, welches seine Reisen auch über die Aldi-Märkte vertreiben würde. Wer jetzt noch an der Seriosität zweifelte, wurde mit folgender Methode überzeugt: „Euch beide habe ich doch auch schon mehrfach hier gesehen. Wir kennen uns. Ihr fahrt öfters bei uns mit und wart doch immer zufrieden!“ Dabei zeigte er vermutlich wahllos auf ein Ehepaar im Publikum. Wenn niemand konkret benannt wird, weiß auch keiner, dass er jetzt hätte widersprechen können. Viele der Senioren kamen aus meiner Sicht bei der Schnelligkeit der Ansagen ohnehin nicht so recht mit. Danach wurden die Teilnehmer in schlecht beleuchtete Separees gebeten, um die Gewinnformalitäten zu klären. Hinterher erfuhr ich von Betroffenen, dass mit einem mobilen Kartenlesegerät gleich der Reisepreis von 65 € bezahlt werden sollte. Wer das nicht wollte, musste eine Einzugsermächtigung ausfüllen, um sich das Schnäppchen zu sichern.

Wie kann solchen Leuten nur Vertrauen geschenkt werden? Einige Reisegäste hatten ja schon schlechte Erfahrungen gemacht. Da ich mich im Rahmen eines nebenberuflichen Studiums der Naturheilkunde widme und mich somit auch mit Psychologie beschäftige, lege ich mir für die Beantwortung dieser Frage folgende Anhaltspunkte zugrunde: Die Menschen wurden belogen, gedehmütigt und den ganzen Tag „eingesperrt“. Ihre Familien und Freunde werden kaum Verständnis für ihre Gutgläubigkeit zeigen. Und jeder der Gäste wird wohl den Wunsch gehabt haben, dass der Alptraum endlich enden würde. Die nette Einladung, das Gewinnversprechen, der Busfahrer, der Gastwirt und überhaupt die vielen Menschen im Saal, welche das alles über sich ergehen lassen haben. Etwas „Gutes“ musste der Tag doch noch bringen können. Daher wollte sicher mancher wenigstens einen Vorteil aus dem schlimmen „Erlebnis“ ziehen: ein einmaliges Reiseschnäppchen. Diese Traumreise sollte jedoch noch ein bitteres Erwachen mit sich bringen.

Ich war hin und her gerissen. Am liebsten hätte ich die Veranstaltung „gesprengt“. Das Team vom MDR-Fernsehen war ja in der Nähe und hätte mir dabei helfen können. Wir befanden uns jedoch außerhalb der Stadtgrenze von Chemnitz. Kein Ordnungsamt konnte uns so spontan behilflich sein, um diese sicherlich nicht angemeldete „Verkaufsveranstaltung“ aufzulösen. Die Polizei selbst schreitet nur ein, wenn ein entsprechender Strafbestand angezeigt wird. Aber jedem war es ja unbenommen, die Räumlichkeit zu verlassen. Und der Wirt sowie der Veranstalter konnten mich jederzeit wegen Hausfriedensbruch aus der Räumlichkeit verbannen, falls ich für Unruhe sorgte. Auch befürchtete ich, dass bei Auflösung der Veranstaltung die Leute nicht wieder nach Hause gefahren werden. Wenn Panik bei den Senioren ausbricht, wie soll ich das verantworten?

Gleichzeitig baute sich in mir das Gefühl auf, hier aus ethischen Gründen einschreiten zu müssen. In Absprache mit dem MDR-Team dokumentierten wir das Geschehen, um wenigstens im Nachgang als Zeugen helfen zu können. Auf der Heimfahrt im Bus gab ich mich zu erkennen und bot Hilfe an. Doch bevor es soweit kommen sollte, wurden an die Menschen, welche brav ihre Reiseschnäppchen unterzeichnet hatten, die Prämien verteilt. Vorher wurde bspw. eine tolle Kaffeemaschine versprochen. Ausgehändigt wurde ein Miniaufbrühglas …

Plötzlich wurde vom Veranstalter Betrieb gemacht. Von den Gästen wurden eilig Speisen und Getränke abkassiert – und das, obwohl alles kostenlos sein sollte. Ich wollte nach draußen gehen, um dem MDR-Team meine Beobachtungen mitzuteilen, wurde jedoch aufgefordert, den Raum nicht zu verlassen. So gab ich per Handy Bescheid. Niemand durfte in Richtung Hauptausgang gehen. Von „Manni“ und dem Wirt wurden wir angetrieben, den Gasthof über einen Hinterausgang schnellstens zu verlassen. Dort fuhr der Bus vor. Wer noch mal nach seinen Gewinnen fragte, wurde damit abgefertigt, dass es diese bei der Rückfahrt im Bus geben sollte.

Per Handy dirigierte ich das Fernsehteam zum Bus. Die Verantwortlichen der Veranstaltung waren jedoch plötzlich alle verschwunden.

Die wahre Masche mit den Reisen offenbarte sich erst im Nach­hinein. Wer eine Unterschrift geleistet und seine Kontodaten angeben hatte, war schon wenig später um einige Euros „erleichtert“. Bis das auf den Kontoauszügen bemerkt wurde, vergingen mitunter Tage. Es stellte sich heraus, dass die unterschriebenen Schriftstücke keine Reisebestellungen sondern Beraterverträge gewesen sind. Der 65-€-Sonder-Reisepreis pro Person entpuppte sich als Beraterhonorar. Bei einem Ehepaar sah die Rechnung dann wie folgt aus: 2 Personen und je 2 Beratungen zu 2 Reiseangeboten = 4 mal 65 Euro; Endbetrag: 260,00 €. Dieser Betrag war schon abgebucht. Aber damit nicht genug. Die Kunden erhielten noch Post von einer Reisefirma mit Sitz in der Schweiz. Darin wurden Termine für angeblich fest gebuchte Reisen mitgeteilt. Auch die Zahlung von recht intensiven Preisen wurde angefordert, da ja bisher nur die „Beratergebühr“ beglichen wurde. Mit Schrecken wurde außerdem  festgestellt, dass die Ziele gar nicht identisch mit dem versprochenen Schnäppchenurlaub waren. Wer der Zahlungsaufforderung nicht nachkommen wolle, solle jeweils 80 € Stornogebühr bezahlen. Ansonsten würden die Gebühren per Inkassobüro eingetrieben werden.

Betroffenen, welche uns aufgesucht haben, konnten wir helfen. Unter Verweis auf eindeutiges Beweismaterial habe ich das Schweizer Unternehmen angeschrieben und um Stellungnahme gebeten. Angeblich aus Kulanzgründen wurde schnell auf die Forderungen verzichtet.

Wir fordern Politiker und Behörden auf, gegen diese „salonfähige“ Abzocke vorzugehen. Es kann nicht angehen, dass das Geschehen mit Äußerungen abgetan wird, dass die Leute selbst schuld seien, wenn sie solche Einladungen mit Gewinnversprechungen ernst nehmen würden.

Für die Mitstreiter der Wählervereinigung steht dabei im Vordergrund, dass hier vor allem hochbetagte Senioren um ihr Geld gebracht werden. Mögliche Folgen für ältere Menschen sind Isolation und Einsamkeit durch Vertrauensverlust!

Dass die beteiligten Busunternehmen und Gasthäuser nichts von den Machenschaften ihrer Auftraggeber wissen, ist eine Ausrede. Recherchen ergaben, dass diese Zusammenarbeit sehr häufig wiederholt bzw. seit Jahren „erfolgreich“ praktiziert wird. Wo bleibt hier das Schamgefühl? Auf menschenverachtende Weise Profit aus der Unbedarftheit teilweise hochbetagter Senioren zu schlagen – ganz gleich, wie sich daran beteiligt wird – sollte geahndet werden.

Die Wählervereinigung Volkssolidarität Chemnitz wird sich weiterhin gegen unlautere Praktiken bei Kaffeefahrten im Interesse der Senioren einsetzen.

aus VS Aktuell 1/2013, erschienen im  VS Aktuell   VS Aktuell 1/2013 Aus der Stadtratsarbeit   Wählervereinigung Volkssolidarität Chemnitz (Vosi)