Seit Monaten ist die Thematik der Kinderbetreuung in- oder außerhaus Diskussionsstoff im Pro und Contra unter den Parteien aller Couleur. Deshalb soll einmal ihre Entwicklung in unserer Stadt aus historischer Sicht untersucht werden.
Durch die zunehmende Einbeziehung der Frauen in den Produktionsprozess ab der Mitte des 19. Jahrhunderts wurde aber zugleich auch die Betreuung der Kinder auf die Tagesordnung gesetzt. Das Erfordernis begründete Prof. Dr. Hülße in seinem Bericht über die Tätigkeit der Chemnitzer „Commission zur Erörterung der Gewerbe- und Arbeitsverhätnisse“ am 17. Juni 1848 wie folgt: „Die Eltern, insbesondere auch die Mütter, weil sie zur Arbeit gehen müssen, sind verhindert, ihre Kinder zu beaufsichtigen; durch diese mangelnde Familienaufsicht werden die Kinder natürlich körperlich vernachlässigt, kommen zu körperlichen Schäden, ja natürlich sogar in Lebensgefahr. Als Mittel gegen die berührten Überstände schlägt man Kleinkinderbewahranstalten vor.“
Doch erst zwei Jahrzehnte später gelang auf Initiative eines Frauenvereins und mit Unterstützung der Stadt die Realisierung. Am 16. Oktober 1866 wurde in der Äußeren Johannisstraße in den Räumlichkeiten des alten Johannis-Hospitals (etwa unterhalb der heutigen Johanniskirche) die erste Chemnitzer Kinderbetreuungseinrichtung eröffnet. In diese wurden damals 12 Zöglinge im Alter von zwei bis sechs Jahren für ein Tagesgeld von 12 Pfennigen aufgenommen, wofür sie „beaufsichtigt, beköstigt und zu Spiel und Selbstbetätigung angeregt“ wurden.
Der Bedarf wuchs ständig. Schon 1868 folgt auf der Wiesenstraße die zweite Station und 1869 in der Linienstraße (Brühlareal) eine dritte. Doch die weitere Entwicklung hing maßgeblich von Sponsoren ab. Dafür ein Beispiel. Die vierte Station – die erste auf dem Sonnenberg –, Hainstraße 53, verdankt ihre Entstehung und ihren Bestand dem Direktor der Dampf- und Spinnereimaschinenfabrik H. F. Loose. Das mehrfach um- und ausgebaute Objekt wurde noch bis 1989 als Kinderbetreuungseinrichtung genutzt. Auch die Namen der Chemnitzer Fabrikanten Clauß, Voigt, Hahn und „Tinten-Beyer“ verzeichnet die „Ehrenliste der Gönner und Freunde“. Die Namen „Lukas-Station“ und „Luther-Station“ zeugen vom Engagement der evangelisch-lutherischen Kirche. Die Sinnfälligkeit der Kinderbetreuungseinrichtungen belegt die Tatsache, dass 1926 täglich 600 Kinder betreut und auch verpflegt wurden.
Die Obhutspflicht für Kinder und Jugendliche wurde in Chemnitz noch in einer anderen Form wirksam. Am 23. Oktober 1897 gründeten sozial-progressive Bürger auf Initiative von Oberlehrer Max Böttcher den „Chemnitzer Verein der Kinderfreunde (Kinderschutz und Jugendfürsorge)“. Es war der erste Verein in Sachsen, der sich für die Verhinderung von Kindesmisshandlungen und sittlicher Gefährdung, für soziale Betreuung und Fürsorge von Kindern und Jugendlichen einsetzte. Sein Wahlspruch lautete daher: „Den Kindern zum Schutz! Ihren Feinden zum Trotz! Der Menschheit zum Nutz!“ Die zur Realisierung der hehren Zielstellungen erforderlichen Mittel beschaffte der Verein durch Spendensammlungen, Benefizveranstaltungen, Wohltätigkeitslotterien und durch städtische Fördermittel. Der Verein erwarb das Haus Linienstraße 5 (die Straße verlief zwischen Georg- und Färberstraße) und eröffnete hier am 15. November 1905 seine „Kinderstube“ mit vier Kindern. Es wurde durch den Zukauf anliegender Gebäude erweitert und erhielt später den Namen „Böttcherhaus“. In diesem Objekt erfuhren weit über 2.000 Kinder im Alter von drei Monaten bis zu 16 Jahren eine liebevolle Betreuung und volle Verpflegung. 1906 erfolgte hier noch die Einrichtung einer Speisestube sowie einer Wärme- und Lesestube mit Jugend- und Kinderliteratur und -zeitschriften. In den Jahren 1917 bis 1923 erhielten in der „Kinderstube“ täglich bis zu 500 Kinder ein warmes Mittagessen. Große Resonanz fanden die alljährlichen Weihnachtsfeiern des Vereins mit Beschenkung bedürftiger Kinder. Der Verein entwickelte sich von 51 Mitgliedern im Gründungsjahr auf 1.300 im Jahre 1932.
Und schließlich existierte noch der Verein „Krippe“, der Kinder umsorgte. Er gründete am 1. Oktober 1891 die erste Chemnitzer Kinderkrippe in einem Hintergebäude der Sonnenstraße 58. Hier betreuten dann Schwestern des Roten Kreuzes von 7 bis 18 Uhr Kinder bis zu zwei Jahren. Platzmangel führte alsbald zur Verlegung auf die Jägerstraße. Ab 1929 wurde sie dann in städtischen Besitz übernommen.