Chemnitzer Luftschifftradition

Das Streben der Menschen, sich den Luftraum dienstbar zu machen, wurde seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts immer konkreter. In der Geschichte der sich herausbildenden Luftfahrt spielten dabei die Luftschiffe eine bedeutende Rolle. An ihrer Entwicklung hatte der Oberförster Georg August Baumgarten aus Grüna einen achtbaren Anteil. Am 31. Juli 1879 setzte er mit dem Aufstieg eines eigenkonstruierten steuerbaren Luftschiffes einen Markstein in der sächsischen Luftfahrtgeschichte. Bei den steuerbaren Luftschiffen unterscheidet man in unstarre und starre. Die unstarren entwickelte Prof. Dr. Ing. August von Parseval. Bei diesen drückt ein Gebläse Luft in die Luftsäcke, Ballonetts genannt, wodurch der Gasinhalt und damit die Hülle prall gehalten wurde. Die starren konstruierte Graf Ferdinand von Zeppelin. Sie wurden mit Wasserstoff gefüllt und durch maschinengetriebene Luftschrauben vorwärtsbewegt. Vertreter beider Luftschiffarten gaben auch Gastspiele in unserer Stadt. ?

Erstmals überflog, manövrierte und landete schließlich das Luftschiff „Parseval 5“ am 2. Oktober 1910 in Chemnitz. Das weite Areal hinter der großen Halle auf dem Sportplatz in Altendorf (heute Komplex der Handwerkskammer) war als Landungs-, Anker- und Startplatz vorbereitet worden. Vier Stunden harrten damals Zehntausende aus, bevor „Parseval 5“ über dem Kamm der Röhrsdorfer Höhe erschien. Dann brach beispielloser Jubel aus. Soldaten der Chemnitzer Garnison fingen die ausgeworfenen Haltetaue auf und verankerten sie am Boden. Am nächsten Morgen erfolgte die Rückfahrt des Luftschiffes nach Bitterfeld. ?

Der 21. August 1912 ist ebenfalls ein bedeutsames Datum in der Chemnitzer Luftfahrtgeschichte. An jenem Tag erlebten zehntausende Chemnitzer zum ersten Mal Flug, Landung und Start eines Zeppelin-Luftschiffes. Der Bedeutung des Ereignisses entsprechend hatten die Kinder schulfrei und die meisten Unternehmen stellten ihre Mitarbeiter von 8:00 bis 10:00 Uhr von der Arbeit frei. Allerdings wurde diese Zeit vom Lohn abgezogen oder musste herausgearbeitet werden! Seit den Morgenstunden des 2. August 1912 hatten sich auf dem vorgesehenen Landeplatz, dem Garnisonsexerzierplatz an der Zschopauer Straße, zwischen Claus- und Kreherstraße, riesige Menschenmassen eingefunden. Die Straßenbahndirektion hatte die nach Bernsdorf eingesetzte Wagenzahl verzwanzigfacht! Alle warteten mit Spannung auf das Zeppelin-Luftschiff LZ 11 „Viktoria Luise“. Bei diesem handelte es sich um ein Aluminium-Starrluftschiff mit einer Länge von 148 Metern, einem Durchmesser von 14 Metern und einem Rauminhalt von 19.000 Kubikmetern. Es wurde getragen von acht separaten Gaszellen, bewegt von drei 145-PS-Motoren und gesteuert von vier zwei- bzw. vierflügeligen Luftschrauben. Das Luftschiff legte die Strecke Gotha-Chemnitz in einer durchschnittlichen Flughöhe von 250 Metern mit einer Geschwindigkeit von 90 km/h zurück. Gegen 9:00 Uhr wurde es über der Stadt sichtbar und nahm seinen Weg aus Richtung Siegmar über den Kaßberg, die Innenstadt und den Sonnenberg zum Landeplatz. 9:14 Uhr erfolgte seine Landung unter dem stürmischen Jubel der Zuschauer. Für eine halbe Stunde konnten diese dann die „Victoria Luise“ aus nächster Nähe bestaunen. Oberbürgermeister Heinrich Sturm wertete den Besuch des Luftschiffes „als einen Meilenstein in der Chemnitzer Geschichte der Luftfahrt.“ Schon 9:43 Uhr trat die LZ 11 die Rückfahrt nach Gotha an. 

Etwa ein Jahr später, am 31.August 1913, zogen wiederum tausende Schaulustige zum Exerzierplatz an der Zschopauer Straße, um den vom Chemnitzer Verein für Luftfahrt initiierten Besuch des Zeppelin-Luftschiffes „Sachsen“ zu erleben. Kurz nach 8:00 Uhr erschien das Luftschiff am nördlichen Horizont von Chemnitz, zog eine Schleife über der Stadt und landete genau auf dem vorbestimmten Platz. Danach unternahm das Luftschiff einen einstündigen Rundflug über das Erzgebirge. Nach der Rückkehr war dann Gelegenheit zu einer anderthalbstündigen Besichtigung gegeben. Die „Volksstimme“ schrieb am nächsten Tag: „Selten hat man hier eine Beteiligung von so riesenhafter Dimension erlebt, kaum ein festliches Ereignis hat eine so einhellige Begeisterung solcher Menschenmassen in Chemnitz erweckt, wie das Erscheinen des Zeppelin-Luftschiffes ‚Sachsen‘ in Chemnitz am Vortage.“ ?

Der 1. Weltkrieg und die drastischen Zwangsmaßnahmen seiner Sieger im Versailler Vertrag unterbrachen abrupt den direkten Luftschiff-Kontakt der Chemnitzer. Erst am 15. August 1929 landete ein Klein-Luftschiff „Parseval-Raatz DPN 28“ auf dem Flugplatz an der Stollberger Straße und stand für mehrere Tage zur Besichtigung und für Rundflüge zur Verfügung. ?

Das Interesse der Bevölkerung an der Luftfahrt wuchs ständig. Das war für die Chemnitzer Flughafen-Gesellschaft mbH und den Chemnitzer Verein für Luftfahrt und Flugwesen zwingender Anlass, sich intensiv um eine Zeppelin-Landungsfahrt zu bemühen. Am 16. November 1930 war es dann endlich soweit. Tausende Zuschauer begrüßten auf dem Flugplatz an der Stollberger Straße das Luftschiff „Graf Zeppelin LZ 127“. Das Verkehrsluftschiff mit Hugo Eckener als Flugkapitän hatte eine Länge von 235,5 Metern und eine Breite von 30 Metern. Es war ausgestattet mit fünf Maybach-Motoren und entwickelte eine Geschwindigkeit bis zu 115 km/h. Die ca. 450 km lange Strecke von Friedrichshafen bis Chemnitz legte das LZ 127 in etwa vier Stunden zurück. Widrigste Witterungsverhältnisse zwangen jedoch nur zu einem kurzen Aufenthalt. Allerdings wertete das „Chemnitzer Tageblatt und Anzeiger“ den Aufenthalt als „eine Stunde, die in der Geschichte der Stadt fortleben wird.“ ?

Das war der letzte direkte Besuch eines Luftschiffes in Chemnitz. Doch die Augen seiner Bewohner erblickten von 1928 bis 1936 nochmals sechs Überflüge von Zeppelin-Luftschiffen. Das bedeutendste Ereignis davon war am 26. März 1936 der Überflug von LZ 127 „Graf Zeppelin“ und LZ 129 „Hindenburg“ im Rahmen ihrer „Deutschland-Fahrt“.

aus VS Aktuell 3/2014, erschienen im  VS Aktuell 3/2014 Aus der Stadtgeschichte