Gemäß dem deutschen Volksliedgut muss der Weihnachtsbaum unbedingt eine prächtige Tanne sein.Wer also seine Stube traditionell zur Weihnachtszeit mit einem Baum schmücken möchte, wird sich dafür eine Weißtanne (Abies alba) versorgen. Das hat einen praktischen Grund, denn Tannen hinterlassen uns nicht so konsequent ihre Nadeln, wie es die gemeinen Fichten (Picea abies) tun. Fichtennadeln sind kurz und pieksen. So prächtig uns bspw. die Silberfichte auch aufwarten mag, man wird sich schnell an das „Heidenröslein“ erinnert fühlen – „… ich steche dich, dass du ewig denkst an mich …“ So lassen sich in vielen Teppichen oder gar in Gästepantoffeln die weihnachtlichen Accessoires schmerzhaft wiederfinden. Ist vielleicht deshalb die Latschenkiefer zu ihrem Namen gelangt? (Sie werden es gleich erfahren!)
Mit der „Heidenröslein“-Eselsbrücke (Goethe möge mir verzeihen!) möchte ich all jenen gern behilflich sein, denen es schwerfällt, die beiden Waldgesellen zu unterscheiden. Der Volksmund tut sein übriges dazu, denn der Tannenzapfen hat sich überall im Sprachgebrauch eingebürgert. Das stimmt jedoch nur bedingt. Zapfen, welche am Boden liegen und gern zu Dekorationszwecken aufgesammelt werden, sind eigentlich Fichtenzapfen. Tannen behalten diese fest bis zur Verwitterung am Geäst. Also, wortwörtlich ein Zapfenstreich. Früher waren Rottanne und Weißtanne im Sprachgebrauch üblich. Wobei ersteres für die Fichte stand. Es ist daher nicht verwunderlich, dass bei solch einem Kauderwelsch noch etliche Generationen gutgläubiger Naturfreunde in die Irre geführt werden.
Hobby-Psychologen schlussfolgern daraus sogar, dass die Tannen, welche durch weihnachtliche Loblieder so verwöhnt werden, ein eigenwilliges Wesen entwickelt haben. Denn scheinbar geben sie nur ungern etwas her, weder ihre Nadeln und schon gar nicht ihre Zapfen. Auch reagieren diese sehr schnell verstimmt. Besonders bei menschlicher Nachlässigkeit von Umweltschutz ist ihnen die Verbitterung schnell anzumerken. Sie wären also wortwörtlich die Grünen in einem politischen Parlament. So wie mit der benannten Partei handhaben sie es auch auf andere Weise. Sie sind Schattenkeimer, wachsen dabei die ersten 25 bis 50 Jahre ganz langsam im Schatten der Großen, verbünden sich anschließend mit diesen und legen dann richtig los.
Nach so viel Schulmeisterei noch ein paar botanische Fakten dazu: Tannen können durchaus 60 Meter Höhe und 600 Lebensjahre erreichen. Die Nadeln der Tanne sind flach und weich. Erkennungszeichen der Weißtanne sind zwei weiße Wachsstreifen auf der Unterseite der Nadeln. Die weißgraue Borke ist der Namensgeber.
Sie haben sicherlich gemerkt, dass ich mich bei meinen bisherigen Ausführungen einiger kultureller Errungenschaften bedient habe. Nunmehr halte ich mich an das Sprichwort „Aller guten Dinge sind Drei“. Ein DDR-Bürger wird sich jetzt vielleicht daran erinnert fühlen, dass in Zeiten von Mangel an hübsch gewachsenen Weihnachtsbäumen durchaus bis zu drei Stämmchen herhalten mussten, um mit etwas Feingefühl und handwerklichem Geschick, einem Bohrer und einer Säge einen ästhetischen Baum zu zaubern. Ich will jedoch vielmehr auf den dritten heimischen Vertreter unserer Weihnachtsbäume aufmerksam machen.
Das „Beste kommt bekanntlich zum Schluss.“ – die Kiefer (Pinus Sylvestris), genauer: die gemeine Waldkiefer. Über 500 Jahre können diese Bäume alt werden und dabei eine Höhe von bis zu 40 m erreichen. Die Pinus mugo bspw. ist wie alle Gebirgsbewohner recht genügsam und wächst bis in windige Höhen. Den Witterungsbedingungen ausgesetzt, presst diese dort ihre biegsamen Äste teilweise an den Boden, so dass man sogar mit dem Schuhwerk darauf treten könnte. Daher der Name Latschenkiefer. Eines haben alle Kiefern gemeinsam: Sie sind Lichtkeimer und wahre Sonnenanbeter. Daher lassen sich ihre Verwandten auch besonders häufig auf kargem Boden in Richtung Ostsee ausmachen.
Interessantes Allerlei
Die Kiefer hat das harzreicheste Holz unter unseren heimischen Nadelbäumen. Früher wurden die Stammteile in kleine Spalten geschnitten, das ergab die Grundlage für die sogenannten Kienspäne. Diese wurden in Harz oder Pech getaucht, entzündet und in einem Eisenhalter in den Stuben aufgestellt. Somit können die Späne als Vorboten der heutigen Glühbirnen anerkannt werden. Denn ein solcher Kienspan brachte der ärmsten Bevölkerung für gut eine Stunde Licht in ihre dunklen Stuben. Kerzen konnten sich damals viele nicht leisten. Das entzündete harzende Holz rußt mitunter so sehr, dass man sich dieses wiederum zu Nutze machte. Zur Herstellung von Tusche und Farben wurde der Ruß verwendet. Es gab extra Köhlermeiler, welche daraus in Massenproduktion bspw. Druckerschwärze herstellten. Aber auch das Harz selbst wurde für lange Zeit von den Bäumen abgeschöpft. Man ließ diese immer wieder durch Anritzen wortwörtlich ausbluten. Das Kiefernharz hat uns von Natur aus auch den Rohstoff für die begehrten Bernsteine geliefert. Nur gut, dass es die urzeitlichen Pionierpflanzen schon vor Jahrmillionen gab. Wir hätten sonst auf das Bernsteinzimmer verzichten müssen und die Medien hätten im Sommerloch keine abenteuerlichen Geschichten, welche uns über den Verbleib berichten können. So ist es auch nachweislich überliefert, dass die alten Ägypter ihre Mumien mitunter durch Salbungen mit Harz für alle Ewigkeit konserviert haben, ähnlich der Inklusen (eingeschlossene Insekten) im Bernstein. Offen gesagt, so ein urzeitliches Krabbelinsekt im goldgelben Bernstein würde ich auch viel lieber bei meinen Strandspaziergängen finden wollen. Harze wurden früher auch als Zahnfüllungen und Zahnersatz verwendet. Sicher musste hier der Medizinmann öfter die Füllung erneuern, denn damals gab es noch mehr bissfeste Rohkost zwischen die Zähne, als es heute in den bequemen Industrieländern üblich ist. Auf jeden Fall ist das Harz für den menschlichen Organismus ungefährlich, im Gegensatz zum Amalgam mit seinen Quecksilberverbindungen oder den harmlos erscheinenden Kunststofffüllungen. Ich werde sicherlich zu gegebener Zeit im Selbstversuch das alte Wissen anwenden. Nach Weihnachten mit all den Süßigkeiten wird es vermutlich wieder Anlass dazu geben.
Nach so viel Insiderwissen, welches ich versucht habe, Ihnen in nicht so trockener Form zum Jahresabschluss zu übermitteln, setze ich für die aufmerksame Leserschaft noch eines drauf. Sagt Ihnen der Begriff ‚Waldwolle‘ etwas? Wenn ja, dann meinen herzlichen Glückwunsch.
Allen anderen möchte ich gern erklären, was es damit auf sich hat. Die Kiefernnadeln wurden früher in Wasser zur Gärung gebracht. Dadurch platzten die harten Bestandteile auf und eine feine, weiche Faser kam hervor. Damit konnten Kissen und Decken gefüllt werden. Es müssen also nicht qualvoll gerupfte Daunen unschuldigen Federviehs sein.
Die Not machte erfinderisch und dieses Wissen gilt es zu wahren. Für alle, welche sich am herrlichen und natürlichen Duft der hier vorgestellten traditionellen Weihnachtsbaumkandidaten möglichst lange erfreuen wollen, dem sei angeraten, sich den Baum möglichst frisch geschlagen zu versorgen. Ob nun drei Wochen oder nur wenige Tage vor Weihnachten ist nicht so hauptsächlich. Wichtig ist die Zwischenlagerung. Der Baum sollte möglichst mit dem unteren Stammdrittel in Wasser gestellt werden. Die Leitbahnen der Rinde nehmen das Wasser auf. Für die Aufstellung in der warmen Wohnstube empfiehlt sich daher ein Christbaumständer mit Wasserreservoire.
Wem das alles zu aufwendig ist, der kann sich eine Douglastanne kaufen. Die machen ohnehin im eingetrockneten Zustand den Eindruck, als könne man diese im nächsten Jahr wieder aufstellen. Oder getreu dem Motto „Alle Jahre wieder“ die Plaste Variante (Pinus plastikus).
Zum Abschluss dieser jahreszeitlich angepassten Kolumne möchte ich den geneigten Leser ausdrücklich darauf hinweisen, dass die hier satirisch aufbereiteten botanischen Hauptfakten durchaus der Realität entsprechen und kein Seemannsgarn sind.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen zum Jahreswechsel alles Gute sowie ein gesundes neues Jahr. Tanne, Fichte und Kiefer können Ihnen dabei helfen. Die wohlriechenden ätherischen Öle sowie die Harze werden für vielfältige arzneiliche Zwecke verwendet. Inhalationsmittel, Salben, Tees oder gar Franzbranntweine können damit hergestellt werden. Die frischen Sprossen können bspw. bei Bronchitis als Tee aufgesetzt werden.
Herzlichst
Ihr Andreas Wolf