Die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung als soziales Sicherungssystem wird für einen wachsenden Teil der Bevölkerung immer wichtiger. Das zeigte das sozialpolitische Fachgespräch der Volkssolidarität am 14. April in Berlin. Es war dem Thema „Altersarmut verhindern – Grundsicherung im Alter fortentwickeln“ gewidmet. Die Vorträge ebenso wie die Diskussion belegten den dringenden sozialpolitischen Handlungsbedarf.
Bevor Alfred Spieler, sozialpolitischer Referent des Bundesverbandes der Volkssolidarität, die Vorschläge des Verbandes zur Reform der Grundsicherung vorstellte, machten Experten aus Sozialarbeit, Wissenschaft und Kommunalpolitik Probleme und Lösungswege deutlich. So widersprach Reiner Höft-Dzemski der Bundesregierung, die behauptet, dass Altersarmut aktuell und mittelfristig kein sozialpolitisches Problem sei. Der Experte vom Deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge (DV) stellte klar: „Wer mit 65 in Rente geht und altersarm ist, wird das bis zum Tode bleiben. Altersarmut ist von Dauer.“ Er brachte „belegbare Hinweise, dass die Rentenpolitik und die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt zu einer deutlich steigenden Altersarmut“ führen werden. Das durchschnittliche Rentenniveau für Neurentner sinke weiter und nähere sich dem Grundsicherungsniveau. Unter diesem liege schon jetzt ein steigender Anteil derjenigen, die neu in Rente gehen. Höft-Dzemski sprach von einem „erheblichen Problem“. Zu den Ursachen außerhalb des Arbeitsmarktes zählte der Sozialexperte unzureichende Absicherung bei Erwerbsunfähigkeit, unzureichende bzw. keine Beiträge in die GRV bei Arbeitslosigkeit, fehlende Elemente einer Mindestsicherung in der Rente und Defizite beim Wohngeld. Innerhalb des Bereiches von Arbeit gebe es aber auch eine Reihe von Ursachen. Dazu gehöre, dass das Rentensystem auf abhängig Beschäftigte mit langjährig durchgehenden Vollzeitarbeitsbiographien, „Normalarbeitsverhältnissen“, ausgerichtet sei. Es greife nicht bei prekärer Beschäftigung, wie Teilzeit- oder Leiharbeit oder Minijobs. Deren Anteil an den Arbeitsverhältnissen steige aber weiter und habe 2014 fast 40 Prozent erreicht. „So lässt sich keine Rente aufbauen, die vor Altersarmut schützt.“
Zugleich sei diese Entwicklung aber politisch gewollt, kritisierte Höft-Dzemski. Die Bundesregierung setze auf private Altersvorsorge und späteres Renteneintrittsalter als Mittel gegen Altersarmut. Diese so und auf andere Weise vermeiden zu können, diese Hoffnung habe sich als falsch erwiesen. „Die Problemlage hat sich im neuen Jahrtausend zugespitzt“, so das Fazit des Experten. „Ohne sozialpolitische Intervention wird sie sich nicht verbessern.“
Das wurde von dem bestätigt, was die Armutsforscherin Irene Becker auf der Veranstaltung darlegte. Sie erläuterte die gesetzlichen Grundlagen der 2003 eingeführten Grundsicherung im Alter und die insbesondere mit Hartz IV daran vorgenommenen Veränderungen. Sie verwies unter anderem auf den unzureichenden Regelsatz und dessen fragwürdige und fehlerhafte Berechnung. Daran habe auch das entsprechende Urteil des Bundesverfassungsgerichtes aus dem Jahr 2010 nichts geändert. „Ist es auf diesem Niveau, den Anspruch auf soziale Teilhabe wahrzunehmen?“, fragte Becker mit Blick auf den derzeit gültigen Regelsatz von 399 Euro. Das verneinte sie mit konkreten Argumenten und dem Nachweis, dass der Regelsatz für eine alleinstehende Person mindestens 45 Euro zu niedrig liege. Sie wies auf den Unterschied zwischen der Quote derjenigen, die Grundsicherung im Alter in Anspruch nehmen, von derzeit drei Prozent und den rund 14 Prozent der über 65jährigen, die als einkommensarm gelten, hin. „Selbst ein geringfügiges Vermögen steht dem Grundsicherungsanspruch entgegen.“
Reformmöglichkeiten sieht die Armutsforscherin darin, dass der Regelbetrag neu berechnet wird und neben einem Grundfreibetrag auch Freibeträge für Alterseinkünfte, vor allem aus der gesetzlichen Rente, vorgesehen werden. Zudem sollten die Unterschiede in der Grundsicherung für das Alter und bei Erwerbsminderung zu der bei Arbeitslosigkeit, die erstere schlechter stelle, abgeschafft werden. Es sei auch notwendig, unter anderem durch bessere Information und Beratung, die Zahl jener zu verringern, die ihre Ansprüche nicht wahrnehmen. Becker stellte klar, dass eine Reform der GRV eine Reform der Grundsicherung nicht ersetzen könne. „Bedürftigkeit kann nicht generell verhindert werden.“ Aber die beiden Systeme dürften nicht gegeneinander ausgespielt werden. Die Grundsicherung müsse ebenfalls dem Ziel dienen, ein menschenwürdiges Leben zu sichern und zu ermöglichen.
Wie schwer das für die Betroffenen ist, bestätigten die Erfahrungen der stellvertretenden Bezirksbürgermeisterin von Berlin-Marzahn-Hellersdorf, Dagmar Pohle. Sie berichtete aus ihrer Arbeit als Kommunalpolitikerin, verantwortlich für die Abteilung Gesundheit und Soziales in dem Berliner Stadtbezirk. Hier gebe es zwar noch einen relativ geringen Anteil von Empfängern von Grundsicherung im Alter. Doch die aktuellen Entwicklungen zeigten in eine andere Richtung: „In Zukunft werden wir noch viel intensiver mit Einkommensarmut im Alter konfrontiert.“ Die Betroffenen hätten nicht nur schlechtere Möglichkeiten der sozialen Teilhabe. Sie würden oftmals resignieren, sich zurückziehen und bestehende Angebote nicht wahrnehmen. Die Bezirkspolitikerin beschrieb, was in Marzahn-Hellersdorf für ältere Menschen getan wird, von Beratung über soziale Angebote bis zum Ausschöpfen gesetzlicher Regelungen für die Betroffenen. Doch das werde auch durch den Abbau des Personalbestandes in den kommunalen Ämtern und unzureichende Mittel für die Altenhilfe gefährdet.
Die Analysen und Berichte der Vorredner bestätigten, dass die Vorschläge der Volkssolidarität richtig sind, betonte Verbandsreferent Spieler. Die Grundsicherung im Alter dürfe nicht isoliert betrachtet werden. Sie stehe im Zusammenhang mit dem Wohngeld, aber auch der Entwicklung bei der gesetzlichen Rente. Auch wenn diese nicht das erste Mittel sei, um Armut zu bekämpfen, könne sie doch Armut vermeiden helfen. Dazu müsse die Rente wieder auf das Ziel, den Lebensstandard im Alter zu sichern, ausgerichtet werden. Spieler erläuterte die Vorschläge der Volkssolidarität, die in einer Broschüre kürzlich veröffentlicht wurden. Sie seien vor allem als Anstoß zu einer notwendigen Diskussion gedacht. Es gehe um die Frage, wie ein Altern in Würde möglich ist. Verbandspräsident Dr. Wolfram Friedersdorff forderte zum Abschluss der Veranstaltung, dass jene, die sich für eine Reform einsetzen, gemeinsam agieren. Auch die Volkssolidarität stehe vor der Aufgabe, der wachsenden Altersarmut zu begegnen, unter anderem durch Information und Unterstützung für die Betroffenen.