200 Jahre Louis Schönherr

Ein Streifzug durch die sächsische Industriegeschichte

„Das Lebensbild dieser beiden genialen und technisch begabten Brüder spiegelt nicht nur das Schicksal zweier Erfinder wider, des erfolgreichen sowie des tragischen, sondern auch ein Stück sächsische Wirtschaftsgeschichte.“ 

aus Sybille Haubold (Hrsg.): „Sächsische Lebensbilder“

Die Weberfamilie Christian Wilhelm und Johanne Magdalene Schönherr hatte acht Kinder. Sohn Louis absolvierte nach der Schule eine Ausbildung zum Weber, nahm jedoch in der Maschinenfabrik von Carl Gottfried Haubold, dem Vetter von Carl Gottlieb Haubold, eine Stelle als Drehjunge an. Seine Brüder Christian und Wilhelm finanzierten ihm eine polytechnische Ausbildung an der Königlich Technischen Bildungsanstalt Sachsen in Dresden.

Als gelernter Weber verspürte Louis früh den Wunsch, die intensive Handarbeit durch Maschinen zu ersetzen und schlug damit den gleichen Weg wie sein späterer Arbeitgeber Carl Gottlieb Haubold ein. 

Dieser gilt als Vater des Chemnitzer Maschinenbaus. In der Bernhardschen Spinnerei arbeitete er zunächst als Zimmermann in seinem erlernten Beruf, später als Zeichner und Konstrukteur. 1811 gründete er in der Herrenstraße ein kleines Maschinenbauunternehmen, welches 1822 in die ehemalige Wöhlersche Spinnmühle an der Blankenauer Straße zog. 1832 nahm der Elsässer Richard Hartmann die Stelle als Zeugschmied an und wurde nach zwei Jahren Akkordmeister. In dieser Tätigkeit erwarb er sich das Rüstzeug für seinen weiteren Weg als Unternehmer.

1837 gründete Hartmann gemeinsam mit Karl Illing seine erste Firma und beschäftigte sich mit der Reparatur von Maschinen. Schon wenig später wurde die Fabrikation von Spinnmaschinen aufgenommen.

1839 überwarfen sich die Geschäftspartner und Hartmann gründete mit August Götze ein neues Unternehmen mit den Namen „Maschinen-Fabrik Götze & Hartmann“ in Chemnitz. Götze übernahm den kaufmännischen Teil, Hartmann die technischen Belange. Bei der Auflösung des Partnerverhältnisses im Februar 1842 zahlte Hartmann 22.441 Taler, 10 Groschen und 8 Pfennige an Götze. Seit dieser Zeit ist Hartmann alleiniger Besitzer der „Maschinenfabrik Richard Hartmann“ in Chemnitz.

Der frühere Partner Illing beschäftigte sich ebenfalls mit dem Bau von Spinnereimaschinen und gründete 1857 die „Aktienspinnerei“ an der Schillerstraße (heutiger Busbahnhof).

Hartmann reparierte, verbesserte und konstruierte Maschinen für die Spinnerei. 1845 bereiste er England und inspizierte diverse Maschinenbaufirmen. Mit einem Kredit der sächsischen Staatsregierung in Höhe von 40.000 Talern nahm er die Produktion von Lokomotiven auf.

1848 wurde die Lokomotive „Glück Auf“ bei Hartmann gebaut, 4.697 Lokomotiven sollten noch folgen. Die Produktion erfolgte übrigens ohne Gleisanschluss.

Zurück zu Louis Schönherr: Im Jahr 1836 finden wir die Brüder Wilhelm und Louis in einer Werkstatt in Niederschlema wieder. Hier begann die eigentliche produktive Tätigkeit, der Name Schönherr wurde im Maschinenbaugewerbe bekannt. Anfangs wurden Webstühle repariert, verbessert und auch nach Russland exportiert.

Die Heimweberei nahm in Sachsen noch einmal einen Aufschwung, konnte aber nicht mit der industriellen Fertigung Schritt halten. Die Brüder gingen deshalb dazu über, Webstühle für den Kraftbetrieb umzubauen. Die ersten Prototypen wurden zwar von den Engländern als Nürnberger Spielzeug verspottet, trotzdem erkannten sie ihre volle Originalität an.

Die Webstühle wurden in England, später in Frankreich, Österreich, Sachsen und in einigen anderen deutschen Staaten patentiert. Nur Preußen beschied das Patentgesuch Wilhelm Schönherrs abschlägig.

Die industrielle Entwicklung nahm ihren Lauf, wobei es auch viele kritische Stimmen gab.  Dabei forderten die Heimarbeiter ein Verbot der modernen Maschinen und man prophezeite die Störung von Ruhe und Ordnung.

Unbeirrt von den zu überwindenden Schwierigkeiten arbeiteten beide Schönherrs weiter und haben sich endlich den ihnen gebührenden Ruhm und die Anerkennung erworben. Auf der Gewerbeausstellung 1840 in Dresden wurde im Gewerbeblatt für Sachsen ausführlich dargestellt, dass die Webstühle der Firma Schönherr sich durch ruhigen Lauf, Leichtigkeit der Bewegung und hübsches Äußeres auszeichnen. Diese positiven Bewertungen veranlassten Louis Schönherr zu einer zweijährigen Englandreise. Von dort kehrte er innerlich gestärkt zurück, musste aber einige Rückschläge hinnehmen. Die Fabrikation in Niederschlema war während seiner Abwesenheit beinahe zum Stillstand gekommen. Deshalb kehrten beide Brüder 1841 nach Chemnitz in die ehemalige Hauboldsche Fabrik zurück, die inzwischen in die Aktiengesellschaft „Sächsische Maschinenbau-Werkstatt“ umgewandelt worden war.

Mit der Konstruktion eines 16/4 Ellen breiten Tuchwebstuhls ernteten sie zwar viel Lob, doch der Webstuhl wurde in Sachsen nicht gekauft. Erst als diese Webstühle in Süddeutschland erfolgreich produzierten, lief auch in Sachsen der Absatz an.

Am 24. November 1842 heiratete Louis Schönherr die einzige Tochter eines Fleischermeisters und Schankwirts aus Niederschlema, Christiane Sophie Wendler. Aus dieser Ehe gingen zwei Töchter und sieben Söhne hervor.

1844 trennten sich die Wege der Brüder, Louis verließ Wilhelm zum dritten Male.

1849 übernahm Louis Schönherr im Hartmannschen Unternehmen die Leitung des Webstuhlbaus und produzierte für Hartmann seine eigenen Erfindungen. Diese Zusammenarbeit endete 1851 mit einem gewaltigen Streit um Patentrechte. Schönherr verließ das Unternehmen und gründete mit dem Prokuristen Ernst Seidler eine eigene Firma in Altchemnitz. Da der Firmensitz außerhalb der Stadt lag und es Streit mit der Handwerkerinnung und dem freien Gewerbetreibenden gab, wechselte „Schönherr & Seidler“ 1855 aus Altchemnitz in die ehemalige Sächsische Maschinenbau-Werkstatt zurück. Trotz der Umzugskosten gestalteten sich die Geschäfte gut. Mit einer Abfindung von 30.000 Talern verließ Seidler 1857 das Unternehmen.

1862 kaufte Schönherr das gesamte Gelände der Maschinenbau-Werkstatt und stellte Webstühle für die Wollwarenbranche her. Den Markt im Baumwollsektor verlor er zwar an die Engländer, doch seine Webmaschinen zur Herstellung glatter Tuche, Satins, Velours, Flanell, Möbeldamasten, Leinen und leichter Seidengewebe, die zur Einbettung in Banknoten benutzt wurden, um diese fälschungssicherer zu machen, waren erfolgreich. Bis 1887 wurden allein für Chemnitz und Umgebung 2.000 mechanische Jacquardwebstühle geliefert.

Mit 55 Jahren, drei Jahre nach dem Tod seiner Frau, zog sich Louis Schönherr von der direkten Leitung des Geschäftes zurück und verkaufte das gesamte Anwesen am 1. Februar 1872 für eine Million Taler an eine Aktiengesellschaft. Der Firmenname wurde in Sächsische Webstuhlfabrik umgewandelt.

1875 ließ die  Familie Schönherr auf der Salzstraße zwei Villen errichten und am Fuße des Schloßberges einen Park anlegen.

Mit 63 Jahren zog sich Louis Ferdinand Schönherr 1880 aus dem Geschäftsleben zurück. Er verstarb am 8. Januar 1911 in Thoßfell/ Vogtland.

Die Geschichte der Sächsischen Industriepioniere zeigt, dass es zwei Gewinner und zwei Verlierer gibt. 

Sehr schwer hat sich der Vater des Maschinenbaus, Carl Gottlieb Haubold, getan. Die Finanzierung seiner Erfindungen standen oft auf tönernen Füßen und manche Entscheidungen waren nicht vom Glück beschieden. Am Schluss ging das Hauboldsche Unternehmen in den Konkurs. 

Ähnlich glücklos war ­Louis Schönherrs Bruder Wilhelm. Solange beide gemeinsam agierten, blieben die Erfolge bescheiden. Der Durchbruch gelang Louis F. Schönherr mit seinen Konstruktionen. Mit dem Kauf des Geländes an der Blankenauer Straße und durch Augenmaß, Geduld und Ausdauer wurden die Weichen für den Erfolg gestellt, so dass Louis Ferdinand Schönherr trotz einiger Durststrecken die Früchte seiner Arbeit genießen konnte. 

Mit Fug und Recht kann gesagt werden, dass Richard Hartmann der bedeutendste Unternehmer in Sachsen war. Sein Erfolg basierte auf seiner Durchsetzungskraft, seinem Charme und Wissen wie natürlich auch der erforderlichen Portion Glück. Diese Kombination bewirkte, dass Hartmann außer Flugzeugen und Schiffen alles gebaut hat.

Einmal hatte er sich mit schlimmen Folgen für das Unternehmen vertan:  der Patentstreit mit Schönherr. Eine gütliche Lösung wäre für ihn die bessere Lösung gewesen. Als Hartmann einen Gleisanschluss für seine Lokomotivenproduktion brauchte, lehnte Schönherr es ab, seinen Gleisanschluss mit Hartmann zu teilen, über welchen Schönherr bereits seit 1898 verfügt, Hartmann jedoch erst zehn Jahre später nutzen konnte. Bis dahin musste Hartmann seine Lokomotiven aufwendig mit Pferdefuhrwerken zum Bahnhof transportieren lassen.

In der Schönherrfabrik wird zwar noch produziert, aber seit vielen Jahren sind interessante Geschäfte, Gastronomie und Kultur eingezogen. Ein Besuch im Schönherrpark ist natürlich auch interessant und sehr erholsam.

Quellen: 

Canzler, Ernst; Hähnel, Wolfgang:  Die Unternehmerfamilie Haubold. Chemnitz : Verl. Heimatland Sachsen, 2005 (Chemnitzer Lebensbilder; 5)

Reiche, Günther:  Richard Hartmann. Chemnitz : Verl. Heimatland Sachsen, 2007 (Chemnitzer Lebensbilder; 6)

Schönherr Weba GmbH (Hrsg.): Schönherrfabrik – Chronik eines Chemnitzer Industriestandortes, Chemnitz, 2004

Haubold, Sybille: Schönherr, Wilhelm

Schönherr Louis. In:  Dittrich, Erich (Hrsg.): Lebensbilder sächsischer Wirtschaftsführer. Leipzig: Leiner, 1941 (Sächsische Lebensbilder; 3) 

aus VS Aktuell 2/2017, erschienen im  VS Aktuell   VS Aktuell 2/2017 Aus der Stadtgeschichte