Begegnungen mit dem Vater des braven Soldaten Švejk

Vielen ist er bekannt, der brave Soldat Josef Švejk aus Prag, beim 91. Infanterieregiment in Budwais. Wer aber kennt seinen Schöpfer Jaroslav Hašek ? Dem Großmeister der tschechischen Satire bin ich dreimal begegnet - leider nur indirekt. Bei dem ersten Treffen war ich sieben oder acht Jahre jung. Hašek kam zu mir und meiner Familie über das Radio, nicht persönlich. Er schickte sein Geschöpf. Das war die Zeit der Hörspiele in der zweiten Hälfte der 40er Jahre. Fernsehen gab es noch nicht für die Allgemeinheit. Alle lauschten gespannt, wenn aus dem Rundfunkapparat im schönsten böhmischen Deutsch ertönte: „Melde gehorsamst, da bin ich wieder.“  Und vielleicht geht es vielen Älteren wie mir. Eine ganze Reihe der humorvollen Szenen haben sich mir so eingeprägt, dass ich sie nie vergessen werde.

Da ist der Zusammenstoß mit dem Feldkuraten Katz in der Garnisonskirche. Als der stockbesoffen vom „dornigen Pfad der Sünde“ predigt, weint der brave Soldat herzerweichend. Nach dem Gottesdienst zur Rede gestellt, gesteht er dem Militärpfarrer treuherziglistig: „Melde gehorsamst Herr Feldkurat, Sie haben so eine schöne Predigt gehalten. Da habe ich mir gedacht, dass nur noch ein reuiger Sünder gefehlt hat.“ Katz macht Švejk darauf zu seinem Putzer, verliert ihn aber bald beim Kartenspiel an den Oberleutnant Lukaš. Für den ‚besorgt’ der brave Soldat später einen reinrassigen Stallpinscher zum Spazierengehen. Dabei kommt heraus, dass der Hund dem vorgesetzten Oberst gehört,  und der Oberleutnant samt seinem Burschen wird sofort an die Front abkommandiert. Es ist ja die Zeit des 1. Weltkrieges. Dabei reißt hier die Zahl der Švejkschen Missgeschicke und närrischen Abenteuer nicht ab. Den Namen des Autors, der mit seinem Buch die längst überlebte k. u. k. Monarchie auf die Schippe nimmt, habe ich mir damals noch nicht gemerkt, wohl aber eine Bemerkung des braven Soldaten. Er verabredet sich mit seinem Freund Blanik „nach dem Krieg um sechs im ‚Kelch’ “. 

Genau dort, in der Prager Gaststätte ‚U Kalicha’ (‚Zum Kelch’), die sich unweit der Metrostation ‚I. P. Pavlova’ in der Straße ‚Na Bojisti’ befindet, kam es rund 30 Jahre nach der ersten zu meiner zweiten Begegnung mit Jaroslav Hašek. Da arbeitete ich als Journalist in der Goldenen Stadt und wollte unbedingt erfahren, was es mit Švejk und dem ‚Kelch’ auf sich hat. Der große Gastraum, ausgemalt mit Szenen aus dem Roman, imponierte mir. Das Bier war gut. Und dann entdeckte ich im Gasthaus noch einen Ausstellungsraum, das ‚Hašek-Zimmer’. An den Wänden hingen sechs große gerahmte Tafeln mit Bildern und Dokumenten aus dem leider viel zu kurzen Leben des Schriftstellers.*  Da sahen mich seine Eltern an, Josef und Katerina. Die Mutter war Hausfrau, der Vater Mathematiklehrer an der deutschen Realschule in Prag. Jaroslav begegnete hier dem Betrachter als Knabe und als junger Mann. Besonders überrascht hat mich jedoch ein Foto, das den Humoristen mit ernstem Gesicht in Rotarmisten-Uniform zeigt, inmitten von anderen roten Kommandeuren und Kommissaren. Es weckte meine  Neugier. 

Um für eine Reportage Näheres zu erfahren, bedurfte es nun einer weiteren Begegnung. Die fand dann im ehemaligen Strahov-Kloster statt, inzwischen Literaturinstitut der  Akademie der Wissenschaften. Dort brachte mir der hervorragende Hašek-Kenner, Dr. Radko Pytlik, die Persönlichkeit des Schriftstellers richtig nahe. Durch die Erzählungen des Wissenschaftlers erfuhr ich, dass der Jaro ein jugendlicher Heißsporn war, der sich zu den Anarchisten hingezogen fühlte. Wegen Teilnahme an einer Demonstration gegen die   k. u. k. Monarchie ist er vom Gymnasium geflogen. Sein Abitur hat er dann 1902 mit 19 Jahren an der Prager Handelsakademie nachgeholt. Hašek verehrte Gorki. Wie der wanderte er sehr gerne. So ging er zu Fuß bis nach Ungarn. Darüber schrieb er auch für Prager Zeitungen. Insgesamt gibt es von ihm an die 1.500 Skizzen, Erzählungen, Humoresken und Satiren. 

Im Institut erfuhr ich, dass Jaroslav im Frühjahr 1915 zum 91. Infanterieregiment in Česke Budějovice eingezogen worden ist (das gab es also tatsächlich und nicht  nur im ‚Švejk’). An der Front in der Ukraine gelang es ihm, im September 1915 zur russischen Armee überzulaufen. Er wollte nicht für die Monarchie kämpfen und schon gar nicht fallen. In die Tschechische Legion, die auf russischer Seite kämpfte, trat er im Frühjahr 1916 ein, um sich so für die Unabhängigkeit seiner Heimat zu engagieren. Dort wirkte er bald bei einer Militärzeitung, da man sich seiner journalistischen Tätigkeit in Prag erinnert hatte. Wegen einer Satire über Kaiser Franz Josef  I. wurde er von Österreich in Abwesenheit des Hochverrats angeklagt. 

Nach der russischen Oktoberrevolution verließ er 1918 mit einem Freund die Legion, weil die nun im Bürgerkrieg auf  Seiten der Konterrevolution wütete. In Moskau zog Jaroslav Hašek den Rotarmistenmantel an. Damit hörten die Turbulenzen seines Lebens aber nicht auf. So überzeugte er in Samara an der Wolga als blendender Redner eine ganze Reihe Legionäre, die ihn schätzen gelernt hatten, in die Rote Armee einzutreten. Bald musste er von dort jedoch fliehen, weil die Führung der Tschechischen Legion seiner habhaft werden wollte, um ihn zu erschießen. In Sibirien, wo er in der 5. Armee der Roten diente, leitete er zuletzt eine Militärdruckerei. Der ungarische Schriftsteller Mate Zalka, der zur selben Truppe gehörte, charakterisierte Hašek als humorvoll und witzig. Mit seinen von Anekdoten gewürzten Reden habe er ganze Versammlungen erheitert. „Er erzählte, und wir Umstehenden lachten, kicherten oder bogen uns wiehernd.“  Und jede freie Stunde hat der Prager genutzt, um an seinem „Švejk“ zu schreiben. 

Ursprünglich wollte er in Russland bleiben. Er beugte sich aber dem Beschluss der Bolschewiki, dass die ausländischen Kämpfer in ihre Heimatländer zurückkehren sollten, um dort für die Revolution zu wirken. Also war er im Dezember 1920 wieder in Prag. Hier fand er jedoch nicht die erhofften Bedingungen für sein gesellschaftliches Wirken. Außerdem war er gesundheitlich ziemlich angeschlagen. So zog er sich in den kleinen Ort Lipnice unweit der Hauptstadt zurück. Dort schrieb er die dritte Fassung  der ‚Schicksale des braven Soldaten Švejk’. Obwohl er sie nicht mehr vollenden konnte, weil er am 3. Januar 1923, vier Monate vor seinem 40. Geburtstag, verstorben ist, wurde sie ein Welterfolg. 
                
*  Bei einem Besuch als Tourist im ‚Kelch’, Anfang 2001 musste ich feststellen, dass es die Ausstellung zum Leben von Jaroslav Hašek dort schon nicht mehr gab. Der Gaststättenleiter konnte oder wollte mir auch nichts über den Verbleib sagen / Klaus Müller

Foto: Jaroslav Hašek als einer der Kommissare in der 5. Roten Armee in Sibirien

aus VS Aktuell 1/2018, erschienen im  VS Aktuell   VS Aktuell 1/2018