Gebrüder Bernhard
Die industrielle Revolution in Deutschland leiteten die Gebrüder Bernhard im Süden von Chemnitz ein. In der von ihnen errichteten Spinnmühle wurden mit Hilfe von Wasserkraft die Spinnmaschinen angetrieben. Die Brüder unterhielten seit 1791 eine Textilhandlung in Manchester. Über ihre Niederlassung in Leipzig handelten die Kaufleute englisches Baumwollgarn. Aus Manchester nahmen sie Evan Evans mit, der als Mechaniker das technische Wissen hatte.
In der Zeit der Kontinentalsperre arbeitete das Unternehmen sehr erfolgreich, da die preiswerteren englischen Waren und Maschinen nicht eingeführt werden durften. Als die Kontinentalsperre 1815 fiel, ging die Spinnerei in den Konkurs.
Nach Eigentümerwechseln wurden die Gebäude als Weberei und Kammgarnspinnerei genutzt (Das Gebäude der Kammgarnweberei ist heute noch unsaniert, der Gründungsbau und das Kontorgebäude wurden instand gesetzt und werden als Seniorenresidenz genutzt.).
Carl Gottlieb Haubold
In der Bernhard‘schen Spinnerei arbeitete der Zimmermann Carl Gottlieb Haubold. In seiner Freizeit beschäftigte er sich mit technischen Zeichnungen und absolvierte eine Zeichner-Ausbildung. In der Bernhard‘schen und danach in der Wöhlerschen Spinnmühle reparierte er Maschinen und eignete sich solide Kenntnisse im Maschinenbau an.
Bereits 1811 führte Haubold Versuche zur Entwicklung einer Schlagmaschine für Baumwollkapseln durch. Produziert wurden diese Maschinen in der großen Brüdergasse gleich neben seiner Wohnung. Mittlerweile beschäftigte er fünf Arbeiter. In kurzer Zeit fertigt er 40 Wollklopfmaschinen, die er an andere Spinnereien verkaufte. 1822 beschäftigte er bereits 30 Arbeiter. Da seine Räumlichkeiten zu klein wurden, pachtete er in der Wöhlerschen Spinnerei Räume für den Maschinenbau und eine Spinnerei, in der er seine neu gebauten Maschinen gleich erproben konnte. 1828 beschäftigte Haubold fast 100 Arbeiter. Seine Maschinen wurden damals noch mit Wasserkraft angetrieben.
Um die Produktion weiter voran zu treiben, schickte er einen Geschäftsfreund nach England, um Maschinen zu kaufen, erhielt von diesen jedoch nur einen Teil und verlor 7.000 Taler. In der Folge gestaltete sich die Finanzierung seines Unternehmens immer schwieriger. Er baute zwar gute Maschinen, musste aber seinen Betrieb verpfänden.
1830 reiste er nach England und besichtigte 100 Fabriken. Er schaute sich Spinnereien, Webereien und Maschinenbaubetriebe an und informierte sich über den Einsatz von Dampfmaschinen. Als Mitbegründer des Industrievereins für das Königreich Sachsen engagierte er sich für eine bessere Gesetzgebung in gewerblichen Angelegenheiten und für den Patentschutz. Die deutschen Maschinenbauer hatten gegenüber den englischen Fabrikanten einen Rückstand von 25 Jahren. 1831 beschäftigte Haubold einen englischen Mechaniker namens Hedges.
Sein Vetter Carl Gottfried Haubold trat in das Unternehmen ein, beide waren zuverlässige Partner.
1836 war die Hauboldsche Firma mit 500 Beschäftigten die größte Fabrik in Sachsen. In seinem Betrieb ging man von der handwerksmäßigen zur industriellen Arbeit über. Er beschäftigte Schmiede, Feiler, Zylinderschneider usw. Damit waren Berufsstände entstanden, die den industriellen Aufstieg der Stadt Chemnitz beförderten.
Da die Finanzierung seines Unternehmens immer am seidenen Faden hing, nahm er Kredite auf, schaffte Grundstücke an und verkaufte sein Unternehmen an ein Bankhaus, welches es in eine Aktiengesellschaft umwandelte. Er erwarb an der Leipziger Straße eine Spinnerei, die er 1840 wieder veräußerte, und danach in Harthau die ehemalige Bernhard‘sche Spinnerei. Hier schließt sich der Kreis, er kehrte an seine Wurzeln zurück. 1849 ging sein Harthauer Unternehmen in Konkurs. Haubold zog nach Rochlitz, kaufte nochmals eine Kammgarnspinnerei, die nach seinem Tod von seinem Sohn Carl Victor Haubold weitergeführt wurde. Carl Gottlieb Haubold starb am 18. Mai 1856 in Rochlitz. Sein Leben war von vielen Höhen und Tiefen geprägt.
Richard Hartmann
Anders erging es Richard Hartmann, geboren als Sohn eines Weißgerbers am 8. November 1809 in elsässischen Barr. Wohlbehütet wuchs er im Kreis seiner älteren Brüder und seiner jüngeren Schwester auf und besuchte in Barr die Schule. Nach seiner Konfirmation 1823 kam er auf die weiterführende Schule im 70 km entfernten Luneville. Diese Zeit prägt ihn für sein weiteres Leben. Hier erweitert er seinen Horizont, lernte, mit Menschen umzugehen, sie zu führen und zu überzeugen, was ihm in seinem gesamten Leben zum Vorteil gereichte. Ab 1826 erlernte er beim Meister Dietz das Handwerk eines Zeugschmiedes. Er erfuhr eine umfassende Ausbildung und begab sich nach Abschluss der Lehre 1830 auf die Walz. Mit dem Vorsatz, erst nach Hause zurückzukehren, wenn er Pferd und Wagen hat, macht er sich auf den Weg.
1832 kam Richard Hartmann in Chemnitz an. Sein einziges Kapital waren zwei Taler, die er aus dem Verkauf seiner Taschenuhr erzielte. Im Gasthof zum Schwarzen Bären erhielt er Kost und Logis. Er ging auf Arbeitssuche und fand beim Hauboldschen Unternehmen eine Stelle als Zeugschmied. Aufgrund seiner handwerklichen Fertigkeiten und seiner Fähigkeit, mit Menschen umzugehen, wurde er zum Akkordmeister berufen. In seiner freien Zeit bastelte er mit seinem Freund Georg Samuel Apffel in der Kniereimschen Werkstatt an der noch unvollendeten Schraubenschneidemaschine weiter und beendet erfolgreich sein Werk.
Ab und an gingen die Freunde in die Schankwirtschaft von Wilhelm Oppelt. Hier traf Hartmann Berta, die zweite Tochter des Hauses. Es funkte zwischen den beiden und sie wurde seine Verlobte. Die junge Frau erkannte sofort, welchen witzigen und lebenslustigen Partner sie an ihrer Seite hat, und knöpfte ihn an jedem Zahltag zwei Dukaten ab. Wohlbehütet in einer Schatulle sammelte sich ein kleiner Kapitalstock an.
Mit diesem Kapital erwarb Hartmann 1837 gemeinsam mit seinem Partner Illing eine kleine Werkstatt an der Annaberger Straße. Im gleichen Jahr erhielt er von seinen Eltern die Genehmigung, seine Verlobte Berta heiraten zu dürfen. Mit viel Charme holte er sich vorher bei der Chemnitzer Behörde das Bürgerrecht, welches ihm erlaubte, zu heiraten und eine Firma zu gründen.
Mit dem Reparieren von Maschinen sowie dem Anschaffen von modernen Werkzeugen begann eine Zeit großer Ungewissheit. Die Finanzierung des Unternehmens wurde schwierig. Sein Schwager und auch der Schwiegervater liehen ihm Geld, damit der Lohn an die Arbeiter gezahlt werden konnte. Hartmann trennte sich von seinem Teilhaber und verlegte den Firmensitz in die ehemalige Klostermühle (heute Luxor). Der Kaufmann August Götze trat in das Unternehmen ein, die Zusammenarbeit hielt jedoch nur bis 1842. Danach führte Hartmann sein Unternehmen allein weiter.
1844 verlegte er einen Teil seiner Produktion an die Leipziger Straße. Ein Jahr später brach in der Klostermühle ein Feuer aus, sein Schwager konnte die Geschäftsbücher und Zeichnungen noch retten. Die Klostermühle wurde aufgegeben, das Areal an der Leipziger Straße weiter ausgebaut und 1847 mit dem Bau von Lokomotiven begonnen. Das war nur durch einen Kredit von 30.000 Reichsmark möglich, den das Ministerium des Innern gewährte. Sagenhafte Bedingung galten für diesen Kredit: fünf Jahre zinsfrei, Rückzahlung nach 10 Jahren. Der Grund für die Großzügigkeit: Man hatte 16 Lokomotiven in England gekauft, doch von diesen fuhren nur zwei, die anderen mussten andauernd repariert werden.
Hartmann baute Lokomotiven, als Chemnitz weder einen Bahnhof geschweige eine Bahnlinie besaß. Seine Loks mussten mit Pferdewagen nach Leipzig gebracht werden und konnten dann erst selber fahren.
In den Revolutionsjahren 1848/49 kam das Hartmannsche Unternehmen unter Druck. Mit dem Bau von Zündnadelgewehren hielt es sich über Wasser. Ab 1851 ging es wieder aufwärts, der Bedarf an Maschinen wuchs. Viele Unternehmen wollten sich von der Wasserkraft unabhängig machen und Hartmann stieg in die Fertigung von Dampfmaschinen, Turbinen, Bergwerkseinrichtungen und Werkzeugmaschinen ein.
Am 17. Juli 1860 brach schon wieder ein Feuer im Unternehmen aus, wobei der nördliche Teil zerstört wurde. Zum Glück herrschte Windstille und die Flammen griffen nicht auf andere Gebäude über. König Johann kam aus Dresden und besichtigte den Schaden. Hartmann erhielt einen zinslosen Kredit und baute die zerstörten Gebäude mit seinen Arbeitern wieder auf.
Bei allem Glück hatte er auch Misserfolge. Der fehlende Gleisanschluss machte ihm Sorge, da die Lokomotiven größer und schwerer wurden und der Transport auf Tiefladern quer durch die Stadt komplizierter wurde. Für eine Anbindung an die Bahn nach Riesa, hätte er ein Stück Gelände des Parks von Louis Schönherr benötigt. Da aber Schönherr im Hartmannschen Unternehmen Leiter des Webstuhlbaues war und die Herren im großen Streit auseinander gingen, lehnte dieser den Verkauf des Geländes ab. Zehn Jahre befasste sich der sächsische Landtag mit dem Problem und kam zu keiner Lösung. Erst 1904 konnten auf der Matthesstraße Schienen verlegt und die Lokomotiven an die Limbacher Bahnlinie übergeben werden.
Zurecht kann gesagt werden, dass das Hartmansche Unternehmen in Sachsen das Erfolgreichste gewesen ist. Die Produktpalette war sehr groß, außer Schiffen und Flugzeugen wurde fast alles im Hartmannschen Unternehmen produziert. In Asien fahren heute noch Lokomotiven von Hartmann. Leider ging das Unternehmen in der Weltwirtschaftskrise 1930 in den Konkurs.
Johann Esche
Den sächsischen Handwirkstuhl hat Johann Esche erfunden. Als Kutscher des Grafen von Schönberg fuhr er mit diesem oft nach Dresden. Dort traf er auf einen französischen Strumpfwirker und war von dessen Wirkstuhl beeindruckt, den er kurzerhand mit finanzieller Unterstützung des Grafen nachbaute.
Anfang des 18. Jahrhunderts produzierte er seidene Strümpfe in Köthensdorf und zog 1719 mit seiner Strumpfwirkerei nach Limbach-Oberfrohna. Sein Sohn David kümmert sich um den Verkauf der Strümpfe.
1870 siedelte die Firma aufgrund der Errichtung der Eisenbahnlinie Zwickau–Riesa nach Chemnitz um. Nun konnten die Strümpfe auf schnellsten Wege nach Hamburg und von dort in die weite Welt exportiert werden. Nach Moritz Samuel Esche übernahm Eugen Esche und nach dessen Tod die Brüder Herbert und Fritz Esche die Strumpffabrik am Walkgraben. 1897 traf Herbert Esche in Paris auf Henry van de Velde, von dem sie das Möbel für ihre Etagenwohnung auf dem Kaßberg bezogen. 1903 baute van de Velde für die Familie eine Villa an der Parkstraße – ein Kleinod des Jugendstils und van de Veldes erstes gesamtarchitektonisches Kunstwerk. Er entwarf das Gebäude, das Möbel, die Lampen und Teppiche, gestaltete den Park um die Villa – kurz: alles, was man so zum Leben braucht.
Die Geschäfte gingen gut, die Strümpfe waren von bester Qualität und wurden in alle Welt exportiert. Heute ist die Villa an der Parkstraße ein Museum und ein Ort der Kultur. Die ehemalige Strumpffabrik in Limbach-Oberfrohna ist ein Technikmuseum.
Was geschah noch in der Zeit?
1806 wurde die Stadtmauer abgetragen und Chemnitz vergrößerte sich.
1810 hatte die Stadt schon 10.000 Einwohner und es ging mit Riesenschritten weiter. Durch die Industrialisierung zogen immer mehr Menschen in die Stadt, mit 103.000 Einwohnern wurde Chemnitz 1883 Großstadt. Wohnungen wurden gebaut, die Zahl der Unternehmen stieg, die Kultur entwickelte sich, die Stadtverwaltung wuchs und zur Jahrhundertwende hatte die Stadt schon über 200.000 Einwohner.
Das war die Zeit, als Richard Möbius Stadtbaurat in Chemnitz wurde. Ihm verdanken wir die schönsten Gebäude: das König-Albert-Museum, das Opernhaus, das Neue Rathaus, das Küchwaldkrankenhaus, die Küchwaldschänke und 16 Schulen, von denen keine der anderen gleicht. Man kann es auch als Ära Möbius bezeichnen.
Über die weitere Stadtentwicklung von 1920-2018 werde ich im Teil 4 berichten.