Wie der Auer Heidelsberg zum „Schweizerkäse“ wurde

Der Fels ist zäh. Drei Hauer rücken im Stollen dem harten Glimmerschiefer mit Spitzeisen und Fäusteln zu Leibe. Am Morgen haben sie auf Geheiß des Bergmeisters Blechschmidt Asche und verkohlte Holzreste beiseite geschafft. Danach griffen sie zu ihren Schöpfkellen am Wasserfass. Mit mehreren kalten Güssen schreckten sie das durch starkes Feuer erhitzte Gestein ab, so dass es hier und da riss, neue Ansatzstellen für die Meißel bot. Zwischen 6000- und 8000-mal schlagen die Männer mit den Fäusteln am zehnstündigen Arbeitstag auf die Eisen. Das geht auf die Gelenke. Seit dem Frühjahr sind sie ganze zwölf Meter in den Heidelsberg, der sich am Rande von Aue erhebt, vorgedrungen. Für den kursächsischen Oberförster Georg Rachals aus dem nahegelegenen Ort Lauter sollen sie auf seinem Auer Grundbesitz einen 25 Meter langen, geräumigen Bierkeller schaffen. Das  Jahr neigt sich dem Ende zu. Man schreibt 1661.

Ölgefüllte Froschlampen erhellen den Arbeitsplatz spärlich. Plötzlich stößt einer der Männer einen Freudenschrei aus. Hinter dem Gesteinsbrocken, den er eben weggeschlagen hat, glänzt der Fels mattgrau. Im Schein aller Lampen fährt Meister Blechschmidt mit dem Tscherper, dem kurzen scharfen Bergmannsmesser, über die Stelle. Noch ungläubig murmelt er: „Zinnstein.“  Nun schreien alle vor Aufregung durcheinander: ‚…der Oberförster muss tüchtig einen ausgeben…. ein Fundstein ist zu schlagen… das Erz hat sich aufgetan… das Glück.‘  

So ungefähr muss es gewesen sein mit der Entdeckung der ersten Zinnader im Heidelsberg, wenn auch nicht im Detail, denn nur wenig Verbrieftes liegt darüber vor. Und so, wenngleich nicht erst bei dieser Gelegenheit, ist wohl der Bergmannsgruß entstanden. Das Erz war für den Kumpel das Glück. Es sollte sich ihm  a u f   tun. 

Historisch belegt ist die Entdeckung des über einen  Meter mächtigen Zinnerzgangs für das zu Ende gehende Jahr 1661. Damit begann in Aue das „große Berggeschrey“. Gleich neben der ersten Fundgrube entstanden ab 1662 weitere. Von 25 Stollen sprechen einige Historiker. Manche nennen auch die Zahl von 250 Schürfstellen, die innerhalb von zwanzig Jahren in den Heidelsberg getrieben worden sind. Könnte man das Felsmassiv mit einem gewaltigen Messer aufschneiden, gliche es bestimmt einem Schweizerkäse. Fest steht jedenfalls, dass Aue für rund 50 Jahre zur Zinn-Metropole Europas geworden ist, da anderenorts die Ausbeute zurückgegangen war. Zu dem Zinnerz-Reichtum des Heidelsberges kamen noch Funde in der nahegelegenen Habichtsleithe und bei dem ein wenig weiter entfernten Ort Bockau hinzu. Insgesamt 28 000 Zentner des silbrig glänzenden Metalls sind nach alten Berichten in dem halben Jahrhundert aus dem Berg und der Umgebung herausgeholt worden. Nach 1711 ging der Zinnerz-Abbau jedoch zurück, und gegen 1800 waren die Lagerstätten erschöpft.

Aber der Heidelsberg machte von 1710/1711 an mit einem anderen Mineral von sich reden – Kaolin. Rund 150 Jahre lang brachten Woche für Woche eigens verpflichtete Fuhrleute die aus dem Berg geförderte und dann gut geschlämmte weiße Erde in Fässern von Aue ausschließlich nach Meißen. Sie gab dem weltberühmten Porzellan das strahlende Weiß und die große Haltbarkeit. Förderung und Aufbereitung, Lagerung und Transport zur Manufaktur unterlagen bis zum Niedergang der Fundstätte strenger Geheimhaltung. 

Die Eigentümer der Gruben kamen durch die zu Tage gehobenen Schätze, die sie gleich noch in eigenen Werken und Hütten aufbereiten ließen, zu gewaltigem Reichtum. Aber die, welche das Ganze förderten, blieben ihr Leben lang arme Teufel. Einer Verordnung vom 22. Dezember 1669 zufolge erhielten die Bergleute unter Tage Wochenlöhne zwischen zehn Groschen/sechs Pfennigen und 23 Groschen. Ihre durchschnittliche Lebenserwartung lag zwischen 35 und 40 Jahren. Zu Hause mussten in der Regel sechs bis acht Münder versorgt werden, und ein Brot kostete damals zwei bis drei Groschen. 

Das und noch mehr kann man im Auer Stadtmuseum an der  Bergfreiheit 1 erfahren. Die Bergfreiheit, so heißt die Straße, geht bei der Kirche „St. Nikolai“ (im Volksmund die „rote Kirche“, weil sie weithin rot leuchtet) nach rechts weg. Kirche und Museum stehen am Fuße des Heidelsberges. Das geschichtsträchtige Gebäude war ursprünglich das Huthaus, welches einige Zeit nach dem ersten großen Zinnerzfund über dem Stollen errichtet worden ist. Huthaus deshalb, weil unter der Aufsicht des Hut-Meisters hier Arbeitsgeräte, Schwarzpulver und noch nicht abtransportiertes Erz in (Ob-)Hut genommen wurden. Die SDAG Wismut hat den historischen Bau in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts sorgfältig rekonstruiert und der Stadt Aue 1973 zur 800-Jahrfeier geschenkt. In den Vitrinen des prächtigen Knappschafts-Saales und in der Glockenstube findet der Besucher Sammlungen von Gebrauchszinn sowie von Mineralien. Das Haus bewahrt  auch den Fundstein von 1661 auf. Der Lauterer Oberförster hatte offenbar auf Grund des glücklichen Umstandes – schließlich wurde er plötzlich Bergherr – ein paar Kannen Bier ausgegeben. Und die Hauer hatten sich damals einen Scherz daraus gemacht, die Jahreszahl spiegelverkehrt in den Erzbrocken zu meißeln. Dabei verwechselten sie – vermutlich nicht nur freudetrunken – die Ziffern. So kam auf dem Stein 1616 anstatt 1661 heraus. Aber das war gewiss das kleinste Malheur. 

Im Schaustollen unter dem Saal findet man verschiedene Arbeitsgeräte, vom mittelalterlichen Gezaehe bis zum kombinierten Bohrwagensystem, ebenso unterschiedliche Ausbauformen, vom trockengesetzten Steingewölbe bis zum modernen Stahlbogenausbau. Ein kurzer Blick zurück beim Verlassen des Museums entdeckt nochmal den Miniatur-Förderturm der Wismut vor dem Haus. Freundlicher Gruß der jüngeren Vergangenheit an die Vorväter. 

aus VS Aktuell 1/2019, erschienen im  VS Aktuell   VS Aktuell 1/2019